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Robin Philpot | ||||||||||||||||||||||
Ruanda 1994 - die inszenierte Tragödie | ||||||||||||||||||||||
Kapitel 14: Ein
herumirrender Ruander, vertrieben aus seinem Heimatland Während eine groß gewachsene weiße
Frau in einem Nerzumhang die Schwarzen beobachtete und an Vergewaltigung dachte. Langston Huges 124 Jean-Paul Akayesu war der erste Mann in
der Geschichte, der von einem internationalen
Strafgerichtshof verurteilt wurde wegen
Genozid/Völkermord, Vergewaltigung und anderen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dennoch verteidigt
er vehement und überzeugend seine
Unschuld. Der ehemalige Bürgermeister der ca. 25 km
westlich von Kigali gelegenen Gemeinde Taba verbüßt
eine lebenslängliche Freiheitsstrafe im Maison
centrale d´arrét in Bamako, der Hauptstadt Malis.
Ich besuchte Jean-Paul Akayesu fünf Tage lang im
November 2002. Er ist gemeinsam mit drei weiteren
Ruandern eingesperrt: Alfred Musema-Uwimana, einem
Diplom-Landwirt und Ingenieur, Clément Kayishema, einem
Chirurgen und Obed Ruzindana, einem Händler. Sie
befinden sich in Bamako, seit sie vom UNO-Gefängnis in
Arusha, Tansania im Dezember 2001 verlegt worden sind. Obwohl es vielleicht ein Widerspruch in
sich ist, ist das Maison centrale d´arrét in Bamako ein
humanes Gefängnis. Im Gegensatz zu Gefängnissen in
Ländern mit einer primitiven Strafkultur wie Kanada und
die Vereinigten Staaten von Amerika gibt es hier keine
Elemente der sensorischen Deprivation. Die Gefangenen
fühlen die Elemente, den Wind, die Hitze und den Regen.
Es geht auch humaner zu, weil es in Mali keine
Todesstrafe gibt. Menschen sitzen nie länger als 15
Jahre im Gefängnis. Es sieht so aus, als glaubten die
Menschen in Mali an Rehabilitation. Generell machen die
Gefangenen einen gesunden und guten Eindruck. Streit gibt
es selten und die Wachbeamten kommandieren die Gefangenen
normalerweise nicht herum. Besucher werden höflich
empfangen. Obwohl Bamako staubiger, teurer und viel
größer ist als bei meinem letzten Besuch 1974, fühlte
ich mich sicherer, sogar im Gefängnis, als in einigen
großen amerikanischen Städten. Darüber hinaus scheinen die Malier von
der Dämonisierung der ruandischen Hutus nichts zu
halten, die diese in der westlichen öffentlichen Meinung
als Ungeheuer erscheinen lässt. Die Entscheidung, die verurteilten
Gefangenen nach Mali zu schicken, wurde vom Büro des
Vorstehers des internationalen Strafgerichtshofs für
Ruanda in Arusha getroffen. Drei weitere Länder,
Schweden, Belgien und Norwegen hatten angeboten, die
Gefangenen einzusperren, aber der Vorsteher lehnte diese
Angebote ab mit der Begründung, dass sie ihre Strafe in
Afrika absitzen sollten, da sie Afrikaner seien. Diese Entscheidung mag fürs erste
aussehen, als sei sie von einer realen Sensitivität
gegenüber Afrikanern getragen. Immerhin sind beide
Länder, Mali und Ruanda heiß und liegen nahe dem
Äquator. Was allerdings das Problem der Entwurzelung
betrifft, kann das Einsperren von Ruandern in Mali
verglichen werden mit dem Einsperren von Inuit aus
Nunavut in Arizona. Jean-Paul Akayesu fand die Umstellung
sehr schwer: In Mai und Juni, gerade vor der
Regenzeit, dachte ich, ich würde die Hitze nicht
überleben. Ruanda liegt auf einem Hochplateau und
die Temperaturen bewegen sich zwischen 10 und 25°C,
während in Mali sogar in der kühlen Zeit
die Temperaturen oft bis 35 oder 40° steigen. Ruanda ist
immer grün, Mali fast immer trocken und staubig. Ruanda
wird von Christen, Mali von Moslems bewohnt. Für Gefangene, die von ihrer Unschuld
überzeugt sind, ist das größte Problem die Entfernung
von ihren Familien und die Isolation, die eine
Kommunikation mit der Außenwelt nahezu unmöglich macht.
