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Robin Philpot | ||||||||||||||||||||||
Ruanda 1994 - die inszenierte Tragödie | ||||||||||||||||||||||
Kapitel
3: Die Macht eines Wortes
Wenn du in dieser Situation in
Afrika und in der Welt mit Worten spielst, spielst du mit
Leben. Aminata Traore, Le viol de
limaginaire Genozid Donner dagegen Nach The Dictionary of Accepted
Ideas, Gustave Flaubert. Nahezu zehn Jahre nach dem Mord am 6.
April 1994, der die ruandische Tragödie ausgelöst hat,
geht die Jagd auf diejenigen, die als
Genozidäre (im Original französisch
génocidaire = Völkermörder,
d.Ü.) etikettiert worden sind, unerbittlich weiter. Im
Namen dieser von den Vereinigten Staaten von Amerika und
anderen westlichen Staaten legitimierten Jagd haben wir
uns zurückgelehnt und zugesehen, wie die RPF die
Flüchtlingslager im Osten des Kongos bombardiert hat,
und applaudiert, wie hunderttausende Flüchtlinge
gezwungen worden sind, in flagranter Verletzung der
Flüchtlingskonvention von 1951 nach Ruanda
zurückzukehren. Untätig haben wir dann zugesehen, wie
die selbe Armee gemeinsam mit den Armeen von Uganda und
Burundi in den Kongo einmarschiert ist und diesem Land
einen erbarmungslosen Krieg aufgezwungen hat, der
Millionen von Menschenleben gekostet hat. Die Länder
Zentralafrikas sind im Namen der Jagd auf
Genozidäre auf den Kopf gestellt worden. Die Gefängnisse Ruandas sind überfüllt
mit Genozidären, die auf ihr
Gerichtsverfahren warten - laut Paul Kagame sind es über
140.000. Einige Beobachter haben bemerkt, dass das
Gefängnis und das System der traditionellen nationalen
Gacaca-Justiz, das vor kurzem wieder
hergestellt worden ist benutzt werden, für die
Hutu-Mehrheit wieder eine Art Leibeigenschaft
einzuführen, die im Zuge der sozialen Revolution 1959
und Erringung der Unabhängigkeit Ruandas 1962
abgeschafft worden ist. Ungeachtet ihrer politischen Einstellung
oder Parteizugehörigkeit leben ruandische Hutus und
Tutsis in ständiger Furcht, wegen Genozids angeklagt,
verhaftet und in Arusha oder Kigali vor Gericht gestellt
zu werden. Viele fürchten ermordet zu werden. Obwohl
Ruander heute über die ganze Welt verstreut sind,
fühlen sie sich nirgends sicher. Höchst verblüffend
und lächerlich ist, dass die beiden ruandischen
Ministerpräsidenten, beide Hutus, welche die sogenannten
Post-Genozid-Regierungen Ruandas zwischen 1994 und 2000,
also nach der RPF-Machtübernahme angeführt haben, wegen
Teilnahme am Genozid angeklagt worden sind. Der erste war Faustin Twagiramungu,
Vorsitzender der MDR (Mouvement démocratique
républicain), der wichtigsten Oppositionspartei gegen
Präsident Habyarimana. Twagiramungu wurde am 19. Juli
1994 als Ministerpräsident von Ruanda angelobt,
unmittelbar nach der Machtübernahme durch die RPF. Er
behielt dieses Amt bis 28. August 1995 und floh dann nach
Belgien. 2003 kehrte er nach Ruanda zurück als
Präsidentschaftskandidat der Opposition. 2002 suchte Herr Twagiramungu bei der
kanadischen Botschaft in Paris um ein Visum an, um auf
einer Konferenz an der Université du Québec à
Montréal, wo er in den 1970er Jahren studiert hatte,
eine Rede zu halten. Nach einer ausführlichen Befragung
in der kanadischen Botschaft erhielt er zu seiner
Überraschung ein Schreiben von der Botschaft, in dem
sein Antrag auf ein Visum abgelehnt wurde. Ein paar
Wochen später bezog sich die Schlagzeile in der
kanadischen Tageszeitung The National Post über
Kriegsverbrecher in Kanada auf die Weigerung der
