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Robin Philpot | ||||||||||||||||||||||
Ruanda 1994 - die inszenierte Tragödie | ||||||||||||||||||||||
Teil 1 Kapitel 1: Invasion? Was für eine
Invasion? Der Besiegte hat immer ein besseres
Gedächtnis als der Sieger, der uns vergessen lassen
will. René Lévesque Die richtige und angemessene
Geschichte will, dass die Ruandische Patriotische
Front RPF unter der hervorragenden militärischen und
politischen Führung des jetzigen ruandischen
Präsidenten Paul Kagame, der mit einer Reihe seiner
Offizierskollegen in den besten amerikanischen und
britischen Militärakademien ausgebildet worden ist, den
Genozid mit der Einnahme von Kigali am 4. Juli 1994 und
der Bildung einer neuen Regierung beendet hat. Eine
patriotische Befreiungsbewegung mit den richtigen
Freunden bereitet dem schlimmsten Verbrechen, das man
sich vorstellen kann - ähnlich dem Holocaust ein
Ende und das noch dazu am 4. Juli. Das erste Problem mit dieser richtigen und
angemessenen Geschichte ist, dass Kigali nicht am 4. Juli
eingenommen worden ist. Die entscheidende Schlacht, die
der RPF die Übernahme der Stadt ermöglichte, wurde am
2. Juli geschlagen. Paul Kagame marschierte am 3. Juli in
Kigali ein. Ist Paris nicht befreit worden, als Charles
de Gaulle am 25. August 1944 einmarschierte? Niemand hat
dieses Datum geändert, um anderen eine Freude zu machen.
Für Ruanda musste es nach dem Willen einflussreicher
Leute in wichtigen Positionen der 4. Juli sein. Der Tag
sollte auch nicht zu nahe am 1. Juli liegen, dem
ruandischen Unabhängigkeitstag - noch immer einem
mächtigen Symbol der sozialen Revolution, die jetzt aus
dem Gedächtnis der Menschen getilgt werden sollte.
Damals brauchten die Sieger nur den 4. Juli zum
ruandischen Nationalfeiertag erklären und die Melodie
vorzugeben, die jetzt zu singen war. Natürlich weiß
jeder, um welche Melodie es sich handelt. Das zweite Problem liegt darin, dass die
Massaker an der zivilen Bevölkerung nicht mit dem Sieg
der RPF aufgehört haben. Zivilisten sind seitdem in
Ruanda immer wieder ermordet worden und viel schlimmere
Massaker haben laufend im benachbarten Kongo
stattgefunden. Die Wahl des 4. Juli mag nebensächlich
erscheinen, aber in der Politik wird nichts dem Zufall
überlassen, schon gar nicht die Symbole. Hoffentlich
wird das einen Alarm auslösen und die Menschen dazu
bewegen, die richtige und angemessene Geschichte noch
einmal zu lesen und dabei besonders auf die optischen
Täuschungen zu achten, die so oft für Verdrehungen und
Falschinformation benutzt werden. Die von Paul Kagame angeführte Armee war
nie eine Befreiungsarmee. Die meisten Menschen wussten
das von Anfang an. Die ruandische Patriotische Front und
ihr Führer waren viel mehr der als Feuerwehrmann
verkleidete bezahlte Brandstifter als der Patriot, der
die Menschen vor dem Feuer gerettet hat, wie uns die
offizielle Geschichtsschreibung glauben machen möchte.
Bis 1. Oktober 1990 waren die Truppen, die
in Ruanda einmarschierten, uniformierte Soldaten der
ugandischen Armee, die unter dem Befehl von Yoweri
Museveni stand, Präsident von Uganda und oberster
Befehlshaber. Die einmarschierenden Truppen bestanden
hauptsächlich aus Ruandern, die seit Revolution und
Unabhängigkeit Ruandas 1962 in Uganda gelebt hatten. Sie
waren seit 1981 in Kämpfe in Uganda verwickelt als Teil
der Guerillabewegung Nationale
Widerstandsarmee, bis diese 1986 die Macht in
Uganda übernahm und Yoweri Museveni Präsident
wurde. Am 28. September 1990 verließen 4.000
ugandische Soldaten und Offiziere einschließlich des
ehemaligen Armeekommandanten und ugandischen
Verteidigungsministers Fred Rwigyema ihre Kasernen, voll
ausgestattet mit Waffen und Fahrzeugen. Sie fuhren
hunderte Kilometer durch Uganda bis an die Grenze von
Ruanda und griffen dort am 1. Oktober die wenigen
ruandischen Grenzwachen an. Daraufhin stießen sie etwa
70 km in das Landesinnere Ruandas vor. Am 4. Oktober
standen die Invasionstruppen etwa 70 km vor der
ruandischen Hauptstadt Kigali. Überall auf der Welt würde dieser
Einmarsch am 1. Oktober als Invasion eines Landes durch
ein anderes bezeichnet. Es war kein Einbruch, kein
Bürgerkrieg, auch kein Ausbruch ethnischer Spannungen.
Das Wort dafür ist Invasion. Nach den Regeln der Gesetze
und entsprechend den Nürnberger Prinzipien, von denen in
Zusammenhang mit der ruandischen Tragödie so viel
geredet wird, handelt es sich bei dieser Invasion um
nichts weniger als das schlimmste Kriegsverbrechen, das
Verbrechen gegen den Frieden. Diese Invasion wurde von
Beginn an bestenfalls verharmlost, schlimmstenfalls
überhaupt verschwiegen. Eines der ärgsten Beispiele
dafür ist ein langer Artikel im New York Times Magazine
vom 15. September 2002 unter der Schlagzeile The
Minister of Rape (Die Ministerin für
Vergewaltigung). Kein Wort über die Invasion. Wir hören
nur, dass sich 1990 die Spannungen verstärkt
haben. 5 Ein Verbrechen dieser Größenordnung
sollte normalerweise eine scharfe internationale Reaktion
ausgelöst haben, besonders wenn man in Betracht zieht,
dass zur gleichen Zeit, als die ugandischen Truppen in
Ruanda einmarschierten, der ruandische Präsident
Habyarimana und der ugandische Präsident Museveni an
einer UNICEF-Konferenz teilgenommen haben. Darüber
hinaus hatte Präsident Habyarimana zwei Tage davor, am
28. September, der UNO Generalversammlung mitgeteilt,
dass seine Regierung allen ruandischen Flüchtlingen, wo
immer sie sich aufhalten, Staatsbürgerschaft und
Reisedokumente anbiete und alle aufnehmen würde, die
nach Ruanda zurückkehren wollten. Internationale Berichte über die Invasion
wiesen darauf hin, dass die Invasionsarmee Kigali bereits
eingenommen hatte bzw. dabei war, die Hauptstadt
einzunehmen. Bemerkenswert schnell boten die
amerikanischen Behörden Präsident Habyarimana
politisches Asyl in den Vereinigten Staaten von Amerika
an. Darüber hinaus hält sich beharrlich eine
Geschichte, die zwar sicher nicht richtig und angemessen,
aber umso hartnäckiger besagt, dass der ruandische
Präsident vor seiner Abreise den Botschafter der
Vereinigten Staaten von Amerika gefragt habe, ob sein
Land Informationen über eine ugandische Invasion habe.