Als ich Jean-Paul Akayesu im November 2002 besuchte, war
ich erst der zweite Besucher seit seiner Ankunft vor
einem Jahr. Das Tribunal schickte uns nach
Mali, sagte er mir, weil sie wollten, dass
wir aus den Medien verschwinden. Wären wir in Europa
oder in Nordamerika, wären wir nicht isoliert. Dort
hätten wir Telefone, Besucher und alle Möglichkeiten
der Kommunikation. Hier ist Reisen schwierig und teuer.
Wie können wir unsere Fälle von hier aus bekannt
machen? Wie können wir je auf die Wiederaufnahme unserer
Verfahren hoffen? Das alles ist eine Verbannung in die
Strafkolonie, schrieb sein Mitgefangener Alfred
Musema in einem bewegenden offenen Brief an dem Tag, nach
dem er nach Unbekannt deportiert wurde.
Natürlich erreichte sein offener Brief nie die
Öffentlichkeit. Ungerecht zu einer lebenslänglich
Freiheitsstrafe verurteilt zu werden bedeutet zu einem
langen langsamen Tod verurteilt werden. Während ich
schrieb ´Mut!´, schrieben sie ´Ruhe! Du wirst sterben,
langsam.´ Die Gefangenen nach Mali zu verbannen ist
die logische Folge der Entscheidung, das Tribunal in
Arusha, Tansania einzurichten. Der Mann, der diese
Entscheidung ursprünglich getroffen hat, der ehemalige
UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali bereut sie
jetzt. Zuerst wollten wir das Tribunal in Den Haag
einrichten, sagte er mir in einem Interview.
Ich sagte nein. Es war ein afrikanisches Problem.
Das Tribunal in Arusha einzurichten war einfach eine
Frage der Würde. Deswegen wählte ich Arusha aus. In der
Tat war das aber ein Fehler, mein Fehler. Die Einrichtung
eines Tribunals braucht bestimmte Voraussetzungen: einen
kulturellen Hintergrund, einen legalen Hintergrund,
Medieneinrichtungen und mehr. Das alles trägt zur Arbeit
eines Tribunals bei. Arusha hatte nichts davon. Es war
leer. Und es gilt als unbedeutend. Das Tribunal hätte in
einer großen Stadt angesiedelt werden sollen, die sich
dafür interessiert hätte. Die psychologische
Unterstützung, die eine große Stadt mit ihrer
kulturellen Infrastruktur bietet, ist notwendig für die
Einrichtung, für die Richter, die Anwälte, die
Medien. Und was ist mit den Angeklagten und
Verurteilten? fragte ich den ehemaligen
Generalsekretär. Für jeden, antwortete er.
Keiner von uns, einschließlich der Juristen hat an
die Begleitumstände gedacht, die politischen und
organisatorischen Fragen. Wir verurteilen jemanden. Wo
wird er seine Strafe absitzen? Wer ist für die
Überwachung seiner Gefangenschaft verantwortlich? Warum?
Mit diesen Fragen hat sich niemand von uns ernsthaft
beschäftigt. Boutros-Ghalis Offenheit ist
bewundernswert und verdient Hochachtung. Nichtsdestoweniger kommt sie ziemlich
spät für Jean-Paul Akayesu, der seine lebenslängliche
Haftstrafe praktisch incommunicado in einem abgelegenen
Gefängnis verbringen soll, während sein Name und sein
Fall in allen größeren nordamerikanischen und
europäischen Medien zitiert und in allen westlichen
Juridischen Fakultäten und internationalen
Studienabteilungen benutzt werden.
Jean-Paul Akayesu war schockiert, als ich
ihm die Titelseite des New York Times Magazine vom 15.