kanadischen Botschaft, dem ehemaligen ruandischen
Anführer ein Visum zu erteilen, der nach Ansicht der Post
in den Genozid verwickelt gewesen war. 31 Kurz
gesagt war jetzt der Ministerpräsident der Regierung,
die angeblich den Genozid beendet hatte, selbst auch zum
Genozidär geworden. Kanada hatte Ministerpräsident Faustin
Twagiramungu mit allen Ehren bereits im Dezember 1994
empfangen, als er auf der Suche nach finanzieller
Unterstützung für den Wiederaufbau Ruandas unter der
RPF war. Entweder ist Kanadas institutionelles
Gedächtnis so kurz und selektiv, oder dieses Land
verfolgt eine Politik der Unterstützung der
RPF-Regierung um jeden Preis. Der kanadische Botschafter
in Paris Raymond Chrétien weigerte sich, die
Verantwortung für die Vorgangsweise der Botschaft zu
übernehmen: Die für die Visa zuständigen Leute
hier an der Botschaft müssen Gründe gehabt haben, die
mir unbekannt sind, sagte er mir in einem
Interview. 32 Der zweite ruandische Ministerpräsident
auf der Liste war Pierre-Célestin Rwigema. Herr Rwigema
wurde unmittelbar nach der Abreise Faustin Twagiramungus
1995 angelobt. Er war Vorsitzender der gleichen Partei,
der Mouvement démocratique républicain (MDR).
Ministerpräsident Rwigema blieb bis Februar 2000 im Amt
und bemühte sich fleißig, Genozidäre vor
Gericht zu bringen. Lustigerweise vertrat er die
Regierung Ruandas bei der feierlichen Zeremonie
anlässlich der Eröffnung des Internationalen Tribunals
in Arusha am 8. Januar 1996. Seine Rede über die
Bedeutung von Verhaftung und Verurteilung der
Genozidäre war besonders wortgewaltig. 33
Ende der 1990er Jahre verschlechterte sich
das Verhältnis zwischen der RPF und Ministerpräsident
Pierre-Célestin Rwigema, der sich entschloss, in die
Vereinigten Staaten von Amerika zu emigrieren. Kurz nach
seiner Abreise erfuhr er, dass Ruanda gegen ihn einen
internationalen Haftbefehl erlassen hatte und dass er des
Verbrechens ... des Genozids angeklagt sei. Rwigema
betonte, dass sogar der ehemalige ruandische Präsident
Pasteur Bizimungu jetzt im Gefängnis sitzt. Bizimungu
war Präsident von 1994 2001 und immer ein loyaler
RPF-Anführer seit 1990. Der Expräsident war angeklagt,
eine genozidale Ideologie zu vertreten.
Wenn du Hutu bist und wagst, das RPF-Regime zu
kritisieren, sagte mir Rwigema, wirst du als
genozidaler Täter eingestuft mit der Folge, dass du
eingesperrt oder umgebracht wirst. Wenn du als Tutsi
gegen das System sprichst, wirst du als negatives Element
eingestuft und kaltgestellt. Die RPF benutzt den Vorwurf
des Genozids, um auch einflussreiche Tutsis
ruhig zu stellen. 34 So lange das Wort Genozid und
seine Ableitungen die Beschreibung der Ereignisse in
Ruanda 1994 beherrschen, wird es keine nationale
Versöhnung und keinen Frieden in Afrika geben. Wer
würde sich auch mit Leuten zusammensetzen und
verhandeln, die unter Verdacht stehen, sich an einem
dermaßen entsetzlichen Verbrechen beteiligt zu haben?
Welche internationale Macht könnte sich darauf
einlassen, eine regionale Friedenskonferenz zu vermitteln
mit afrikanischen Führern, die beschuldigt werden,
Genozidären Zuflucht zu gewähren? Wie
können ernsthafte und glaubwürdige Vertreter der
überwiegenden Mehrheit der Menschen in Ruanda aufstehen
und den ihnen gebührenden Platz einnehmen, wenn jeder
von ihnen jederzeit und überall beschuldigt werden kann,
in Genozid verwickelt gewesen zu sein oder der Ideologie
des Genozids nahe zu stehen? Dieser Begriff ist ein Totschlagargument.