Der Botschafter versprach, beim Geheimdienst dem
CIA nachzufragen und teilte Präsident Habyarimana
dann mit, es lägen keine derartigen Informationen vor
und er könne unbesorgt nach New York
fahren. Nachdem er von der Invasion erfahren
hatte, trat der ruandische Präsident sofort die
Heimreise an. Bei der Zwischenlandung in Belgien wurde
ihm ebenfalls politisches Asyl angeboten. Die belgischen
Medien berichteten in großer Aufmachung über den
militärischen Erfolg der Invasoren. Inzwischen blieb der ugandische Präsident
Museveni in den Vereinigten Staaten von Amerika, trotz
der schlimmsten Meuterei, die seine Armee in ihrer
Geschichte erfahren hatte, unter Beteiligung von Truppen,
Offizieren und Kriegsgerät. Obwohl er als
eingefleischter Militär und Fachmann für professionelle
und disziplinierte Armeen gilt, die Afrika so dringend
benötigt, entschied sich der Präsident von Uganda
dafür, in New York sitzen zu bleiben, während ein
großer Teil seiner geschätzten Armee revoltierte und in
ihren ugandischen Uniformen in ein anderes Land
einmarschierte. Der nämliche Yoweri Museveni war seit
Mitte der 1980er Jahre zum Liebling von IMF
(internationaler Währungsfonds), Weltbank und Diplomatie
der Vereinigten Staaten von Amerika geworden. Er war
einer der ehemaligen linken Guerillaführer, die sich zur
Lehre von verantwortungsbewusster Regierungsführung,
struktureller Anpassung und, wie es neuerdings den
Anschein hat, Neugestaltung der afrikanischen Geografie
bekehrt hatten. Die Vereinigten Staaten von Amerika
betrachteten Uganda als Bollwerk gegen den islamischen
Fundamentalismus in Sudan und Präsident Yoweri Museveni
als vertrauenswürdigen Verbündeten bei ihren geheimen
Operationen im Süden des Sudan. Der ehemalige Präsident
Carter beschrieb Museveni als einen der wichtigsten
afrikanischen Führer. Madeleine Albright sprach
von ihm als Leuchtfeuer der Hoffnung für
Afrika, während ihn der Journalist Philip
Gourevitch im New Yorker jahrelang als
graue Eminenz der neuen Führung in
Zentralafrika pries, ehe er ihn im Mai 2003 nach
einer überraschenden Kehrtwendung in einem konfusen
Artikel über den Kongo als Brandstifter in der
Maske des Feuerwehrmannes bezeichnete. 6
Wenig überzeugend distanzierte sich
Präsident Museveni von der Invasion, indem er
Unwissenheit und Überraschung vorschützte und sich
darüber beklagte, wie seine Offiziere und Mitkämpfer,
die zu Befehlshabern der RPF geworden waren, ihn im
Oktober 1990 ausgetrickst hätten. Obwohl ganz und gar
unaufrichtig, stellten Musevenis Ausflüchte seine
Freunde in der internationalen
Staatengemeinschaft zufrieden. Die Wahrheit
ist, sagte er in einer Rede 1991, dass diese
Leute ein Komplott geschmiedet haben, uns überrascht
haben und nach Ruanda gegangen sind, was nicht besonders
schwer war ... Wir hatten einige Informationen darüber,
dass die Banyarwanda in Uganda etwas vorhatten, aber
haben diese an die ruandische Regierung weiter gegeben. Diese
hatte bzw. sollte eigentlich mehr Informationen darüber
gehabt haben, weil es eigentlich ihre, nicht unsere
Aufgabe war herauszufinden, wer welche Anschläge plante.
7 Der hervorragende Präsident Museveni
möchte uns glauben machen, dass der Geheimdienst eines
Landes in diesem Fall Ruandas alle
Bewegungen und Operationen ganzer Regimenter der Armee
eines anderen Landes Ugandas ausspionieren
und beobachten und die erforderlichen Schritte
unternehmen sollte, um Meuterei, Aufstand und Aggression
gegen Nachbarn zu verhindern. Wenden wir diese
bestrickende Logik auf andere Länder in anderen
Kontinenten an: Was würde wohl passieren, wenn Kuba oder
Mexiko das gegen die Vereinigten Staaten unternehmen, was
laut Museveni Ruanda gegen Uganda unternehmen hätte
sollen? Was, wenn sie Schritte setzten, um sich gegen
Einmischung seitens der Vereinigten Staaten von Amerika
zu schützen? Was wäre, wenn Irland in dieser Weise
gegen das Vereinigte Königreich handelte? Oder Algerien
in Frankreich? Frankreich in Kanada? Indien in Pakistan?
China in Vietnam? Das ist offensichtlich lächerlich.