September 2003 zeigte, mit einem bearbeiteten Foto
der einzigem vom Tribunal eingesperrten Frau, Pauline
Nyiramasuhuko und der reißerischen Schlagzeile Die
Ministerin für Vergewaltigung. Als er den Hinweis
auf seine eigene Verurteilung sah, die der Artikel als
Durchbruch im internationalen Recht hinstellte,
schüttelte er protestierend seinen Kopf und sagte:
Das ist alles, was sie wollten! Das Tribunal
brauchte dringend einen Präzedenzfall und eine
Rechtssprechung, auf der sie internationales Recht
aufbauen und entwickeln konnten. Ich war nicht einmal
angeklagt wegen Vergewaltigung, sondern nur weil ich
Bürgermeister war in einer Zeit, in der angeblich
Vergewaltigungen nahe dem Gemeindebüro von Taba begangen
wurden. In der Frage von Vergewaltigungen ist
Akayesu bestimmt. Es gab keine Vergewaltigungen in
meiner Gemeinde. Ich hätte davon gehört. Ich habe das
vor dem Tribunal unter Eid im Namen des allmächtigen
Gottes ausgesagt. Zeugin J.J. 125 konnte mich
auch nicht identifizieren, obwohl sie dem Ankläger
gesagt hatte, dass sie mich erkennen würde. Die Geschichte, wie es dazu kam, dass
Jean-Paul Akayesu wegen Vergewaltigung angeklagt wurde,
ist verblüffend. Ich stand in der Mitte meines
Verfahrens im März 1997, als Hillary Clinton auf ihrer
Afrikatour in Arusha auftauchte. Wegen ihres Besuchs
wurde mein Verfahren unterbrochen. Hillary Clinton
schloss ihre Rede, indem sie dem Tribunal US$ 600.000
zusagte, falls es Anklagen wegen Vergewaltigung in
Verfahren in Arusha einführte. Im Juni 1997 hatte der
Ankläger Pierre-Richard Prosper, der unter der
Chefanklägerin Louise Arbour arbeitete, meine
Anklageschrift überarbeitet, so dass sie jetzt auch
Vergewaltigung enthielt, obwohl er seinen Fall gegen mich
bereits abgeschlossen hatte. Das alles geschah ungeachtet
der Tatsache, dass niemand von Vergewaltigung gesprochen
hatte, bevor meine Verhandlung begann. Zusätzlich zu Hillary Clinton forderte
eine wichtige amerikanische feministische Organisation
das Recht auf Intervention als Amicus Curiae oder Freund
des Gerichts. Diese Forderung übte zusätzlichen Druck
auf das Tribunal aus, Leute wegen Vergewaltigung zu
verurteilen. Der zeitliche Ablauf dieser Ereignisse ist
wichtig, um zu verstehen, warum und wie die Anklagen
wegen Vergewaltigung Eingang in die Verfahren in Arusha
fanden. Zwei Zeugen der Anklage gegen Jean-Paul Akayesu
hatten vor dem Ankläger unter Eid ausgesagt, ehe Anklage
gegen ihn erhoben und er eingesperrt wurde. Der Ankläger
machte diese Aussagen wie verlangt der Verteidigung
zugänglich. In keiner Aussage war Vergewaltigung auch
nur erwähnt. Die Zeugen hatten die Untersuchungsbeamten
der Anklage in der ruandischen Gemeinde Taba im November
1995 getroffen. Eine Zeugin erhob Beschuldigungen gegen
Bürgermeister Akayesu, erwähnte aber nichts von Frauen,
die vergewaltigt wurden. Sie kam 1997 nach Arusha,
nachdem das Thema Vergewaltigung an Bedeutung gewonnen
hatte, und fügte Vorwürfe der Vergewaltigung hinzu,
aber erst, nachdem sich der Ankläger zwei Wochen lang
mit ihr beschäftigt hatte. Die Zeugin H. war eine
ehemalige Schülerin von mir, erinnerte sich
Jean-Paul Akayesu. Der Ankläger sagte, sie hätte
zwei Wochen lang nicht erscheinen können, da sie krank
gewesen sei, aber ich weiß, dass sie so lange brauchten,
um sie zu der Aussage zu bringen, dass sie selbst
vergewaltigt worden sei. Mit der Zeit sind Beweise für falsche
Aussagen und die Fälschung von Beweisen ans Tageslicht
gekommen. Zum Beispiel bestätigt die eidesstattliche
Aussage eines ruandischen Tutsi aus Taba, der an Treffen
teilgenommen hatte, bei denen falsche Aussagen gegen
Akayesu abgesprochen wurden, dass vor 1997 von
Vergewaltigungen keine Rede gewesen war. Irgendwann
im Frühjahr 1997, wenn ich mich richtig erinnere,
begannen sie über Zeugen von Vergewaltigungen zu
sprechen. Vor diesem Zeitpunkt wurde nichts über Beweise
von Vergewaltigungen geredet. Herr Karanwa sagte mir,
dass es Witwen und andere gäbe, die leicht manipuliert
werden könnten, Zeugenaussagen betreffend
Vergewaltigungen zu machen. 126 Die
Berufungsinstanz in Den Haag weigerte sich einfach, BBBs
Zeugenaussage, die Jean-Paul Akayesu entlastet hätte,
entgegenzunehmen. Ramsey Clark denkt, dass die Leute, die
für das Tribunal arbeiteten, die Beschuldigungen wegen
Vergewaltigungen in Akayesus und allen anderen Fällen
deswegen einführen wollten, um sich bei den Geldgebern
des Tribunals in den Vereinigten Staaten von Amerika und
besonders bei der Außenministerin Madeleine Albright