Offensichtlich zur Freude Kigalis. Aber auch sehr
hilfreich für die westlichen Mächte, besonders die
Vereinigten Staaten von Amerika, die es wie eine
Massenvernichtungswaffe gegen jeden afrikanischen Führer
und jede afrikanische Regierung schwenken, die sich gegen
die Strömung stellt. Seht ihr, was Habyarimana und
Ruanda passiert ist? Seid vorsichtig! Es könnte auch
euch passieren. Obwohl der offizielle Grund für
die Entfesselung des anhaltenden Krieges im Kongo die
Flüchtlingskrise und die Jagd auf ruandische
Genozidäre war, ist völlig klar, dass der
Krieg im Kongo nichts mit Genozidären, aber
alles mit der Herrschaft über die Demokratische Republik
Kongo nach Mobutu zu tun hat. In der Folge von schweren Krisen wie der
in Ruanda 1994 haben andere Länder auf andere Weise
reagiert und sind dabei auf Verständnis und
Unterstützung seitens anderer Nationen gestoßen. Nicht
jede große Krise hat zur Einrichtung eines
Internationalen Strafgerichtshofs geführt. In einem
Interview bemerkte der ehemalige UNO-Generalsekretär
Boutros Boutros-Ghali, unter dem der Internationale
Strafgerichtshof für Ruanda eingerichtet wurde, dass er
einiges jetzt anders gemacht haben würde. In einigen Fällen haben wir
Wahrheitskommissionen eingerichtet, sagte der
frühere UN-Generalsekretär. In Südafrika zum
Beispiel hat man sich bemüht, die Verbrecher ausfindig
zu machen, aber sie wurden nicht bestraft. Sie werden
davon abgehalten, weiteren Schaden anzurichten, aber
werden nicht verurteilt. Wahrheitskommissionen beruhen
auf dem, was wahrscheinlich das christliche Prinzip ist,
nämlich dass Gnade und Vergebung wichtiger sind als
Rechtssprechung. In der Tat ist es viel wichtiger, die
Einheit eines Landes zu erhalten, als zu versuchen, eine
Justiz überzustülpen und das Land noch mehr zu
zerreißen. Wir müssen lernen zu vergessen und manchmal
zu verzeihen oder wir werden uns mit einem Staatsstreich,
einem andauernden Krieg oder einem neuen Krieg nach zehn
Jahren konfrontiert sehen. Sind das prophetische
Worte des Boutros Boutros-Ghali oder einfach das, was er
beobachtet hat in der Region der Großen Seen in
Zentralafrika? Boutros-Ghali ruft auch in Erinnerung,
dass nach dem Zweiten Weltkrieg General de Gaulle eine
großen Teil der Kollaboration mit den Nazis übersah.
Wahrscheinlich wusste er, dass Justiz um jeden Preis jede
reale nationale Versöhnung in Frankreich unmöglich
gemacht hätte. Der Ex-Generalsekretär meint auch, dass
der Prozess gegen Maurice Papon 50 Jahre nach den
Ereignissen ein Fehler war. In beiden Fällen, Südafrika und
Vichy-Frankreich ist es viel einfacher, die systematische
Planung von Diskriminierung, Unterdrückung und
Massenmorden aufgrund von Rassen- und
Religionszugehörigkeit zu identifizieren als im Falle
Ruandas unter der Regierung Habyarimana und nach dessen
Ermordung. Warum richteten die Vereinten Nationen
dann in Ruanda nicht eine Wahrheitskommission ein wie in
Südafrika, El Salvador und Guatemala? Boutros-Ghalis
Antwort auf meine Frage war knapp und kategorisch:
Weil die Tutsis Rache wollten. In anderen Worten obwohl Justiz die
Antithese von Rache ist, eröffneten die Vereinten
Nationen erstaunlicherweise durch die Einrichtung des
internationalen Strafgerichtshofs im November 1994 alle
Fallen der Justiz dem, was Boutros Boutros-Ghali als
Verlangen der RPF nach Rache bezeichnet. Darüber hinaus
wurde mit der Resolution des UN-Sicherheitsrates
betreffend das Tribunal und weitere UNO-Maßnahmen der
internationalen Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt,
als sei der Genozid selbst eine feststehende Tatsache,
die nicht hinterfragt zu werden brauche. Das passte
natürlich perfekt in die politische Strategie der RPF
schon vor 1994. Das Verlangen der Ruandischen
Patriotischen Front (RPF) wurde zur erhabenen und
ehrenwerten Rechtfertigung für jede ihrer militärischen
Aktionen seit Juli 1994. Die westlichen Mächte, welche die RPF
unterstützen behaupten, dass ihnen nur daran gelegen
ist, Gerechtigkeit in diesen Teil von Afrika zu bringen.
