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Robin Philpot | ||||||||||||||||||||||
Ruanda 1994 - die inszenierte Tragödie | ||||||||||||||||||||||
Kapitel
2: Im Namen von Frieden und Demokratie
Der Westen zieht die Fäden Die Puppen tanzen und singen Alpha Blondy, Politruc Im Juli 1990 gab Präsident Juvénal
Habyarimana seine Absicht bekannt, in Ruanda ein
Mehrparteiensystem einzuführen. Das war zwei Monate vor
dem Einmarsch ugandischer Truppen in Ruanda. Habyarimana
ging damit auf François Mitterrands Aufruf in einer Rede
in La Baule in Frankreich ein. Mit dem Ende des Kalten
Kriegs, in dem reiche Länder in Europa und Amerika eng
mit militärischen Führern, die sie oft genug an die
Macht gebracht hatten und den von diesen betriebenen
Einparteiensystemen verbunden waren, war die Zeit
gekommen für ein neues Modell, das als wirkliche
Demokratie propagiert wurde. Von seinen Verbündeten und Rivalen
gedrängt lud Frankreich die afrikanischen Länder ein,
sich in nächster Zeit zur Errichtung dieses Modells zu
bekennen. Der französische Außenminister Roland Dumas
fasste es lyrisch: Die Winde der Freiheit, die im
Osten wehen, müssen unweigerlich auch im Süden
wehen. Emsig verkündete auch Papst Johannes Paul
II. diese Botschaft, als er Ruanda 1990 einen Besuch
abstattete. Es ist eine Tatsache, dass derartige
Einladungen vom Norden an den Süden als Zuckerbrot
anzusehen sind, die Peitsche aber immer in der Nähe ist.
Die wirkliche Botschaft lautet: Tut was euch gesagt
wird, oder wir tun uns zusammen und drehen euch das Gas
ab, ob ihr im Krieg seid oder nicht! Ruanda gehorchte, obwohl es sich im
Kriegszustand befand. Am 10. Juni 1991 wurde die
ruandische Verfassung geändert, um ein
Mehrparteiensystem zu ermöglichen. Trotzdem mussten die
ruandischen Politiker ständig anhören, diese
Änderungen seien nicht ausreichend, zu spät erfolgt und
überhaupt gehe alles viel zu langsam. Jede dieser
Warnungen war direkt oder indirekt verbunden mit
reduzierten Hilfeleistungen und verschärften
Kreditbedingungen. Zum Schaden den Spott hinzufügend
setzten die Mächte ihre Credo vom Mehrparteiensystem je
nach Belieben durch. Im gleichen Zeitraum etwa hielt
Yoweri Museveni, der sich von 1981 1986 an die
Macht geschossen hatte, im benachbarten Uganda keine
Wahlen ab und verkündete die Errichtung einer
fadenscheinigen Demokratie ohne Parteien
eine Diktatur unter welchem Namen auch immer ist und
bleibt eine Diktatur. Obwohl sie sich ganz offenkundig
nicht um die Winde der Freiheit und
Demokratie kümmerten, die angeblich von Norden
nach Süden wehten, bekamen Uganda und sein Präsident
keinerlei Schwierigkeiten. Oppositionsparteien wurden gegründet und
auf internationalen Druck hin wurde im April 1992 Ruandas
erste Mehrparteienregierung vereidigt. Diese Regierung
bestand aus Mitgliedern aller größeren Parteien:
President Habyarimanas Partei, Le Mouvement républicain
national pour le développement et la démocratie (MRND),
Le Mouvement démocratique républicain (MDR), Le Parti
social démocrate (PSD), Le Parti démocrate chrétien
(PDC) und Le Parti libéral (PL). Diese neuen Parteien wollten natürlich an
die Macht kommen. Dazu mussten sie ihre Position
gegenüber Präsident Habyarimana definieren, aber auch
gegenüber der RPF Besatzerarmee und deren Unterstützern
im Ausland. Sie mussten sich auch gut stellen mit den
Diplomaten von Belgien, den Vereinigten Staaten von
Amerika, Frankreich und Großbritannien, die sich als die
wichtigsten Interessenvertreter herausstellten. Die
meisten dieser ausländischen Mächte schienen auf der
Seite der RPF Invasionsarmee zu stehen und waren darauf
eingestellt, Präsident Habyarimana loszuwerden. Nachdem
sie erkannt hatten, woher der Wind wehte, begannen diese
Oppositionsparteien direkte Beziehungen mit der RPF
einzurichten in der Hoffnung, für sich selbst ähnliche
internationale Unterstützung zu gewinnen. Als Ergebnis
dieser Bemühungen trafen sich Führer der
Oppositionsparteien und der RPF vom 29. Mai 3.