Sollen wir ihm glauben, weil es sich in Afrika
abspielt? Länder, die so miteinander umgehen, wie
Museveni es Ruanda nahegelegt hatte, provozieren einen
Krieg. Nichtsdestoweniger sollen wir glauben, dass die
Regierung von Ruanda einen ernsten Fehler begangen hat,
indem sie die ugandische Armee nicht ausspioniert und
nicht interveniert hat, um sie an der Invasion Ruandas zu
hindern. Dieser Fehler war dermaßen schwerwiegend, das
die graue Eminenz Afrikas Yoweri Museveni ihn
als Rechtfertigung dafür verwendete, die Meuterer in
seiner Armee nicht zu bestrafen. In seiner Rede fünf Jahre nach seiner
Machtergreifung und vier Monate nach der Invasion Ruandas
ließ Museveni keinen Zweifel an seinen Ansichten über
militärische Disziplin. Wie Sie wissen, sind wir
in Bezug auf Disziplin äußerst unnachsichtig. Es gibt
strikte Verhaltensregeln für die Nationale
Widerstandsarmee und den Umgang mit Soldaten, die
Verfehlungen begehen. Kein Soldat ist davon ausgenommen,
egal in welchem Rang. 8 Im August 1990, einen Monat vor dem
Einmarsch in Ruanda, hielt Präsident Museveni eine
Ansprache vor ugandischen Offizieren, darunter ohne
Zweifel auch denjenigen, die schon dabei waren, die
Invasion Ruandas vorzubereiten. Sein Thema war die
Bekämpfung konterrevolutionären Aufruhrs, und seine
vordringlichste Botschaft betraf die Wichtigkeit von
Disziplin, Treue, militärischer Ausbildung, Einheit und
Größe der Armee. Er plädierte auch für den Einsatz
geheimdienstlicher Information, wie immer man auch zu
dieser komme. Alle diese Elemente wirkten zusammen im
Kampf gegen Aufruhr. 9 Einen Monat nach dieser Rede sah der
gestrenge Vorgesetzte, der in einer Welt von
Verschwörung und Aufruhr aufgewachsen war untätig zu,
wie seine eigenen Truppen meuterten und in Ruanda
einfielen und dadurch Frieden und Sicherheit in ganz
Zentralafrika aufs Spiel setzten. Das waren nicht ein
paar niedere Offiziere. Ganze Regimenter waren beteiligt,
zuerst unter Führung des ehemaligen ugandischen
Verteidigungsministers Fred Rwigyema, der bei der
Invasion ums Leben kam, und dann unter dem ugandischen
Chef des militärischen Geheimdienstes Paul Kagame, der
schnell aus den Vereinigten Staaten von Amerika
zurückkehrte, wohin ihn Museveni zur militärischen
Schulung geschickt hatte. Die einmarschierenden
ugandischen Truppen, die bald unter dem Namen
Ruandische Patriotische Armee (RPF) bekannt
werden sollten, umfassten viele höhere Offiziere, 150
Offiziere der mittleren Ebene und sogar einige von
Präsident Musevenis eigenen Leibwächtern. In den folgenden dreieinhalb Jahren sah
Museveni weiterhin untätig zu, wie seine
ehemaligen Truppen in Uganda nach Belieben aus- und
eingingen. Uganda wurde zur Nachschubzone, aus der
Männer, Munition und Material an eine Armee geliefert
wurden, deren Ziel der Sturz der ruandischen Regierung
war. Obwohl Uganda offensichtlich an diesem Krieg
beteiligt war, drohte nie eine imperialistische Macht mit
der Bestrafung des Präsidenten Museveni oder mit
wirtschaftlichen Sanktionen gegen sein Land. Yoweri Musevenis Ansprache an die
Offiziere der ugandischen Nationalen Widerstandsarmee zum
Thema Wie man einen konterrevolutionären Aufstand
bekämpft liest sich wie ein Plan für Invasion und
Krieg, die einige seiner Offiziere bald in Ruanda gegen
Präsident Habyarimana führen würden. Der Unterschied
besteht darin, dass Musevenis Offiziere sich bald als
ruandische Aufständische oder
Rebellen bezeichnet haben. 10 Wir mussten das Konzept einer
´kleinen, aber effizienten´ Armee zurückweisen
... sagte er. Das wäre reiner Selbstmord.
Aufständische brauchen nicht viel zu unternehmen, sie
werden schon Erfolge erzielen, wenn sie einfach die
Bevölkerung terrorisieren, die Leute davon abhalten,
Güter für das Land zu produzieren, das Netzwerk der
öffentlichen Verwaltung durcheinander bringen und die
Kommunikationsstrukturen blockieren. Wenn der Staat
derlei Aktivitäten in größerem Ausmaß nicht
verhindern kann, wird das Land schnell verarmen und nicht
mehr in der Lage sein, seine Armee zu erhalten ... die
Aufständischen werden eine Situation des strategischen
Stillstands bewirken oder gar eine strategische
Gegenoffensive starten, um die Macht im Staat zu
erringen. Genau das geschah zwischen 1990 und 1994.
Darüber hinaus verlangte Präsident Museveni kurz nach
dem von ugandischen Offizieren geführten Einmarsch in
Ruanda, Ruanda solle einem Waffenstillstand zustimmen und
mit den Invasoren verhandeln, die jetzt unter dem Namen
RPF Ruandische Patriotische Front
auftraten. Das war der strategische
Stillstand, von dem er in seiner Rede im August
1990 gesprochen hatte.
Ruanda ist so klein. Was in aller Welt
können die Vereinigten Staaten von Amerika in einem
derart abseits gelegenen Platz schon wollen? Die Auffassung, dass sich Afrika
bestenfalls am Rand der internationalen Gemeinschaft
befindet und schlimmstenfalls völlig von dieser
abgeschnitten ist, geistert seit Jahrhunderten herum.
Angeblich ist Afrika für die großen Mächte in der Welt
uninteressant, außer um ihnen die Möglichkeit zu geben,
ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, oder um Almosen zu
empfangen und von der Barmherzigkeit dieser Mächte zu
profitieren. Diese Vorstellung ist tief eingewurzelt. Der
ehemalige kanadische Premier Jean Chrétien wiederholte
sie im April 2002 kurz vor dem G8-Gipfel in Kananaskis,
als er ankündigte, dass Afrika im 21. Jahrhundert Teil
der internationalen Gemeinschaft werden solle. Jean
Chrétien scheint nicht mitgekriegt zu haben, dass die
meisten afrikanischen Staaten seit der Erringung ihrer
Unabhängigkeit in den 1960er Jahren Mitglieder der UNO
waren. Als 1885 Europa sich daran machte, sich
auf Afrika zu stürzen, war die offizielle britische
Position die des zurückhaltenden Reiches,
das gezwungen war, die geheiligten britischen Inseln zu
verlassen, um sich um Afrika zu kümmern. Historiker
festigten diese Meinung. In einem berühmten Vortrag, der
erstmals 1883 erschien, stellte J.R. Seeley fest, das die
Expansion Englands nach Amerika und Asien als fast
zufällig zu verstehen sei. Es war ein Reich,
angeeignet in einem Zustand der geistigen
Abwesenheit. 11 Später wiesen
Historiker nach, dass England nicht so selbstlos war, wie
es sich den Anschein gab und dass die Ausdehnung des
Reiches der britischen kommerziellen Expansion auf dem
Fuße folgte die Fahne folgte dem Geschäft. Das gleiche Bild des
zurückhaltenden Reiches überwiegt in allen
Beschreibungen der Vereinigten Staaten von Amerika in
Zentralafrika im letzten Teil des 20. und jetzt im 21.
Jahrhundert. Darüber hinaus pflegte das
Außenministerium der Vereinigten Staaten von Amerika
sorgfältig und erfolgreich dieses Image, das kurz so
beschrieben werden könnte: Wir wollen nicht dort
sein, wir haben dort keine Interessen, wir sind nur die
ehrlichen Vermittler im Dienste der guten Sache für die
Menschen. Dass die Vereinigten Staaten von Amerika
erfolgreich dieses Image aufbauen konnten, zeigt die
Tatsache, dass so gut wie keine Publikationen sich
kritisch mit ihren strategischen Zielen in Afrika
beschäftigen. Die Diskussion der Rolle der Vereinigten
Staaten von Amerika dreht sich immer um Demokratie,
Menschenrechte, gute Regierung, Handel, und die
amerikanische Entschlossenheit, dass sich das somalische
Fiasko nicht wiederholen dürfe, in dem 18 US Soldaten
ums Leben kamen. Genau diesen Kurs hat Washington
bezüglich seines Vorgehens in Liberia gewählt. Obwohl sich der ehemalige UN
Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali nicht sicher
bezüglich der strategischen Interessen der Vereinigten
Staaten von Amerika in Ruanda war Ich habe
keine verlässliche Information darüber, sagte er
mir in einem Interview im November 2002, hatte er keinen
Zweifel in Hinblick auf den Kongo. Im Kongo ja,
ganz gewiss! Dort gibt es gewaltige Schätze.