Unser Wissen über die Geschichte der europäischen
und amerikanischen Kolonisierung sollte uns
davon abhalten, solche Märchen zu glauben.
Gab es 1994 in Ruanda einen Genozid? Am 14. September 1994 beantwortete General
Roméo Dallaire im französischsprachigen Magazin der CBC
Le Point die folgende Frage eines Ruanders, der in Quebec
City lebte: Gab es nach Ihrer Ansicht einen Genozid
in Ruanda, das heißt die Durchführung eines Plans,
ethnische Tutsis in Ruanda auszurotten? Ich würde sagen, es gab einen
nationalen Genozid, einen Genozid auf politischer
Grundlage, nicht nur ethnischer, antwortete Roméo
Dallaire. Viele Hutus und viele Tutsis wurden
getötet ... ich denke, dass die Explosion, die wir
gesehen haben, nicht geplant sein konnte. Ich glaube
nicht, dass jemals jemand eine Explosion dieser
Größenordnung geplant haben könnte. Leider lehnte Roméo Dallaire alle meine
Ansuchen ab, mir ein Interview zu gewähren. Nachdem
seine Erklärungen nach 1994 milde ausgedrückt
unzusammenhängend waren, hoffte ich ihn fragen zu
können, ob er seine Ansicht vom September 1994 aufrecht
hielt. 35 General Dallaires Interpretation der
Ereignisse in Ruanda hat sich im Lauf der Jahre
offensichtlich geändert, was allerdings nicht
überrascht, da auf ihn enormer Druck ausgeübt worden
ist. Im April 1994 war Dallaire militärischer
Befehlshaber der internationalen UNO-Streitmacht UNAMIR.
Jaques-Roger Booh-Booh war als Sondergesandter des
UNO-Generalsekretärs für die politischen Beziehungen
verantwortlich. Sein politischer Attaché während der
Krise war Gilbert Ngijol aus Kamerun. Ngijols Sicht der
Ereignisse in Ruanda deckt sich mit der Roméo Dallaires
im September 1994. Im Gegensatz zu General Dallaire hat
Gilbert Ngijol seine Position nicht um ein Jota
geändert. Es gab keinen Genozid an Tutsis in
Ruanda, behauptete Ngijol, als ich ihn im November
2002 in Paris traf. In der breiten Masse gab es
wenig Feindseligkeit zwischen Hutus und Tutsis vor der
Ermordung von Präsident Habyarimana am 6. April. Danach
allerdings war es eine andere Sache, sagte er
kopfschüttelnd. Ich erinnere mich an den Tag nach
der Ermordung des Präsidenten. Ich befand mich im
dritten Stock des Hotels Meridian in Kigali. Auf einer
Seite sah ich, wie RPF-Soldaten Frauen und Kinder
töteten. Auf der anderen Seite sah ich, wie Milizen das
Gleiche taten. Das konnte unmöglich geplant
sein. Der Ex-Ministerpräsident Faustin
Twagiramungu weist kategorisch die Vermutung zurück, die
Morde wären geplant gewesen. Die RPF-Armee hat
möglicherweise mehr Menschen getötet als die
Interahamwe-Milizen, sagte er. Unter Eid bezeugte
Twagiramungu beim internationalen Strafgerichtshof in
Arusha, dass wahrscheinlich mehr Hutus als Tutsis
umgebracht worden sind. Er betonte, dass RPF-Soldaten
Aufnahmen von Leichen von Mitgliedern von Präsident
Habyarimanas Partei, der MRND machten. Die RPF hatte
diese Menschen getötet. Offensichtlich waren die meisten
von ihnen Hutus. Danach benützten sie diese Bilder von
Hutus als Beweis für den Genozid an den Tutsis.