beliebt zu machen, die das Tribunal als ihre
Hinterlassenschaft betrachtete. Diese Ansicht deckt sich
mit der von Boutros Boutros-Ghali, der sich über den
chronischen Geldmangel des Tribunals beschwerte und
dessen Bedeutungslosigkeit in der internationalen
öffentlichen Meinung. Niemand wollte hinfahren, und
niemand interessierte sich für das Tribunal. Die Lösung
war daher, es durch neue Anklagen in die Schlagzeilen zu
bringen sex it up würden die Briten
sagen , welche die Aufmerksamkeit der
amerikanischen öffentlichen Meinung erregen
würden. Jean-Paul Akayesus Verurteilung war nicht
viel mehr als eine Formsache. Es genügt, wenn eine
Frau zum Gericht kommt und erklärt ´Ich wurde
vergewaltigt´ oder ´Ich sah, wie jemand vergewaltigt
wurde´, bemerkte Akayesu. Man kann sich
gegen solche Beschuldigungen einfach nicht
verteidigen. Akayesus Beschwerden werden erhärtet
durch Erklärungen, welche die Richterin am
internationalen Strafgerichtshof für Ruanda Madam
Navanethem Pillay auf einer Werbetour durch Kanada im
November 1997 machte, ehe die Verteidigung mit dem Fall
begann. Im kanadischen Radio CBC erklärte Richterin
Pillay, es gäbe in Ruanda 200.000 Opfer von sexueller
Gewalt sowie eine politische Strategie der sexuellen
Gewalt gegen Frauen. Keinerlei Beweis war diesbezüglich
dem Tribunal vorgelegt worden. Sie wiederholte nur die
Äußerungen des Anklägers. Wie steht es wohl um den
Eckpfeiler des Rechtssystems, dem auch Richterin Pillay
angehört, nämlich die Unschuldsvermutung? Woher kommen diese Geschichten über
Vergewaltigungen? Entsprechen sie der Wahrheit? Jean-Paul
Akayesu antwortet gerade heraus. Heirat zwischen
Hutus und Tutsis war ganz normal, sagte er mir.
Heirat in Ruanda ist außerdem nicht das Gleiche
wie Heirat im Westen. Wenn zwei junge Leute sich
entscheiden, ein Paar zu werden, reden sie mit ihren
Eltern, die für sie die Hochzeit organisieren. Ein
Tutsimädchen konnte mit einem Hutuburschen verlobt oder
liiert sein. Als die RPF-Armee heranrückte, wäre das
Paar mit dem Rest der Bevölkerung zuerst ins südliche
Ruanda geflohen und dann in benachbarte Länder wie den
Kongo. Nachdem die RPF gesiegt hatte, überredete sie die
Tutsifrauen, ihre Gatten zu verlassen. Eine groß
angelegte Kampagne wurde gestartet, um diese Frauen dazu
zu bringen, ihre Lebensgefährten der Vergewaltigung zu
beschuldigen. Oft waren die Frauen schon schwanger. Wenn
sie die Kinder zur Welt brachten sagte die RPF, die
Neugeborenen seien die Folgen von Vergewaltigung. Nach
dem Artikel im New York Times Magazine The Minister of
Rape zu urteilen sieht es so aus, als hätten sie uns
erfolgreich dämonisiert, stellte Akayesu
fest. Für jeden, der eine Ahnung hat von der
unentwirrbaren Beziehung zwischen Vergewaltigung und
Rasse in den Hirnen der weißen Amerikaner liegt etwas
fragwürdiges in all den Horrorgeschichten über
Vergewaltigungen, die Ruander angeblich begangen haben
sollen. Das erste Mal in der Weltgeschichte, nach
Jahrhunderten der Sklaverei, des Rassismus und
Kolonialismus, in denen sexuelle Herrschaft ein
integraler Bestandteil der umfassenden Herrschaft war,
hat ein internationales Tribunal, größtenteils
finanziert von den Vereinigten Staaten von Amerika und
auf Druck der Frau eines Präsidenten aus den
US-Südstaaten, einen Mann zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe verurteilt wegen Vergewaltigung als
Kriegsverbrechen, wobei dieser Mann ein Afrikaner ist,
der behauptet unschuldig zu sein. Das lässt einen
traurig an Billy Holidays Strange fruit denken und
an die Lynchmorde an Afroamerikanern, die zu Unrecht der
Vergewaltigung beschuldigt worden sind. In einem Essay über des weißen Amerikas
Blutrache an afroamerikanischen Männern schrieb Ishmael
Reed: Ein Publikum von weißen und asiatischen
Feministinnen bei einem Seminar zum Thema Vergewaltigung
in Berkeley im vergangenen Oktober ging davon aus, dass
der typische Vergewaltiger schwarz sei, bis
sie von Sallie Werson, Beraterin eines Frauenzentrums
informiert wurden, dass 75 bis 80% der Vergewaltiger
Weiße sind. 127 In ihrem vor kurzem veröffentlichten Buch
Color of Rape, Gender and Race in Televisions Public
Spheres (Die Farbe von Vergewaltigung, Geschlecht und
Rasse in öffentlichen Bereichen des Fernsehens) geht
die feministische Autorin Professor Sujata Moorti näher
auf diese Frage ein und kommt zu ähnlich beunruhigenden
Schlussfolgerungen. 128 Moorti analysiert die
Art, in der die größeren amerikanischen
Fernsehanstalten mit dem Thema Vergewaltigung umgehen.