Juni 1992 und gaben eine gemeinsame Presseerklärung
heraus. Tatsächlich nahmen die Oppositionsparteien an
diesem Treffen auf Geheiß des Unterstaatssekretärs der
Vereinigten Staaten von Amerika Herman Cohen teil. 24
Kurz gesagt, anstatt eine nationale Koalition zu bilden,
um die Invasionsarmee wirkungsvoll zu bekämpfen,
bildeten die oppositionellen Kräfte eine Koalition mit
den Invasoren unter den wohlwollenden Blicken der
größeren westlichen Mächte. Obwohl die Aufnahme von Verbindungen mit
dem Feind zur Erreichung von Zugeständnissen seitens
eines geschwächten Präsidenten Habyarimana eine
abgenutzte politische Strategie ist, besonders wenn man
bedenkt, dass hinter der RPF offenkundig reale Macht
stand, würde diese Vorgangsweise in jedem anderen Land
der Welt in Kriegszeiten als Verrat behandelt. Die Armee der RPF hätte den Krieg im
Dezember 1990 verloren, wären ihr nicht die westlichen
Mächte zur Seite gestanden. Viele Beobachter sind zu
dieser Schlussfolgerung gekommen. 25 Mit Ende
1990 konnte die Invasionsarmee mit massiver
Unterstützung seitens der Vereinigten Staaten von
Amerika, Großbritanniens, Ugandas und in zunehmendem
Ausmaß Belgiens rechnen. Darüber hinaus war Frankreich
bemüht, seine Interessen an Ruanda nach allen Seiten
abzusichern. Die Sozialistische Partei war an der
Regierung und mit ihr viele Unterstützer der RPF. So
konnten die Invasoren den Krieg über dreieinhalb Jahre
lang ausdehnen und in allen Teilen der ruandischen
Gesellschaft Zwietracht, Demoralisierung und Spaltung
verbreiten. Keiner der Staaten, die Ruanda während
des Krieges zu Verhandlungen zwangen, hätte selbst
derartige Bedingungen und schon gar nicht in
Kriegszeiten geduldet. Alle setzen und haben auch
immer die erforderlichen Maßnahmen gesetzt, um ihre
Bevölkerung gegen den Angreifer zu einigen und alle
Hindernisse zu eliminieren, die diesem Ziel im Wege
stehen. So handeln sie, ganz egal ob sie selbst direkten
Angriffen oder Invasionen ausgesetzt sind oder nicht.