Boutros-Ghali fügte hinzu, dass britische Geheimdienste
in der Region sehr aktiv seien durch den ugandischen
Präsidenten Museveni. Er sagte auch, dass der
Zwischenfall in Faschoda 1898, der als französische
Niederlage in Afrika gesehen wird, noch immer die
Köpfe der Menschen beherrscht. 12 Die Tatsachen widerlegen das Image des
zurückhaltenden Reiches. Für die
Vereinigten Staaten von Amerika wurden Uganda wie auch
Ruanda und Burundi in zunehmendem Ausmaß interessant,
sowohl aus wirtschaftlichen wie aus strategischen
Gründen in den späten 1980er und frühen 1990er
Jahren. Die Bedeutung einer Front gegen die
Expansion des Islam in Afrika durch den Sudan darf nicht
unterschätzt werden. Uganda verfügte über eine starke,
erfahrene Armee und wurde von einem Präsidenten
geführt, der bereit war, für die Vereinigten Staaten
von Amerika zu arbeiten. Die Unterstützung der
Vereinigten Staaten von Amerika für den christlichen
Aufstand im Süden von Sudan ging durch Kampala mit der
Hilfe von Musevenis Armee. Südafrika war zu dieser Zeit
unvorhersehbar. Ungeachtet der offiziellen
Anti-Apartheid-Position der Vereinigten Staaten von
Amerika blieb Südafrika weiterhin ein bedeutender
Alliierter und Washington machte sich Sorgen, was
passieren würde, wenn dieser Verbündete verloren
ging. Als ugandische Truppen in Ruanda
einmarschierten, hielt sich der zukünftige Führer Paul
Kagame, damals Chef des ugandischen militärischen
Geheimdienstes, zur Ausbildung in Fort Leavenworth,
Kansas, im Rahmen des internationalen militärischen
Ausbildungs- und Schulungsprogramms IMET auf. In der Tat
sollte die Mehrheit der ugandischen Militärs, die im
Rahmen des IMET-Programms in die Vereinigten Staaten von
Amerika geschickt worden waren, bald Kommandeure der RPF
Ruanda Patriotische Front werden. IMET wurde in den 1970er Jahren
gegründet. Es wird beschrieben als Instrument der
Beeinflussung, mit dem die Vereinigten Staaten von
Amerika das Verhalten militärischer Institutionen nach
innen wie nach außen so steuern können, wie es ihren
außenpolitischen Interessen entspricht. Das
IMET-Programm und seine neue Version Enhanced-IMET wurden
auch benützt, um ruandische Truppen für die Invasion
von Zaire im Jahr 1996
vorzubereiten. Die Vereinigten Staaten von Amerika
setzten offensichtlich große Hoffnungen in Yoweri
Musevenis Uganda. Zusätzlich zu den militärischen
Verbindungen beliefen sich die nicht-militärischen
Zuwendungen an Uganda zwischen 1989 und 1992 auf
insgesamt $ 183 Millionen, das Doppelte von dem, was die
Vereinigten Staaten von Amerika im selben Zeitraum für
Ruanda ausgaben. Es wurde gesagt, der Einmarsch ugandischer
Truppen nach Ruanda 1990 wäre gegen Kinshasa und nicht
Kigali gerichtet gewesen. Der folgende Krieg im Kongo und
das Gedränge westlicher Firmen um die Kontrolle der
immensen Rohstoffvorkommen im Kongo lässt diese
Interpretation als sehr plausibel erscheinen. Briten und
Amerikaner waren schon seit Ende des 19. Jahrhunderts
scharf auf die Ressourcen im östlichen Kongo. Nachdem es
mit der Gesundheit von Präsident Mobutu bergab ging und
seine Kontrolle über die Macht nachzulassen begann,
weckte die vorhersehbare Lücke den Appetit des
amerikanischen Reichs, das nach dem Fall der Sowjetunion
schon ganz kribblig war. Seit Beginn des Kriegs im Kongo 1996 ist
der Ansturm amerikanischer, belgischer, kanadischer,
britischer und französischer Gesellschaften auf
Diamanten, Gold und andere Bodenschätze in der Region
weitgehend dokumentiert und angeprangert worden. Eine
Internetsuche nach Kongo UND Diamanten,
Kongo UND Goldminen oder Kongo UND
Coltan führt zu zahlreichen verlässlichen Studien
mit Zahlen und Details über die Gesellschaften, die
kongolesischen Reichtum zusammengerafft haben. Vor dem
Krieg gehörten diese Rohstoffe Zaire und waren eine
wichtige Quelle für die Einkünfte dieses Landes. Jetzt
werden sie direkt von ausländischen Gesellschaften
kontrolliert und beschützt von Söldnerarmeen, die nach
der Invasion 1996 aufgebaut worden sind. Der wirtschaftliche Determinismus dieser
Schriften ist ihre hauptsächliche Schwäche. Die
eloquenten und ausführlichen Beschreibungen, wie
amerikanische und europäische Interessen sich
afrikanische Reichtümer angeeignet haben, werden durch
die Unterwürfigkeit untergraben, die sie der imperialen
Heuchelei entgegenbringen, die dem allen zugrunde liegt.
Diesem scheinheiligen Gerede entsprechend beschäftigen
sich die westlichen Mächte unter der Führung der
Vereinigten Staaten von Amerika mit Afrika, um
Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen, die Übel
Korruption, Diktatur, Gesetzlosigkeit und Völkermord zu
bekämpfen und um die Entwicklung zu fördern. Alles in
allem also nicht viel Neues. Als England Afrika
kolonialisierte, sollten die Menschen glauben, es sei das
Ziel, den arabischen Sklavenhandel auszumerzen und die
Situation der Afrikaner durch die christliche
Zivilisation zu verbessern.