Indem sie besonders auf drei groß publizierte Fälle von
Vergewaltigung zwischen 1989 und 1991 und die Debatte,
die sich daraus entspann einging, kommt Sujata Moorti zum
Schluss, dass das einzige durchgehende
Wesensmerkmal die Dämonisierung schwarzer Männlichkeit
ist. Die Autorin stimmt mit vielen weiteren
Wissenschaftlern überein, die aufgezeigt haben, dass
Angelegenheiten von Vergewaltigung und Rasse in der
öffentlichen amerikanischen Diskussion immer untrennbar
zusammenhängen. Moorti behauptet, das Ängste in
Bezug auf schwarze Sexualität weiterhin zeitgenössische
Fernsehproduktionen prägen. In der Folge beeinflussen
die Mythen vom schwarzen männlichen Vergewaltiger,
schwarzer männlicher Bestialität und schwarzer
weiblicher Promiskuität die Bilder von schwarzen Frauen
und Männern in Vergewaltigungsgeschichten ebenso wie die
Erfahrungen schwarzer Frauen und Männer in den Bereichen
des Rechts und der Strafjustiz. 129 Sie
bleibt auch dabei, dass der Rassismus, der 1931 zu der
berüchtigten ungerechten Verurteilung der neun
Scotsboro Boys wegen Vergewaltigung geführt
hat, in der heutigen Berichterstattung über
Vergewaltigung in den Medien noch immer die Oberhand hat.
130 Seit dem Erscheinen ihres Buchs haben ihre
Schlussfolgerungen an Bedeutung gewonnen. Die Gruppe
junger schwarzer Männer, die verhaftet, verurteilt und
eingesperrt wurden wegen Gruppenvergewaltigung der
Joggerin im New Yorker Central Park wurde freigesprochen,
nachdem ein anderer Mann das Verbrechen gestanden hatte
und eine DNA-Analyse sein Geständnis bestätigte. Diese
Geschichte hatte Hysterie in den gesamten Vereinigten
Staaten von Amerika hervorgerufen. Experten, Politiker
und die Öffentlichkeit ließen ihren Vorstellungen
freien Lauf, als sie diesen Vorfall benutzten, sich über
schwarze männliche Gewalttätigkeit in amerikanischen
Städten auszutoben. Natürlich dienten Assoziationen mit
dem Dschungel in Bildern und Worten zur Untermauerung des
Falles. Wir wissen jetzt, dass das alles nicht
geschehen ist und dass die New Yorker Polizei erzwungene
Geständnisse vorgelegt hat. Die jungen Männer sind alle
unschuldig und klagen auf Schadenersatz. Wer aber kann
die ekelhafte Dämonisierung afroamerikanischer Männer
rückgängig machen, die über zehn Jahre lang betrieben
worden ist? Die Art und Weise, in der die Medien mit
diesem Fall, der dann eine unvorhergesehene Wendung
genommen hat, umgegangen sind, bestätigt wiederum eine
der wichtigsten Schlussfolgerungen, zu denen Sujata
Moorti in ihrem Buch gekommen ist. Die Behandlung von
Fällen von Vergewaltigung durch die Medien versucht
weder, das Phänomen Vergewaltigung zu verstehen, noch
die Situation der vergewaltigten Frau zu begreifen. Die
vergewaltigte Frau wird zum symbolischen Anlass,
andere soziale Probleme zu diskutieren oder fixe
Ideen zum Ausdruck zu bringen. Der Fall der Joggerin im
Central Park lieferte exzellentes Material für die
Leute, um sich über schwarz-männliche Gewalt in den
Ghettos zu beklagen. Das ist der eindeutig amerikanische
Zusammenhang, in dem die Einführung von
Vergewaltigungsklagen im Fall Jean-Paul Akayesu, von den
New York Times qualifiziert als der rechtliche
Durchbruch, verstanden werden sollte. Wie der Fall
der Joggerin im Central Park, wie die Scotsboro
Boys werden die Geschichten von Vergewaltigungen in
der ruandischen Tragödie zum symbolischen Anlass, über
die angebliche afrikanische Kultur von Gewalt und
Unterdrückung zu diskutieren wobei das