Länder im Krieg setzen eine Reihe von Maßnahmen, die
Einschränkungen von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit,
freier politischer Betätigung, besondere Gesetze und
Verfassungsänderungen umfassen. Letztere werden
vielleicht lauthals als vorübergehend angekündigt,
bleiben aber oft in Geltung, nachdem der Krieg vorbei
ist. Von einigen Regierungen, die im Krieg stehen oder
von Krieg bedroht sind wissen wir, dass sie politische
Bewegungen und Parteien verbieten. Generell gesagt werden
derlei Vorgangsweisen, die nur für die Zeit des Krieges
vorgesehen sind, von den Menschen im Land und in den
verbündeten Ländern verstanden und unterstützt. Nichts wäre leichter, als eine Liste der
Verstöße gegen die grundlegenden Standards von Freiheit
und Demokratie in jedem der Länder zu erstellen, die
Ruanda während des Krieges von 1990 1994
kritisiert haben. Historische Amnesie hat bequemerweise
diese Verstöße aus dem aktiven Gedächtnis der meisten
Menschen in Europa und Amerika gelöscht. Aus ihnen sind
Fußnoten in einem selbstgerechten Epos von Heldentaten
und Tapferkeit geworden. Verstöße gegen diese grundlegenden
Standards in jüngster Zeit werden hauptsächlich dem
Terrorismus zugeschrieben und genießen im großen und
ganzen Unterstützung bei den Menschen aufgrund der
erzeugten Belagerungsmentalität und des vorherrschenden
Gefühls einer kulturellen Überlegenheit in Bezug auf
nicht westliche Länder, denen die Schuld am Terrorismus
zugeschrieben wird. Die Opfer dieser Verstöße in
unserer Zeit (z.B. nach dem 11.9.2001 verhaftete
Menschen, Gefangene in Guantanamo, Hutu-Flüchtlinge aus
Ruanda) werden häufig als Menschen ohne demokratische
Kultur und Rechte hingestellt - die selbst zu haben uns
zu glauben beigebracht worden ist - die eine Behandlung
entsprechend den demokratischen Grundrechten nicht
verdienen. Wie viele junge Menschen in Kanada oder
sonst wo wissen, was während dem Zweiten Weltkrieg
Camilien Houde angetan worden ist, dem Bürgermeister von
Montreal, Kanadas größter Stadt? Aufgrund des
Notstandsgesetzes von 1917 verhafteten
Mounties den sehr beliebten Bürgermeister
und Mitglied des Parlaments von Quebec am 6. August 1940.
Bürgermeister Houde wurde fast vier Jahre lang in der
Nähe von Ottawa interniert. Gegen ihn wurde nie Anklage
erhoben, noch gab es ein gerichtliches Verfahren.
Sechzehn Monate lang durften ihn seine Frau und Kinder
nicht besuchen. Bürgermeister Houde wurde von der
kanadischen Regierung willkürlich interniert, nachdem er
in einem Gespräch mit Zeitungsleuten geäußert hatte,
er sei gegen die Registrierung aller männlichen Bürger
über 16 Jahre durch das Militär. Am Tag darauf war das
die Schlagzeile in der Montreal Gazette und Camilien
Houde wurde umgehend verhaftet. Ein weiterer Grund für
die Internierung des Bürgermeisters von Montreal waren
einige Italiener in seiner Organisation. Bis zum heutigen
Tag vermeiden die Menschen, über Camilien Houde zu
sprechen aus Angst, dass sie dadurch in die Nähe des
Feindes gerückt werden könnten. Wenn während des Zweiten Weltkriegs, wie
bereits auch im Ersten Weltkrieg, der leiseste Verdacht
auftauchte, eine kanadische politische Partei habe
Beziehungen zu politischen Parteien in einem feindlichen
Land (z.B. Deutschland, Japan, Italien, Österreich),
hätte Kanada diese Partei sofort verboten und ihre
Führer während des Kriegs und auch
danach interniert. Im Vergleich dazu war es für
oppositionelle Parteien in Ruanda fast zu einer Frage der
Ehre und Auszeichnung für eine Oppositionspartei
geworden, Verbindungen mit dem Feind zu unterhalten. In
den Jahren 1993 und 1994 hielten die pro-RPF
Gruppierungen innerhalb Ruandas mit ihren politischen
Ansichten nicht mehr hinter dem Berg. Sie brüsteten sich
gegenüber jedermann, der es hören wollte, dass eine vor
den Vereinigten Staaten von Amerika dermaßen
unterstützte Partei nicht verlieren könne. Wie viele junge Kanadier oder Quebecer
verurteilen den Gebrauch des Notstandsgesetzes in
Friedenszeiten im Oktober 1970? Was sagen sie zu den 500
Verhaftungen, den 5.000 durchsuchten Häusern und der
Besetzung von Quebec? Nach über 30 Jahren wagen
Erzieher, politische Parteien und Politiker nur in
seltenen Fällen, Pierre Trudeau und die kanadische
Regierung für das zu kritisieren, was sie 1970 getan
haben. Der Grund dafür liegt in der Angst, man würde
sie ins gleiche Eck stellen wie den Feind, in diesem Fall
die Front de libération du Québec. Staaten in Nordamerika und Europa haben in
jüngster Zeit drakonische Gesetze erlassen für die
Bekämpfung einiger illusorischer terroristischer Feinde
innerhalb dieser Länder und außerhalb ihrer Grenzen.