Im Frühjahr 1993 erklärte der
Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika Warren
Christopher dem Afrikanisch-Amerikanischen Institut, dass
die Menschen in Afrika wissen, wo ihre Zukunft
liegt: nicht bei korrupten Diktatoren wie Mobutu, sondern
bei engagierten Demokraten in allen Teilen des
Kontinents. Von Senegal bis Benin, von Madagaskar bis
Mali errichten afrikanische Nationen starke demokratische
Institutionen. Was war nun Warren Christophers wirkliche
Botschaft? Erstens, dass die Vereinigten Staaten von
Amerika die Gebiete absteckten, auf die sie es abgesehen
hatten. Zufällig sind das alle Länder mit engen
Verbindungen zu Frankreich jedes der erwähnten
Länder ist Mitglied des Francophone Summit. Zweitens hat
Washington beschlossen, dass Mobutu, der den Vereinigten
Staaten von Amerika treu als antikommunistischer Mann
fürs Grobe gedient hatte, jetzt als Auslaufmodell zu
betrachten war, und dass der Wunsch der Afrikaner nach
einem Wechsel und ihr Aufstand gegen Mobutu benützt
werden sollte für den Ausbau amerikanischer Positionen
in Afrika. Der designierte starke Mann in Afrika
sollte jetzt Yoweri Museveni sein, obwohl sich der
ugandische Präsident um die sakrosankten Werte wie
Menschenrechte, Demokratie, Mehrparteiensystem und
wirtschaftliche Transparenz einen Dreck scherte.
Zurückblickend ergibt sich, dass, hätten sie jetzt die
Wahl, von der großen Anzahl von Kongolesen, die Mobutu
los sein wollten, sogar die militantesten lieber Mobutus
Zaire hätten als das Schlachtfeld Kongo, das der 1996
begonnene Krieg ihrem Land und seinen Menschen
aufgezwungen hat. Die offizielle Position der Vereinigten
Staaten von Amerika und der meisten europäischen Länder
bewegt sich zwischen Zurückhaltung und Desinteresse.
Trotzdem hat sich ihr diplomatisches, wirtschaftliches,
politisches, rechtliches und militärisches Engagement
zwischen 1990 und 2003 exponentiell entwickelt. Die
Einmischung ist viel direkter geworden und bewegt sich
sehr oft außerhalb der offiziell anerkannten Bahnen, in
denen sich internationale Beziehungen abspielen
sollten.
Die ruandische Regierung reagierte scharf
auf die Invasion und wurde unterstützt von Frankreich,
Zaire und Belgien, wobei Belgien sich kurz danach gegen
die ruandische Regierung wandte. Bei dem Einmarsch
standen ugandische Truppen mit jahrelanger Kampferfahrung
in Uganda gegen eine kleine ruandische Armee, die seit
1969 nicht mehr gekämpft hatte. Präsident Habyarimanas
Regierung setzte auch innenpolitische Schritte und
verhaftete wenig überraschend um die 8.000
ruandische Bürger, hauptsächlich Tutsis, und hielt sie
fest für Zeiträume von einigen Tagen bis zu sechs
Monaten. Die unerschrockenen Vertreter der in New
York ansässigen Organisation Africa Watch (ehemals Human
Rights Watch / Africa) behaupteten sofort, dass diese
Verhaftungen als Beweise für schwerwiegende
Menschenrechtsverletzungen anzusehen seien. In ihrem
20/20 Rückblick wurden die Verhaftungen zum Nachweis
für die genozidalen Absichten führender Politiker in
der ruandischen Regierung. Africa Watch schlug Alarm und
hat seither nicht aufgehört Alarm zu schlagen. Ausländische Diplomaten aus Belgien, den
Vereinigten Staaten von Amerika, der Schweiz und Kanada
missbilligten die Vorgangsweise der Regierung von Ruanda.
Der belgische Botschafter Johann Swinnen eilte zum
Stadion von Kigali, wo die Gefangenen festgehalten wurden
und verurteilte zu deren Freude die ruandische Regierung
wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen hätten sie
es doch auch so eilig gehabt, als Pinochet tausende in
einem Stadion in Santiago in Chile eingesperrt hatte.
Diese westlichen Mächte hatten offensichtlich die
Absicht, Präsident Habyarimana zu warnen, dass harte
Zeiten bevorstünden und dass seine Tage wahrscheinlich
gezählt seien. Einige Fragen müssen gestellt werden, ehe
wir uns eingehender mit dieser Geschichte befassen. Ist es normal, bei der Suche nach
Gerechtigkeit eine Partei in einem Krieg wegen
Verstößen gegen die Menschenrechte zu verdammen,
während die rechtliche Position von Aggressoren, die
gegen alle Grundsätze des Völkerrechts verstoßen
haben, gar nicht in Frage gestellt wird? Ist es
gerechtfertigt, sich lautstark über die
Rechtsverletzungen einer Regierung aufzuregen, während
die Entfesselung eines aggressiven Krieges einfach
ignoriert wird? Für die weitaus überwiegende Mehrheit
westlicher Menschenrechtsorganisationen und ihrer
Vertreter scheint es völlig in Ordnung zu sein, die
Invasoren reinzuwaschen und das überfallene Land, seine
Führer und Menschen anzuprangern. An prominenter Stelle
finden wir Alison Des Forges, eine allgegenwärtige
amerikanische Ruanda-Aktivistin, die stapelweise Berichte
einschließlich des Africa Watch Reports über die
Verhaftungen verfasst hat. In einer Aussage unter Eid in
einem Hearing in Montreal 1995 erklärte Frau Des Forges,
dass Menschenrechtsaktivisten nicht die Frage
untersuchen, wer Krieg führt. Wir sehen Krieg als Übel
und wir versuchen zu verhindern, dass ein Krieg als
Entschuldigung für massive Menschenrechtsverletzungen
verwendet wird. Es ist wie wenn sich der
Hauseigentümer gegen bewaffnete Einbrecher verteidigt.
Die Justiz sperrt den Hausbesitzer wegen Waffenbesitz ein
und lässt den Räuber laufen. Die Weigerung seitens der
Menschenrechtsorganisationen, das schlimmste Verbrechen
gegen die Menschenrechte, nämlich die Invasion zu
verurteilen, entwertet alle Berichte, die sie
veröffentlicht haben und schwächt die Fundamente, auf
denen die richtige und angemessene Geschichte
beruht. Sie liefert den traurigen Beweis dafür, mit
welcher Leichtfertigkeit viele dieser Gruppierungen ihre
Arbeit betreiben und enthüllt auch das schweigende
Einverständnis zwischen ihnen und den großen westlichen
Mächten, die über weit mehr Einfluss verfügen als sich
die ruandische Regierung je erträumen könnte. Am
schlimmsten ist allerdings, wie mit zweierlei Maß
gemessen wird, wenn es um Afrika geht. Die gleichen
Gruppen würden es nie wagen, die gleichen Maßstäbe im
Falle eines Krieges in ihren oder seitens ihrer eigenen
Länder anzulegen. In seinem bedeutenden Discourse on
colonialism (erschienen 1955) prangerte Aimé
Césaire die Doppelmoral an, die er unter europäischen
Humanisten beobachtete. Obwohl viele Humanisten im
Zweiten Weltkrieg Nazigegner waren, vermieden sie es,
sich am Kampf gegen den Kolonialismus zu beteiligen.