eigentliche Thema die westlich/weiße moralische
Überlegenheit ist gerade in einer Zeit, in der
die selben westlichen Mächte, besonders die Vereinigten
Staaten von Amerika, ihre direkte Kontrolle von
afrikanischen Ressourcen und afrikanischen Ländern zu
legitimieren bemüht sind. Die Titelgeschichte des New York Times
Magazine im September 2002 unter dem Titel Die
Ministerin für Vergewaltigung sticht heraus als
besonders krasses Beispiel für ein Zerrbild der
Vergewaltigungsgeschichte. 131 Auf zehn Seiten
Text mit Fotos wird die Geschichte ausgewalzt und
reichlich mit Kommentaren von amerikanischen
Anthropologen, Juristen und Psychiatern ausgestattet, die
allesamt erbittert und befremdet sind über die
unbegreiflich finstere und bösartige Natur der
Verbrechen, von denen behauptet wird, dass sie begangen
worden sind. Der Artikel geht zwar ausführlich auf die
Details dessen ein, was diese Experten sich unter
ruandischer Mentalität vorstellen, bringt aber kaum
Fakten. Damit folgt er getreulich der gängigen
literarischen Tradition über Afrika, entwickelt in
Zeiten von Sklaverei und Kolonialismus, wonach sich die
Afrikaner gegenseitig umbringen, in diesem Fall halt
vergewaltigen, und das ohne jeglichen
Grund. Der Reporter der New York Times erwähnt
nicht einmal den Abschuss des Flugzeugs von Präsident
Habyarimana, der die tragischen Ereignisse ausgelöst
hat. Über die Invasion Ruandas im Oktober 1990
hätte es keine Invasion gegeben, hätte es auch keine
Massaker gegeben heißt es: Als die
Spannungen 1990 zunahmen. Wer könnte sich vorstellen, mit Als
die Spannungen um den 7. Dezember 1941 zunahmen die
Beziehungen zu den japanischen Bürgern der Vereinigten
Staaten von Amerika oder Kanadas zu beschreiben, die zu
deren Internierung führten, ohne Pearl Harbour zu
erwähnen? Was würde man wohl sagen, wenn der Blitzkrieg
im September 1939 gegen Polen in den Medien als
zunehmende Spannungen zwischen Polen und
Deutschen dargestellt würde? Obwohl die Invasion
Ruandas am 1. Oktober 1990 ihrer Natur nach genau
dasselbe war wie Pearl Harbour und der Blitzkrieg, wird
sie in der New York Times als zunehmende
Spannungen hingestellt. Gore Vidal hat die New York Times als
Typhus-Mary des amerikanischen Journalismus bezeichnet in
Anspielung auf die New Yorker Köchin, die zwischen 1900
und 1907 unbekümmert ihrer Arbeit nachging und jeden mit
Typhus ansteckte, mit dem sie in Berührung kam. Es sieht
so aus, dass sich jetzt mit der Globalisierung die
Krankheit über die Grenzen der Vereinigten Staaten von
Amerika hinaus verbreitet hat. Der gleiche Artikel oder
Ausschnitte davon sind in vielen Zeitungen erschienen,
einschließlich Toronto Star und The Montreal Gazette in
Kanada und Le Courrier international und Le Figaro in
Frankreich.
Jean-Paul Akayesu wurde 1993 zum
Bürgermeister von Taba gewählt als Kandidat der
größten Oppositionspartei gegen Präsident Habyarimana,
der Mouvement Démocratique Républicain (MDR). Der
Vorsitzende dieser Partei Faustin Twagiramungu, der nach
dem militärischen Sieg der RPF im Juli 1994
Ministerpräsident von Ruanda wurde besteht darauf, dass
Akayesu unschuldig in allen Punkten der Anklage ist.
Wir wählten diesen Mann zu unserem Kandidaten, da
ihn die Tutsis mochten und ihm vertrauten. Jean-Paul Akayesu schilderte, wie er sich
während der Krise verhalten hat. Ich scheute keine
Mühe, um die Massaker zu verhindern. Ich gab
Anweisungen, keinen der Killer nach Taba hineinzulassen.