Menschen werden verhaftet, politische Parteien und
Bewegungen werden verboten. Eine schmutzige Kampagne zur
Vernaderung verdächtiger Nachbarn wurde losgelassen.
Solidaritätsorganisationen in vielen Ländern werden
gezwungen, sich aufzulösen, wenngleich auch diese
Länder niemals zum Ziel für Terroristen geworden
wären. Wenige Menschen wagen es, gegen diese Maßnahmen
aufzutreten, weil sie Angst davor haben, dem Feind
zugeordnet zu werden. Die Wahrheit über und die näheren
Umstände dieser drei Ereignisse wurden klammheimlich und
in geeigneter Weise vergessen aus Angst, durch Sympathie
schuldig zu werden. 1940 ist Kanada nicht einmal angegriffen
worden. 1970 hatte die FLQ (Front de libération du
Québec) nur wenige aktive Zellen, die nur zwei
Menschen entführt haben. 2002 sind viele Länder, die
strenge Antiterroristengesetze eingeführt haben, von
keinerlei Terroristen angegriffen worden. Im Gegensatz dazu betrieb die
RPF-Invasorenarmee, die einen weiten Teil ruandischen
Territoriums besetzt hatte, allein im Jahr 1993 146
geheime Zellen in Kigali. Jedes Mal, wenn Präsident
Habyarimana oder andere versuchten, die Bevölkerung
gegen den Feind zu mobilisieren, wurden sie postwendend
beschuldigt, Hutu-Extremisten mit genozidalen Absichten
zu sein. In Ruanda war zwischen 1990 und 1994 der
RPF-Terror die Regel, nicht die Ausnahme. Die sogenannten
Geberländer zwangen nichtsdestoweniger den Präsidenten
Ruandas, mit den Terroristen zu verhandeln und Parteien
in die Regierung aufzunehmen, die offen mit diesen in
Verbindung standen. Zusätzlich zu den Gewaltakten und
politischen Morden der RPF, die hunderttausende Bauern in
Nordruanda in die Flucht in den Süden trieben, verübten
RPF-Agenten terroristische Anschläge in ganz Ruanda, um
die neu gegründeten politischen Parteien auseinander zu
dividieren. Die Angriffe der RPF auf die
Zivilbevölkerung und nicht auf das Militär werfen ein
bezeichnendes Licht auf die Natur einer Organisation, die
in ihrem Wesen den europäischen faschistischen Parteien
in den 1930er Jahren entspricht, die Angriffe auf
bevölkerte öffentliche Plätze verübten. Mit einer
Befreiungsarmee hat das natürlich überhaupt nichts zu
tun. Als ich Jean-Paul Akayesu in seiner
Gefängniszelle in Mali besuchte, wo er seine lebenslange
Freiheitsstrafe verbüßt, erzählte er mir eine
Geschichte, die sich in der Stadt Taba westlich von
Kigali ereignete, wo er 1993 und 1994 Bürgermeister war.