Und das ist mein großer Vorwurf gegen den
Pseudo-Humanismus, schrieb Césaire, dass er
zu lange die Menschenrechte reduziert hat, dass seine
Auffassung dieser Rechte eng und lückenhaft,
unvollständig und einseitig, und insgesamt gesehen
erbärmlich rassistisch war und noch immer
ist. 14 8000 Ruander wurden von der Regierung
Habyarimana gefangen genommen, aber alle wurden innerhalb
von sechs Monaten entlassen. Für ein Land, das
überfallen worden ist, ist weder diese Anzahl noch die
Dauer der Arreste als exzessiv anzusehen, besonders
wenn man die Enthüllungen ehemaliger Führer und
Kollaborateure der RPF in Betracht zieht. Einer von
diesen ist Valens Kajeguhakwa, ein Geschäftsmann und
einer der wichtigsten Geldgeber der RPF. 2001 zwang ihn
sein ehemaliger Kriegskamerad Paul Kagame, das Land zu
verlassen. Kajeguhakwa, der auch Präsident Habyarimana
nahe gestanden war, ehe er 1990 der RPF beitrat,
veröffentlichte ein Buch, in dem er sich selbst
beschrieb als die Brücke, die geheim die Aktionen
der Patrioten außerhalb und in Ruanda koordinierte
15 Er rühmt sich der unschätzbaren Rolle
seines ausgedehnten Netzwerks von zivilen und
militärischen Informanten, das er sorgfältig aufgebaut
hatte und das durch alle Bereiche Ruandas bis in die
höchsten Ränge der Regierung
reichte.
Sie saßen in der Armee, in der
Gendarmerie, in den Ministerien, in allen größeren
öffentlichen und privaten Gesellschaften, in der
Nationalbank von Ruanda, in Pfarrämtern, in den Märkten
in Kigali, Butare, Ruhengeri und Gisenyi, in den
Universitäten in Butare und Nyakinama, in den
Gefängnissen in Gisenyi und Ruhengeri. Valens
Kajeguhakwa verließ Ruanda in Richtung Uganda kurz vor
der Invasion im Oktober 1990. In seinem Buch betont er,
dass er sicherstellte, dass sein Netzwerk während seiner
Abwesenheit weiterhin für ihn und die RPF
Ruandische Patriotische Front arbeitete. Führer der RPF behaupten, dass am 1.
Oktober 1990 in Ruanda 36 geheime Zellen gearbeitet
hätten. Die Zahl dieser Zellen wuchs ständig an, als
die Invasoren vordrangen und besonders nachdem sie
internationale Anerkennung und Unterstützung bekamen.
Den gleichen Quellen ist zu entnehmen, dass 1993 die RPF
allein in Kigali 146 geheime Zellen aktivieren konnte. 16
Seit dem Spanischen Bürgerkrieg gibt es eine präzise
Bezeichnung für solche Zellen: Fünfte Kolonne. In
Ruanda lief und läuft diese Fünfte Kolonne allerdings
zweckdienlich unter dem Titel unschuldige
Menschenrechtsaktivisten.
Die Zahl der Festnahmen und ihre Dauer
waren beschränkt. Nachdem das Gedächtnis in mächtigen
Ländern immer selektiv und immer sehr schlecht ist,
sollen ein paar Vergleiche helfen. Nach Professor Panikos Panayi, der das
Problem von Minderheiten in Kriegszeiten untersucht hat,
hat die systematischste Verfolgung rassischer und
ethnischer Minderheiten der jüngeren Vergangenheit in
den beiden Weltkriegen stattgefunden. Niemand, der das
20. Jahrhundert studiert, wird sich dieser Erkenntnis
entziehen können. In der Tat wird der
Geschichtsforscher, mit welcher Periode der menschlichen
Entwicklung er immer sich beschäftigt herausfinden, dass
es in den Jahren 1914-18 und 1939-45 zu beispiellosen
Auswüchsen von Intoleranz gegen Außenseiter gekommen
ist. 17 Professor Panayi kritisiert auch
das Fehlen von Forschungsarbeiten über Minderheiten in
Kriegszeiten.
1914 wurde Kanada automatisch von England
in den Ersten Weltkrieg hineingezogen, als es am 4.
August 1914 den Krieg erklärte, aber das Land wurde
nicht besetzt. In der Tat war es seit 1812 nicht besetzt
worden. Zwei Wochen nach Beginn des Krieges in Europa
beschloss das kanadische Parlament trotzdem ein
Notstandsgesetz, das der Regierung freie Hand gab,
Menschen festzunehmen, festzuhalten, auszuschließen und
zu deportieren. Unter diesem Gesetz konnte die Regierung
bedingte Entlassungen ablehnen und die bürgerlichen
Freiheitsrechte für jede Person aufheben, die
verdächtig war, ein feindlicher Fremder zu sein. Kanada
internierte 8.579 Menschen in
Konzentrationslagern die im Burenkrieg
erfundene Bezeichnung war noch immer salonfähig. Die
meisten waren Ukrainer, welche die kanadischen Beamten
irrtümlich für Österreicher hielten. Mit Fortschreiten des Krieges entwickelten
sich naturalisierte Kanadier deutscher Herkunft, viele
von ihnen bereits in Kanada geboren, von unter
unseren besten Einwanderern, weiße Menschen wie wir
selbst wie J.S. Woodsworth bemerkte, zu
Untermenschen oder blutrünstigen
Irren. 18 1917 entzog das Parlament
unter dem Beifall eines großen Teils Englisch-Kanadas
zehntausenden naturalisierten Kanadiern das Wahlrecht,
die meisten von diesen stammten aus der Ukraine. Während des Zweiten Weltkriegs
internierte Kanada 21.000 der 22.086 Einwohner
japanischer Herkunft. 91% dieser Internierten waren
kanadische Staatsbürger. Offiziell
evakuierte Kanada die Kanadier japanischer
Herkunft und verteilte sie über das ganze Land hinweg,
in manchen Fällen bis zu 5.000 km von ihren Wohnorten
entfernt. Ihr gesamter Besitz wurde beschlagnahmt,
Farmen, Häuser und Fischerboote - und nie
zurückgegeben. Nachdem der Krieg vorbei war, durfte
keiner nach British Columbia zurückkehren und 3.000
Kanadier japanischer Herkunft wurden nach Japan
deportiert. Die Vereinigten Staaten von Amerika
internierten alle Bürger japanischer Herkunft nach dem