Wir kämpften gegen die Milizbanditen in Taba. Einige von
diesen wurden sogar getötet. Wie sollte ich aber mit nur
sechs Polizisten gegen bewaffnete Banden kämpfen? In
Kigali waren Kämpfe und Morde weit verbreitet. Menschen
flohen von Kigali nach Taba, alte Leute, Männer, Frauen,
Kinder und auch schwangere Frauen. Taba galt als sichere
Zone. Der Begriff Genozid war den
Ruandern vor 1994 so gut wie unbekannt. Wir hatten
in der Schule über den Genozid an den Juden
gelernt, sagte Akayesu, aber erst längere
Zeit nach dem Beginn meines Verfahrens lernte ich die
Bedeutung dieses Begriffs zu verstehen, dass darunter ein
systematischer Angriff gegen die Tutsis zu verstehen ist
und dass ich angeblich Leute angestiftet habe, meine
Tutsi-Mitbürger zu ermorden. Dabei tat ich gerade das
Gegenteil! Zum Beispiel traf ich am ersten Tag, an
dem die Massaker in Taba begannen, an die hundert
Menschen, die sich um einen ermordeten Hutu scharten. Die
Mörder waren geflohen, weil sie wussten, dass ich sie
verhaften wollte. Akayesu legt dar, dass das Zusammentreffen
von Jahren des Kriegs, Präsident Habyarimanas Ermordung,
Gerüchten von Massakern und Gewalt durch die RPF-Armee
und Kämpfe und Schüsse in Kigali, die bis Taba zu
hören waren tausende Menschen dazu gebracht hatten, in
seinen Ort zu flüchten. Im Mai 1994 hielten sich rund
140.000 Menschen auf der Flucht im eigenen Land vor dem
von der RPF geführten Krieg in und rund um Taba auf,
alle von ihnen mussten mit Nahrung und Unterkunft
versorgt werden. Was hätte ich mit nur sechs
Polizisten unternehmen können, um die Morde zu
beenden? Jetzt kennt Akayesu die rechtliche
Bedeutung des Begriffs Genozid und verbüßt
eine lebenslange Freiheitsstrafe für das Verbrechen des
Genozids, dennoch weist er kategorisch diese Bezeichnung
zurück, wenn es um die Beschreibung der ruandischen
Tragödie geht. Es gab Hutus und Tutsis im gesamten
ruandischen Staatsapparat, in allen politischen Parteien
einschließlich der Partei des Präsidenten und der
bekannten Interahamwe. Sogar der Führer der Interahamwe
war ein Tutsi. Glauben Sie, dass es möglich ist, die
Ausrottung der Tutsis zu planen, ohne dass diese das
mitbekommen hätten? Wäre das auch nur möglich? Ich
glaube nicht. Betrachten Sie Präsident Habyarimanas
eigene politische Umgebung und Sie werden feststellen,
dass es da viele Tutsis gab, die seine guten Freunde
waren. Wer könnte geplant haben, die Tutsis auszurotten,
ohne dass diese das erfahren hätten? Als das Appellationstribunal in Den Haag
sein Urteil fällte, dachte Jean-Paul Akayesu an und
bezog sich auf Dreyfus, der hundert Jahre früher zu
Unrecht verurteilt worden war. Wie Dreyfus war ich
das Opfer von Ungerechtigkeit von Anfang an und ich habe
nie aufgehört, das anzuprangern und meine Unschuld zu
betonen. Als ich am 10. Oktober 1995 in Lusaka verhaftet
wurde, verhafteten sie mit mir auch einen Minister, einen
Präfekten und einige höhere Beamte. Alle die anderen
wurden entlassen. Ich blieb eingesperrt. Sie behielten
mich weiterhin im Gefängnis, da sie Beweise gegen mich
fälschen wollten, was einfach ging bei einem
Bürgermeister, der mit den Leuten lebte und von ihnen
gewählt wurde. Aber das macht überhaupt keinen Sinn.