26 RPF-Agenten ließen eine Bombe in der
Nähe einer Schule hochgehen. Siebzehn Schulkinder wurden
getötet, weitere verwundet. Sie wollten eine
Konfrontation zwischen meiner Partei (der oppositionellen
MDR) und der Partei des Präsidenten (MRND)
provozieren. Woher weiß Jean-Paul Akayesu, dass
die RPF die Verantwortung für diese Toten trägt?
Nach dem Sieg der RPF begannen die Verbrecher offen
darüber zu sprechen, was sie getan hatten, sagte
Akayesu. Der Verantwortliche war der Zeuge der
Anklage D, der vor dem internationalen Strafgerichtshof
in Arusha aussagte. Sein Name ist Ephrem
Karengwa. Das zusätzlich zum Krieg eingeführte
neue Mehrparteiensystem wirkte sich verheerend auf die
zivile Verwaltung Ruandas aus. Parteien, die in Ruanda
die Macht übernehmen wollten, waren mehr an Beziehungen
zu den Invasoren und mit westlichen Diplomaten
interessiert, welche offen ihre Sympathie mit der RPF zum
Ausdruck brachten, als an den Menschen in Ruanda und
deren Meinungen. Ruandas Verteidigungsminister James K.
Gasana beschrieb unumwunden die Situation im Juli 1993,
kurz vor der Vertrag von Arusha unterzeichnet wurde.
Diese Übergangsperiode (beginnend im April 1992)
war gekennzeichnet durch den Zerfall der zivilen
Verwaltung, der durch die Lähmung der öffentlichen
Dienste sichtbar wurde. Der Grund dafür war die alles in
den Schatten stellende Polarisierung in der Verwaltung.
Die meisten Beamten kümmerten sich um die Interessen
ihrer Parteien anstatt um das nationale Interesse ... Das
alles führte zu einer Schwächung des Zusammenhalts, der
ein wesentliches Element einer öffentlichen Verwaltung
bilden sollte, deren Existenzberechtigung einzig und
allein darin besteht, den Interessen der Bürger Ruandas
zu dienen. 27 Ein derartiges Eingeständnis seitens
eines Ministers ist beunruhigend, aber nicht
überraschend, wenn man den auf die politischen Parteien
ausgeübten Druck in Betracht zieht. Wenn die Erringung
der Macht vom in freien Wahlen zum Ausdruck gebrachten
Willen der Menschen abhängt, werden die politischen
Parteien wo auch immer größten Wert darauf legen, die
Regierungsangelegenheiten bestmöglich zu managen. Wenn
andererseits die Erringung der Macht davon abhängt, ob
man den Segen von Diplomaten mächtiger und reicher
Länder und von Bankern aus eben diesen Ländern bekommt,
und wenn dieser Segen im Rahmen von privaten Treffen oder
geheimen Verhandlungen erteilt wird, werden politische
Parteien alles unternehmen, um den fremden Diplomaten und
Bankern zu zeigen, dass sie die Verwaltung bereits unter
Kontrolle haben. Ebenso werden sie sich kaum um die
Probleme und Meinungen ihrer Mitbürger kümmern, die
eindeutig nicht die Quelle der Macht im Land sind. Wenn darüber hinaus in von den gleichen
westlichen Mächten veranstalteten Verhandlungen die
Invasionsarmee viel mehr bekommt, als ihr die Menschen in
freien Wahlen je zugestehen würden, nämlich politische
Macht über die Regierung, dann wird voraussichtlich
nicht nur die zivile Verwaltung, sondern die gesamte
soziale Struktur des Landes zerbrechen. Das geschah in
Ruanda zwischen September 1993 und April 1994. Präsident Habyarimana und der Führer der
RPF unterzeichneten den Vertrag von Arusha am 4. August
1993. Laut Faustin Twagiramungu, designierter
Ministerpräsident der durch den Vertrag eingerichteten
Übergangsregierung, wäre es nie zu einer Einigung
gekommen, wenn nicht die amerikanischen, britischen und
ugandischen Veranstalter enormen Druck ausgeübt hätten.