Angriff auf Pearl Harbour. Es soll nicht verschwiegen
werden, dass es in Pearl Harbour keine Invasion gab und
dass das Festlandgebiet der Vereinigten Staaten von
Amerika davon nicht berührt wurde. Die Volkszählung
1940 ergab, dass 116.947 Einwohner der Vereinigten
Staaten von Amerika japanischer Herkunft waren. 1943
internierte evakuierte, wie der
offizielle Euphemismus lautete - dieses Land alle 119.803
Männer, Frauen und Kinder japanischer Herkunft. 19 In Kriegszeiten werden Länder ganz
hysterisch bezüglich der Loyalität ihrer Bürger. Jede
Minderheit und jede Volksgruppe wird verdächtig. 1917
machten Londoner einen Aufstand gegen Juden, die
beschuldigt wurden, Gegner der Wehrpflicht zu sein. In
den Vereinigten Staaten von Amerika wurden Angehörige
verdächtiger Minderheiten geteert und gefedert oder
sogar gelyncht. In Kanada wurde die Loyalität der
Frankokanadier in beiden Weltkriegen sofort in Frage
gestellt, wie auch bereits im Burenkrieg. Im Zweiten
Weltkrieg wurden die französisch sprechenden Kanadier
wegen ihrer Opposition gegen die allgemeine Wehrpflicht
Zombies genannt. Ehemalige koloniale Besitzungen stehen
unweigerlich ganz oben auf den Verdächtigenlisten
kriegsführender Länder. Irland zum Beispiel war seit
1922 unabhängig von England und blieb während des
Zweiten Weltkriegs neutral. Als Winston Churchill diese
ehemaligen Untertanen Ihrer Majestät verdächtigte, zu
großer Sympathien für die Deutschen zu hegen, drohte
er, alle irischen Häfen zu bombardieren. Die Behandlung von Minderheiten in
Kriegszeiten bedarf noch vieler weiterer Forschung. So
viel ist allerdings bereits bekannt, dass man sagen kann,
dass die selbstgerechten Menschenrechtsaktivisten in
Europa und Nordamerika gut daran täten, sich mit den
Vorgängen in ihren eigenen Ländern zu beschäftigen,
ehe sie sich auf Ruanda stürzen.
Die Invasionsarmee den
richtig Denkenden als Befreiungsarmee
bekannt, stellte sich auf einen anhaltenden Guerillakrieg
ein, nachdem sie erkannte, dass die ruandische Armee
stärker war als angenommen. Ende Oktober 1990 zog sich
die RPF teilweise nach Uganda zurück, das sie als
Ausgangsbasis für Guerillaangriffe verwendete.
Jedenfalls stimmte im November Belgien in den Aufruf
Ugandas an Ruanda ein, Verhandlungen mit der
Invasionsarmee zu beginnen. Hier war er, der
strategische Stillstand, von dem der
ugandische Präsident im August 1990 gesprochen hatte.
Die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte
Königreich stimmten bald in den Ruf nach Verhandlungen
ein. Obwohl die RPF in all ihren
internationalen Presseerklärungen auf Englisch und
Französisch von Befreiung und Menschenrechten sprach,
ließen ihre Äußerungen auf Kinyarwanda (der allgemein
gesprochenen Sprache, d.Ü.) keinen Zweifel offen, dass
sie in Ruanda den Zustand vor Erreichung der
Unabhängigkeit wieder herstellen wollte, in dem die
Tutsi-Minderheit dominiert hatte. 20 Dem
entsprechend führte sich die RPF auf wie jede andere
Okkupationsarmee. Sie attackierte und terrorisierte
Zivilpersonen, zwang viele von ihnen in die Flucht und
griff eher die Hutu-Bauern an als die ruandischen
Truppen. Welche Befreiungsarmee kann sich dessen
rühmen, eines der am dichtesten besiedelten Gebiete des
Landes und der Erde geleert zu haben? Zweieinhalb Jahre
nach der Invasion lebten nur mehr 1.800 Menschen in einem
Gebiet in Nordruanda, das zuvor 800.000 Einwohner gehabt
hatte. In dem Ausmaß, in dem die Befreier
vordrangen, flohen die Hutu-Bauern. Im April 1993 hatte
Ruanda über eine Million Binnenflüchtlinge. Das sind
eine Million Bauern (ein Siebtel der Gesamtbevölkerung),
die nicht mehr die fruchtbarsten Böden des Landes
bebauen konnten. Eine Million Menschen, die untergebracht
und ernährt werden mussten, und hunderttausende Kinder,
die nicht die Schule besuchen konnten, was große Sorgen
bei den Eltern hervorrief. Der ruandische Landwirtschaftsminister
James Gasana beschrieb 1992 die Situation im
kriegsverwüsteten Bezirk Byumba nördlich von Kigali in
einem Buch, das 2002 erschienen ist. Ein Bezirk,
der Brotkorb des Landes gewesen war, hatte jetzt die
größte Zahl von Hilfsbedürftigen und die höchste
Sterblichkeitsquote durch Unterernährung. 21 Wann haben wir schon Menschen vor ihren
Befreiern fliehen gesehen? Das geschah weder in
Frankreich (1940-1945), noch in Kuba (1951-1959), noch in
Algerien (1954-1962). Die richtige und angemessene
Geschichte will uns weismachen, dass die
RPF-Invasionsarmee Befreier waren. Diese Befreier konnten auch
auf einen mächtigen Verbündeten zählen. Dieser
Verbündete namens Struktur-Anpassungs-Programm oder SAP
wurde gleichermaßen von Weltbank, Internationalem
Währungsfonds und USAID eingeführt. Abkürzungen tragen
oft eigene Botschaften, besonders bemerkenswert in diesem
Fall in englischer Sprache SAP und auf
Französisch PAS (Programme dajustement
structurel). Die Botschaft könnte nicht deutlicher
sein: PAS dargent (kein Geld) wenn ihr nicht
die Fundamente der Gesellschaft untergrabt (SAP), die ihr
seit 1960 aufgebaut habt. Das bedeutet Deregulierung der
Wirtschaft, Abwertung der Währung, Ende der
Agrar-Subventionen, Privatisierung von öffentlichen und
Einrichtungen in staatlichem Besitz, Abbau von Beamten
und so weiter. Die Auswirkungen auf Ruanda waren sofort
spürbar. Die Inflation wuchs von 1% 1989 auf 20% 1991.