Sie entlassen den Präfekten, die hohen Beamten und den
Minister, von denen jeder über einen Genozid entscheiden
oder einen solchen hätte planen können, aber sie
sperren den Bürgermeister einer kleinen Stadt ein, dem
nur sechs Polizisten zur Verfügung stehen. Danach
bestellte das Tribunal einen Verteidiger gegen Akayesus
Willen und verstieß damit gegen alle seine eigenen
Statuten und Verhaltensregeln. Dann kam die
Berufung. Der Bürgermeister von Taba war der Erste,
der von einem internationalen Tribunal verurteilt werden
sollte, das zur Aufrechterhaltung seiner
eigenen Glaubwürdigkeit und zur Rechtfertigung von
bereits ausgegebenen US $ 350 Millionen zu einer
Verurteilung kommen musste, die auch in der
Berufungsinstanz standhielt. Es überrascht daher
keineswegs, dass die Berufungsinstanz ihr Urteil, mit dem
sie Jean-Paul Akayesus Berufung anfangs März 2001
zurückwies, schon vorbereitet hatte, bevor sein
Berufungsschreiben auch nur ins Englische übersetzt
worden war für die Richter, von denen einer kein Wort
Französisch verstand. Die endgültige Entscheidung erfolgte am
1. Juni 2002. Drei Monate davor hatte sich ein Tutsi
(Zeuge BBB) mit Jean-Paul Akayesus Familie in Verbindung
gesetzt. Als Akayesu BBBs eidesstattliche Aussage mit
detaillierten Angaben darüber, wie fast alle Beweise im
Verfahren gegen ihn gefälscht worden waren bei der
Berufungsinstanz einreichte, weigerte sich diese, diese
zu berücksichtigen und fanden es nicht einmal nötig,
eine Anhörung abzuhalten, um die Seriosität der Aussage
zu überprüfen. Nachdem er 1995 verhaftet worden war, war
Jean-Paul Akayesu der vollen Überzeugung, er würde in
ein paar Wochen entlassen werden. Genau das sagte er
seiner Frau. Nach acht Jahren hinter Gittern ist er
extrem verbittert über den internationalen
Strafgerichtshof für Ruanda. Es ist ein Tribunal
mit einem Auftrag! Ein ad hoc Tribunal, eingerichtet um
ruandische Hutus zu bestrafen. Es hat ernstzunehmende und
glaubhafte Enthüllungen über Präsident Habyarimanas
Ermordung und die abscheulichen Verbrechen gegeben,
welche die RPF begangen hat. Das Tribunal hat diese alle
ignoriert. Es kultiviert Straflosigkeit für die
derzeitige ruandische Regierung. Ungeachtet seiner bitteren Erfahrungen hat
Jean-Paul Akayesu die Hoffnung nicht verloren. Er ist wie
viele andere politische Gefangene oder zu Unrecht
Verurteilte, die im Lauf der Zeit allgemeine Bekanntheit
erlangt haben. Sorgfältig hält er seine schriftlichen
Unterlagen in Ordnung. Immer schreibt er und bereitet
sich auf die Wiederaufnahme seines Verfahrens vor, im
Vertrauen darauf, dass er letztlich seine Unschuld
beweisen und dann in der Lage sein wird, mit seiner
Familie zusammen zu kommen, die derzeit über alle Welt
verstreut ist.
124 Langston Hughes, 1942, in Collected
Works of Langston Hughes, Volume 2, The
Poems: 1941-1950, University of Missouri Press,
Columbia and London, 2001. 125 Die wirklichen Namen der Zeugen werden
nicht genannt. 126 Eidesstattliche Aussage von BBB vor
Éric THIBAUT de Maisières, Notar in Saint-Gilles
(Brüssel). Jean-Paul Akayesus Anwalt John Philpot traf
BBB an drei Tagen. Der Name des Zeugen wird nicht
genannt, aus Gründen seiner und der Sicherheit seiner
Familie. Hier die originale Aussage in französisch:
Approximativement au début de 1997 selon mon
souvenir, on a commencé à parler des témoins de viol.
Avant il ny avait pas question de preuve de viol.
M. Karangwa ma dit quil y a des veuves et
dautres qui sont faciles à manipuler pour
témoigner sur le viol. 127 Ishmael Reed, Spielberg Plays
Howard Beach, in Writin is Fightin,
Thirty-seven years of Boxing on Paper, Atheneum,
New York, 1990, p. 145. 128 Sujata MOORTI, Color of Rape,
Gender and Race in Televisions Public Spheres,
State University of New York Press, 2002. 129 Ibid. s. 6. 130 Neun junge Afroamerikaner, die in
Alabama der Vergewaltigung zweier weißer Frauen
beschuldigt und eingesperrt waren, wurden zum Tod
verurteilt. Die Urteile wurde bis auf eines umgewandelt,
die "Scotsboro Boys" verbrachten lange Zeit im
Gefängnis, bis sie nach einer massiven
Unterstützungskampagne entlassen wurden. 131 The New York Times Magazine, Sunday
September 15, 2002, The Minister of Rape. |
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