Weder die Oppositionsparteien noch Präsident
Habyarimana wollten ein derartiges Übereinkommen,
sagte Twagiramungu in einem Interview im November 2002 in
Brüssel. Nur die RPF und ihre Armee waren glücklich, da
sie Präsident Habyarimana all seiner Macht beraubt
hatten. Der ehemalige Premierminister Twagiramungu
ärgerte sich besonders über die britische Beteiligung
an den Verhandlungen in Arusha. Das Vereinigte
Königreich hatte zu dieser Zeit nicht einmal ein
Konsulat in Ruanda. Er unterstrich auch, dass die
RPF-Truppen sich auf das Netzwerk des britischen
Geheimdiensts stützten, das vom ugandischen Präsidenten
Yoweri Museveni benützt wurde. Durch die Verträge von Arusha sollten
viele Probleme gelöst werden. Darunter waren Regelungen
für die Machtverteilung in einer Übergangsregierung auf
breiter Basis, die Rückkehr von Flüchtlingen nach
Ruanda und die Rückkehr der durch den Krieg innerhalb
Ruandas Vertriebenen. Sie verlangten auch den Einsatz
einer neutralen internationalen Streitmacht, die
Integration der RPF in Ruandas nationale Armee und die
Aufstellung eines RPF-Bataillons in Kigali. In der Tat
besiegelte das Abkommen von Arusha den Machtverlust des
Präsidenten und übertrug effektiv die Macht an die
Invasionsarmee. Die Übergangsregierung sollte aus zwanzig
Ministern und Staatssekretären bestehen. Die
Invasorenpartei RPF und die Partei des Präsidenten MRND
sollten je fünf Minister bekommen, eine unglaubliche und
unfassbare Gleichsetzung. Die anderen Oppositionsparteien
sollten sich die anderen zehn Ministerien teilen. Es
sollte erwähnt sein, dass alle außer einer dieser
Parteien die gemeinsame Presseerklärung mit der RPF im
Juni 1992 unterzeichnet hatten. Die RPF hätte also die
Regierung von Ruanda unter Kontrolle gehabt. Im Rückblick ist die am meisten
überraschende Bestimmung in den Verträgen von Arusha
diejenige, die die Eingliederung der RPF-Armee in die
nationale Armee Ruandas betrifft. Hier der entscheidende
Abschnitt: Die Regierungstruppen stellen 60% und
die RPF 40% auf allen Ebenen, ausgenommen die im
Folgenden beschriebenen Kommandopositionen. In der
Befehlskette vom Chef des Generalstabs bis auf
Bataillonsebene sind beide Parteien zu je 50%
vertreten. Es folgt eine erschöpfende Aufstellung
der militärischen Positionen bis hin zu den Ausbildnern
in der Militärschule. Zusätzlich zu dieser formalen
Aufteilung der Macht muss die faktische politische
Loyalität des ruandischen Militärs mit einbezogen
werden. Nach Ansicht des ehemaligen ruandischen
Verteidigungsministers James Gasana erfreuten sich die
der RPF nahestehenden Oppositionsparteien und die RPF
einer Unterstützung von 35% bzw. 5% der
Militärangehörigen. In anderen Worten, wären die Verträge
von Arusha zur Anwendung gekommen, hätte die RPF
Regierung und Armee von Ruanda kontrolliert, ohne sich je
einer Wahl gestellt zu haben. Alles, was sie vorweisen
konnte war ihre Armee, der mörderische Krieg, den sie
entfesselt hatte und die unerschütterliche
Unterstützung durch die Vereinigten Staaten von Amerika
und das Vereinigte Königreich. Und der Glaube, das alles
sei erreicht worden im Namen der Winde von Freiheit
und Demokratie, die aus dem Norden wehen. Jetzt ist bekannt, dass die RPF in einer
Allianz mit den Armeen von Burundi und Uganda den Krieg
im Kongo ab 1996 anführte. Die militärischen
Bestimmungen im Arusha-Abkommen 1993 lassen jetzt wenig
Zweifel daran, dass die Roadmap der
Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten
Königreichs die Installation eines Regimes und einer
Armee in Ruanda vorsah, die ihnen in der Zeit nach Mobutu
im Kongo loyal zur Verfügung stehen würden. Für
Frieden und nationale Versöhnung in Ruanda war in diesem
Plan kein Platz vorgesehen. Präsident Habyarimana, ein
Verbündeter Frankreichs und Mobutus, sollte, wenn
überhaupt, nur als Symbolfigur bleiben dürfen. Die
ruandische Armee sollte von der RPF kontrolliert werden,
die bedingungslos mit Washington und London alliiert war.