Wir wissen, dass sie das taten, weil einige der
Opfer auf den Bildern Hüte der Präsidentenpartei
trugen. Sogar Louise Arbour vom kanadischen
Höchstgericht, von 1996 bis 1999 Chefanklägerin beim
internationalen Strafgerichtshof kam vor kurzem zum
Schluss, dass die Sachen nicht so klar seien, wie die
schrecklichen Vereinfacher uns glauben machen
möchten. Nach einem Vortrag in Paris im November 2002
über das internationale Tribunal fragte die kenianische
Journalistin Ruth Nabakwe die Ex-Chefanklägerin, warum
das Tribunal nur Hutus und keine Tutsis verfolge. 36
Können Sie sehen, dass das Tribunal in Zukunft
auch Tutsis verfolgen wird? Obwohl Louise Arbour
eine weltberühmte Jägerin von Genozidären
ist, war ihre Antwort beunruhigend. Wir dürfen die
Welt nicht nur in rein ethnischen Begriffen sehen,
sagte sie. Es ist nicht nur eine Frage von Hutus
und Tutsis, sondern eine Frage von politischen
Formationen und
Allianzen.
Nach all diesen Jahren gibt die ehemalige
Chefanklägerin Louise Arbour zu, dass die Massaker ihrer
Natur nach politisch und nicht nur ethnisch waren.
Grundvoraussetzung eines Genozids ist doch, dass die
Opfer eine gemeinsame ethnische, religiöse, rassische
oder nationale Identität haben? Das ist der grundlegende
Charakter des einzigen Genozids, bezüglich dessen volle
internationale Übereinstimmung besteht, des Genozids an
den Juden durch die Nazis. Wenn Leute, die den
Ereignissen so nahe waren oder den Auftrag hatten, sie zu
untersuchen zur Auffassung gelangen, dass die Massaker
politisch motiviert waren, warum wird den Hutus in Ruanda
immer noch diese überwältigende und unauslöschliche
Schuld aufgebürdet? Ramsey Clark war Justizminister der
Vereinigten Staaten von Amerika unter John F. Kennedy und
Lyndon B. Johnson. Er entwarf und überwachte die
Einführung und Anwendung der Bürgerrechtsgesetze Mitte
der 1960er Jahre. Seit 1995 war er Rechtsbeistand für
Elisaphan Nkatirutimana, den siebzigjährigen
Adventistenpastor, der vom internationalen
Strafgerichtshof wegen Genozids angeklagt, von den
Vereinigten Staaten von Amerika nach Arusha ausgeliefert,
im Februar für schuldig befunden und zu zehn Jahren
Gefängnis verurteilt wurde. Für Clark ist die
Beschuldigung wegen Genozids wie die Beschuldigung wegen
Mordes: sie bedeutet nicht, dass ein Mord begangen worden
ist. Der Gebrauch des Wortes Genozid in
einer dermaßen allgegenwärtigen undefinierten Weise in
der Diskussion über Ruanda in der Öffentlichkeit und in
den Medien ist ein Versuch, die Hutus zu dämonisieren
und enthumanisieren, betonte Ramsey Clark.
Das Beharren darauf, dass es da eine ethnische
Gruppe gibt, die sich verschworen hat, alle Mitglieder
einer anderen Gruppe zu vernichten, widerspricht jeder
Möglichkeit und jeglicher Erfahrung. Es ist ein Versuch,
einfach eine einheitliche öffentliche Meinung zu
schaffen, um die große Mehrheit der Menschen in Ruanda
zu verdammen. Sie sprechen von Tutsis und diesen so
genannten gemäßigten Hutus, was wahrscheinlich bedeutet
Hutus, welche die RPF unterstützt haben. Sie wollen es
nicht auf eine politische Basis stellen, sie wollen es
nach rein ethnischen Richtlinien behandeln, was eine
ungeheuerliche Lüge ist." Es ist ein politischer Kampf, der
schon vor Jahren begonnen hat. Jeder wusste, dass dieser
politische Kampf in der Kolonialzeit begonnen hat. Die
Gruppen im Exil, die koloniale Vertreter waren, die
herrschenden Tutsi hatten versucht, die Regierung des
postkolonialen Ruanda zu stürzen. Sieben Mal
marschierten sie in der Zeit von 1960 bis 1967 ein. Auch
ziemlich gefährlich.