Die Abwertung der Währung war noch schlimmer. 1990 war
ein US Dollar 82 ruandische Francs wert. 1993 stand er
auf 183 ruandischen Francs. Die Drahtzieher von Weltbank, IMF und
USAID wussten genau, was passieren würde. Sie konnten
sehen, wie sich eine Fraktion der Armee ihres Freundes,
des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni gegen eine
Regierung unter der Führung von Juvénal Habyarimana
stellte. Während Museveni Afrika aufrief, seine
anti-neokoloniale Rhetorik einzustellen und laut und
deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass die Probleme
Afrikas hausgemacht seien, betrieb der ruandische
Präsident Habyarimana eine relativ prosperierende und
stabile Wirtschaft, hatte aber nicht so viel übrig für
das neue Dogma, das die Bretton Wood-Institutionen so
eifrig propagierten. Privatisierung und völlig freie
Marktwirtschaft stellten für Ruanda besondere Probleme
dar. Die Revolution 1959 und die Erringung der
Unabhängigkeit in Verbindung mit einem wachsenden
öffentlichen Sektor hatte die ruandischen Hutus in die
Lage versetzt, wirtschaftliche Macht und Prestige zu
erringen. Der private Sektor mit viel höheren Einkommen
blieb weiterhin weitgehend in den Händen von Tutsis. Die
aggressive Privatisierung und Deregulierung in Verbindung
mit dem StrukturAnpassungsProgramm bedeutete unweigerlich
einen Rückschritt zu den Zuständen, die seit den 1960er
Jahren überwunden worden waren und eine Stärkung der
Machtpositionen der Tutsis in der Wirtschaft. Die Strukturanpassung hatte eine weitere
perverse Auswirkung auf Ruanda. Mittel wurden vergeben an
Länder, die ihre Armeen reduzierten. Als die ugandischen
Truppen in Ruanda einmarschierten, verkleinerte Uganda
offiziell seine Armee. Auf dem Papier gehörten all die
ugandischen Truppen in Ruanda nicht länger zu Musevenis
Armee. Die Zahlungen an Uganda gingen daher entsprechend
in die Höhe. Aufgrund der gleichen Politik bekam Ruanda
weniger Geld, da die Regierung Habyarimana die Armee um
das Dreifache aufstockte, um die Invasoren zu bekämpfen.
Die auf diese Weise gewonnen Mittel benützte Uganda, um
den Krieg in Ruanda zu finanzieren. James Gasana,
Verteidigungsminister von Ruanda bis 1993 verfasste eine
beißende Kritik an dieser Politik. Es ist kein
Geheimnis, dass Gelder, die zwei gegenseitig im Krieg
befindlichen arme Länder bekommen, zur Beschaffung von
Waffen verwendet werden. Diese verdeckte Finanzierung
durch internationale Entwicklungsbanken verhinderte, dass
die internationale öffentliche Meinung die
internationale Natur dieses Krieges verstehen
konnte. 22 Jedes Mal, wenn die ruandische Regierung
mit den Invasoren nicht verhandeln wollte oder in
Verhandlungen Widerwillen an den Tag legte, übten die
Banker in New York und Washington auf Kigali Druck aus,
indem sie sich weigerten, Gelder auszuzahlen, welche die
Regierung brauchte und mit denen sie rechnete. Jedes Mal,
wenn die RPF neue internationale Anerkennung bekam, sank
entsprechend die Moral der ruandischen Streitkräfte,
denen zunehmend der Eindruck vermittelt wurde, sie
kämpften gegen die gesamte Welt. Jeder, der die Augen
offen hatte, konnte leicht vorhersagen, dass der Krieg
die latente Feindschaft zwischen Hutu-Mehrheit und
Tutsi-Minderheit zunehmend verschärfte. Wie zu erwarten war, hatte sich der
Ausdruck Friedensprozess in das Vokabular der
internationalen Staatengemeinschaft unter Führung der
Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten
Königreichs eingeschlichen. Der
Friedensprozess sollte in Arusha in Tansania
beginnen. Im Kern bedeutet Friedensprozess Krieg
Krieg, in dem die Auftraggeber den Sieger bestimmen, ehe
die von ihnen einberufenen Treffen stattfinden. In den
Verhandlungen geben sie vor, neutral zu sein. Mit der
Zeit ziehen sie die Schlinge um den Hals des
vorherbestimmten Verlierers zu und bereiten den Boden
für die Einrichtung einer Regierung, die völlig ihrem
Willen unterworfen ist. Alle ordentlichen Menschen haben
von Friedensprozess gesprochen, natürlich auch von
Mehrparteiendemokratie.
5 The Minister of Rape, New
York Times Magazine, Sunday, September 15, 2002, p. 1. 6 Philip Gourevitch, The Congo Test in
The New Yorker, May 30, 2003. 7 Yoweri Museveni, What is
Africas problem?, University of Minnesota
Press 2000, p. 106. 8 Ibid. p. 178. 9 Ibid. p. 132. 10 Ibid. How to fight a
Counterrevolutionary Insurgency, pp. 132-140. 11 J. R. Seeley, The Expansion of England,
Chicago and London, 1971, p. 12. 12 Fashoda war eine Festung am Oberen Nil
(jetzt im Sudan). Französische und britische
Militärmissionen trafen sich dort am 18. September 1898.
Frankreich wollte eine Reihe von Festungen von West nach
Ost quer durch Afrika errichten - von Dakar bis Djibouti.
Die Briten wollten eine Eisenbahn von Uganda nach
Ägypten bauen und damit ihre "Besitzungen" in
Afrika von Süd bis Nord verbinden - vom Kap bis Kairo.
Im November 1898 zog sich Frankreich aus Fashoda zurück
und überließ es den Briten. In der Folge wurde
beschlossen, dass die Oberläufe von Nil und Kongo die
Grenze zwischen französischer und britischer
Einflusssphäre bilden sollten. 13 McNair Paper Number 44, Chapter 6,
October 1995. Institute for National Strategic Studies. 14 Aimé Césaire, Discourse on
Colonialism, Monthly Review Press, 1972, p. 15. 15 Valens KAJEGUHAKWA, Rwanda : de
la terre de paix à la terre de sang et après?,
Éditions Rémi Perrin, 2001, p. 223. 16 William Cyrus REED, Exile, Reform
and the Rise of the RPF, Journal of Modern African
Studies, Vol. 34, No. 3, 1996, pp 479-501. 17 Panikos PANAYI, ed. Minorities in
wartime : national and racial groupings in Europe,
North America, and Austrialia during the two world wars, Oxford (England) Berg, 1993, p.
3. 18 J.S. Woodsworth, Strangers Within
Our Gates, cited in John Herd THOMPSON, Ethnic
Minorities during Two World Wars, Ottawa, 1991,
Canadian Historical Association. 19 Roger DANIELS, Concentration
Camps : North America, Japanese in the United States
and Canada During World War II, Krieger Publishing,
FL USA, 1981. 20 Enjeux nationaux et dynamiques
régionales dans lAfrique des Grands lacs,
Journée dÉtude, Lille, June 20, 1992, under the
direction of André GUICHAOUA, URA Tiers-Monde/Afrique. 21 James K. GASANA, Rwanda : du
parti-état à létat-garnison,
LHarmattan, 2002, p. 89. 22 GASANA, op. cit. p. 76 |
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