Aussagen neueren Datums decken sich in
diesem Punkt. Vom Zeitpunkt, an dem die erste
Mehrparteienregierung im April 1992 eingerichtet worden
war, wurde kein wichtiger Ministerposten in Ruanda
besetzt ohne vorherige Rücksprache mit der Botschaft der
Vereinigten Staaten von Amerika. James Gasana schrieb,
dass nach dem Zusammenbruch des ruandischen Staates
das Land in Wirklichkeit von außerhalb seiner Grenzen
verwaltet wurde. Der für die Übergangsregierung
designierte Ministerpräsident Faustin Twagiramungu sagte
mir im Wesentlichen das Gleiche: Es gab keine Macht
mehr in Ruanda, die Entscheidungen hätte treffen
können. In der Tat zementierte das Arusha-Abkommen
den Transfer der politischen Macht von Ruandern zu
ausländischen Diplomaten, in erster Linie zu denen der
Vereinigten Staaten von Amerika. Die RPF war dabei der
Mittelsmann mit den schmutzigen Händen. Einen Monat nach Unterzeichnung des
Arusha-Abkommens bekam die RPF einen demokratischen
Fußtritt von den Menschen in Ruanda. Ernsthafte Menschen
sollten das bemerkt haben. Im September beteiligten sich
RPF-Kandidaten an Kommunalwahlen in der
entmilitarisierten Zone in Nordruanda. Die Wähler gaben
ihnen einfach keine Stimmen. Obwohl das Verhalten der
ruandischen Wähler absehbar war, da die RPF nur die
Tutsi-Minderheit repräsentierte und nie eine Wahl auf
der Basis eine Person eine Stimme gewinnen konnte,
ließ die westliche Unterstützung für die RPF nicht im
mindesten nach.
Stärkster internationaler Druck wurde
angewendet, um Ruanda dazu zu bringen, die Verträge von
Arusha zu unterzeichnen, obwohl sie gegen die Interessen
von Menschen und Regierung in Ruanda gerichtet waren. Der
Druck ließ allerdings deutlich nach, als es darum ging,
Truppen für die in dem Abkommen vorgesehene
internationale neutrale Streitmacht zur Verfügung zu
stellen, die später den Namen UNAMIR bekam (United
National Aid Mission for Rwanda). Weder der Zeitpunkt der
Entsendung noch die unter den Parteien vereinbarte Zahl
der Soldaten wurden beachtet. Die Streitmacht sollte 37
Tage nach Unterzeichnung des Abkommens an Ort und Stelle
sein. In der Tat waren es dann vier Monate. Die Parteien
hatten sich auf 4.500 Soldaten geeinigt. UNAMIR hatte nie
mehr als 2.500! Viele haben der Bürokratie und ihrer
althergebrachten Dickfelligkeit die Schuld an der
Säumigkeit der UNO gegeben. Ähnliche Begründungen
finden sich als Erklärung für die langsame Reaktion der
UNO während des Tötens, das dem Abschuss des
Präsidentenflugzeugs am 6. April 1994 folgte. Viel
größer ist allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass der
UN-Sicherheitsrat durch die Vereinigten Staaten von
Amerika und das Vereinigte Königreich lahm gelegt war,
die es darauf abgesehen hatten, die Kontrolle über die
Region der Großen Seen in Afrika von Frankreich zu
übernehmen. Die Verzögerung hinderte andere am Kommen.