Besonders interessant ist zu beobachten,
wie die Anklage Genozid an den ethnischen
Tutsis zum Teil der offiziellen Geschichte über
Ruanda wurde. Nach dem Sieg der RPF 1994 versuchten
gewisse Leute mit ausufernden Vorstellungen und
versteckten politischen Absichten zu beweisen, dass der
Genozid bereits 1959 begonnen hat mit der sozialen
Revolution in Ruanda, die zur Abschaffung der Monarchie
und zur Erringung der Unabhängigkeit Ruandas 1962
geführt hat. Diese Schuldzuweisung ist ungefähr so
scharfsinnig wie eine Rede von George W. Bush, entbehrt
aber gleich dieser nicht der Methode. Im Grunde ist das
eine bequeme völlige Ablehnung all dessen, was die
Ruander seit ihrer Unabhängigkeit erreicht haben und
besudelt oder kompromittiert die Reputation eines jeden,
der bei der Entwicklung Ruandas mitgearbeitet hat. Ein frappierendes Beispiel ist der
kürzlich verstorbene Dominikanerpriester Georges-Henri
Lévesque aus Québec City, der die Nationale
Universität von Ruanda gegründet hat. Pater Lévesque
war auch bekannt als Berater derjenigen, die Québecs
stille Revolution angeführt haben. Artikel über Pater
Lévesque und seine Rolle in Ruanda stellen unweigerlich
eine grundlegende Beziehung zwischen seiner Tätigkeit
und dem Genozid her ungeachtet der Tatsache,
dass er Ruanda Ende der 1960er Jahre verlassen hat. Kurz
bevor er starb veröffentlichte Pater Lévesque einen
Artikel in der Montrealer Tageszeitung Le Devoir,
in dem er die Versuche zurückwies, ihn und sein Werk mit
den Leuten in Verbindung zu bringen, denen die Massaker
zur Last gelegt wurden. Wenn wir uns an die Tatsachen halten und
die Imagination den Dichtern und Romanschreibern
überlassen, finden wir die erste
Genozid-Anklage in der internationalen
Abhandlung am 28. Januar 1993. Sie wurde erhoben in einer
Pressekonferenz, die von William Schabas organisiert
worden war, der einer internationalen Kommission
angehörte, die gerade von einer zwei Wochen langen
Erkundungstour durch Ruanda zur Untersuchung von
Menschenrechtsverletzungen zurückgekehrt war. 37
Schabas war sich dessen bewusst, dass sich die Mitglieder
der Kommission über den Gebrauch dieses Begriffs nicht
geeinigt hatten, aber er konnte es nicht erwarten und
erhob die Anklage unmittelbar nach seiner Rückkehr aus
Ruanda. Schabas wiederholte die Beschuldigung in einer
internationalen Presseerklärung, die er zusätzlich zu
dem am 8. März 1993 verfassten Endbericht herausgab. 38 Die
Presseerklärung hatte den Titel Genozid und
Kriegsverbrechen in Ruanda. Im Endbericht fehlt die
Beschuldigung, da Kenneth Roth, der Geschäftsführer von
Human Rights Watch in New York mit dem Rückzug seiner
Organisation drohte, falls der Bericht diese
Beschuldigung enthalte. 39 Elf Tage, nachdem die Kommission Ruanda
verlassen hatte, begann die RPF mit einem Großangriff im
nördlichen Ruanda als Reaktion auf die Enthüllungen.
Sie bezeichneten diesen als Strafaktion - das
Ergebnis waren tausende Tote in der Zivilbevölkerung und
ein Ansteigen der Zahl von Flüchtlingen in den Lagern in
und rund um Kigali auf über eine Million. Die RPF
veröffentlichte eine Presseaussendung, in der sie
erklärte, sie habe den Waffenstillstand gebrochen, um
den Genozid zu beenden und der Anwesenheit
französischer Truppen entgegenzutreten. 40
Die Strafaktion verdoppelte die Größe des
von den RPF-Invasoren besetzten Gebietes, das dadurch bis
auf 30 km an Kigali heranrückte. Die RPF zog sich erst
zurück, nachdem ein Waffenstillstand ausgehandelt worden
war, in dem dieses besetzte Gebiet zu einer neutralen und
entmilitarisierten Zone erklärt und dadurch effektiv der
Kontrolle der ruandischen Regierung entzogen
wurde. Die ehemalige Ministerin für Kultur der
Republik Mali, Aminata Traore sagte: In der
derzeitigen Situation in Afrika und in der Welt spielt
man auch mit Leben, wenn man mit Worten spielt. 41
Leute aus dem Westen, die mit dem Wort
Genozid spielten, spielten auch gefährlich
mit ruandischen Leben. Hier eine Aussage über eine
Strafaktion der RPF in der Byumba-Region
nördlich von Kigali nach der internationalen Verbreitung
der
Genozid-Anschuldigungen: Am Donnerstag Morgen begannen die
Rebellen (RPF) die Menschen im ganzen Gebiet
einzukreisen. Alle wurden zusammengebracht: Männer,
Frauen und Kinder, angeblich für ein
Informationstreffen. Die Menschen waren vertrauensselig.