Schwerer wiegt, dass die UNAMIR-Truppe, das Ergebnis der
Auseinandersetzungen im UN-Sicherheitsrat, ganz klar
einen Sieg der beiden englischsprechenden Mächte
darstellt. Die Regierung Habyarimana wollte eine
Beteiligung französischer Truppen an der Streitmacht,
was die RPF strikt ablehnte, indem sie Frankreich der
schlimmsten Verbrechen beschuldigte. Die RPF erreichte,
dass Belgien das größte Kontingent vor Bangladesh
stellte. Einen weiteren vielsagenden Hinweis darauf, dass
die RPF und ihre Hintermänner in Washington und London
diese Runde gewonnen haben, ist die Wahl von Englisch als
Sprache für die Durchführung dieser Mission. Hier war
ein französisch sprechendes Land von einer englisch
sprechenden Armee überfallen und besetzt worden und die
UNO-Truppen müssen die Sprache der Invasoren benutzen.
Natürlich beeinträchtigte der Gebrauch des Englischen
schwerstens die Glaubwürdigkeit der UNAMIR, nicht
zuletzt auch deshalb, weil die Dolmetscher, die Englisch,
Französisch und Kiyarwanda beherrschten, unweigerlich
Tutsis waren. Kanada beschloss, sich nicht an UNAMIR zu
beteiligen. Der UN-Sicherheitsrat allerdings bestellte
einen Kanadier, General Roméo Dallaire, zum
Oberkommandierenden der Mission, weil die Vereinigten
Staaten von Amerika einen Franko-Kanadier haben wollten. 29
General Dallaire war einer der ersten Kanadier, die in
eine führende Position in der Ruandakrise berufen
wurden. Andere sollten folgen. Als Voraussetzung für
derlei Bestellungen musste man frankophon, aber nicht aus
Frankreich, und schon gar nicht politisch oder emotional
mit Frankreich verbunden sein. Roméo Dallaire entsprach
diesen Vorgaben perfekt und enttäuschte diejenigen, die
ihn in diese Position gebracht hatten, in keiner Weise.
Die ganze Mission hindurch provozierte und foppte
Dallaire die Franzosen so sehr, dass Paris Kanada
bedrängte, Roméo Dallaire als Befehlshaber
zurückzuziehen. 30 Ruanda war gelähmt worden durch einen vom
Westen geführten Doppelangriff, der darauf gerichtet
war, die militärischen Eroberungen der RPF zu
konsolidieren und die politische Macht von Kigali in das
Hauptquartier dieser Stellvertreterarmee zu verlagern.
Wohlklingende Phrasen wie Friedensprozess und
Mehrparteiendemokratie wurden für die
Rechtfertigung dieses Doppelangriffes auf Ruanda
verwendet, obwohl dieser geradewegs in deren Gegenteil
Krieg und Diktatur führte. Die selben westlichen
Mächte, die diese wohlklingenden, total verlogenen
Phrasen erfunden haben, behaupten weiterhin, dass Afrika
eine Kultur der Demokratie fehlt und es daher westliche
Hilfe braucht, um diese zu erlernen.
24 Joce Leader, The Rwanda Crisis: The
Genesis of a Genocide, Rede an der Penn State University,
5. April 2001. 25 James K. Gasana, op. cit. p. 74. 26 Siehe Kapitel 14: Ein
herumirrender Ruander. Jean-Paul Akayesu ist
eingesperrt im Maison centrale darrêt, de Bamako,
Mali. Er behauptet unschuldig zu sein. Ich interviewte
ihn im Gefängnis im November 2002. 27 James K. Gasana, op. cit.
p. 205. 29 Carol Off, The Lion the Fox and the
Eagle, Vintage Canada, 2000, p. 25. 30 Jacques Castonguay, Les casques
bleus au Rwanda, Paris, LHarmattan, 1998, p.
89. |
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