Die Rebellen waren höflich und die Bauern hatten nichts
zu verbergen. Die Lage wurde schlimmer, als sie zum Platz
kamen, auf dem das Treffen stattfinden sollte. Die
Rebellen trieben die Menschen in die umliegenden Häuser
und versperrten diese. Anschließend attackierten sie die
Häuser mit Granaten. Überlebende wurden mit Messern
ermordet. Der Mann, der mir diese Geschichte berichtete,
überlebte das Massaker wie durch ein Wunder, da er unter
den Leichen seiner ermordeten Freunde lag. 42
Laut der richtigen und angemessenen
Geschichte waren die RPF-Rebellen in
diesem Bericht Retter und Befreier, die den Genozid
beendeten. Nach dem 28. Januar 1993 wurde die
Beschuldigung des Genozids in allen RPF-Schriften und in
allen Reden und Interviews der RPF und ihrer Freunde und
Vertreter in aller Welt erhoben. Aus strategischen
Gründen unterstützte die angloamerikanische Allianz
diesen Vorwurf nicht sofort, aber die meisten der
sogenannten Menschenrechtsaktivisten und humanitären
Helfer aus Europa und Nordamerika begannen diesen Begriff
mit einem Eifer zu verwenden wie seinerzeit die
christlichen Missionäre im 19. Jahrhundert und ihre
modernen Nachfolger.
31 National Post, October 12, 2002, s. A1. 32 Interview mit Botschafter Raymond
Chrétien an der kanadischen Botschaft in Paris, 21. November
2002. 33 Discours de son excellence Monsieur
le premier ministre Pierre-Célestin Twigema à
loccasion de la cérémonie douverture du
Tribunal pénal international pour le Rwanda, Arusha, le
8 janvier 1996. 34 Interview mit Pierre-Célestin
Rwigéma, 23. Januar 2003. 35 Ansuchen um Interviews mit Roméo
Dallaire müssen über seinen Anwalt Harvey Yarosky
gestellt werden. Laut Herrn Yarosky verweigerte Dallaire
ein Treffen mit mir, weil er dabei war, sein Buch über
Ruanda fertig zu stellen. Eine Liste schriftlicher Fragen
wurde an Dallaire weiter geleitet, aber er weigerte sich
weiterhin, diese zu beantworten. 36 Auch Richterin Arbour weigerte sich,
mir für diese Buch ein Interview zu geben. Bei einem
Treffen auf einer öffentlichen Veranstaltung in Paris
behauptete sie, aufgrund ihrer derzeitigen Position keine
spezifischen Fragen über das Tribunal beantworten zu
können. Auf meine Bitte hin interviewte sie die
kenianische Journalistin Ruth Nabakwe und
veröffentlichte ihre Antworten. 37 Le Devoir, January 29, 1993, s. 6. Siehe
Kapitel 4. 38 Linda Melvern, A People Betrayed,
The Role of the West in Rwandas Genocide,
Londres, Zed Books, 2000, s. 56. 39 The Gazette, February 8, 1997, B3. 40 RPF Press Release, February 8, 1993,
Resumption of hostilities in Rwanda, in James
K. Gasana, Rwanda. Du parti-état à
létat-garnison, Paris, LHarmattan, 2000,
p. 183. 41 Aminata Traoré, Le Viol de
limaginaire, Arles/Paris, Actes Sud/Fayard,
2002, p. 69. 42 Marie Béatrice Umutesi, Fuir ou
mourir au Zaïre. Le vécu dune réfugiée
rwandaise, preface by Catharine Newbury, Paris,
LHarmattan 2000, p. 29. |
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