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"Vielleicht stehen wir nicht vor dem Great Reset, sondern an der Schwelle zum Great Awakening?" (aus einer Leserzuschrift)

     
 

Das Kriegskriterium

Geleakter Mitschnitt eines Gesprächs führender Luftwaffenoffiziere zeigt: Diese diskutierten ukrainische Taurus-Angriffe auf die Brücke zur Krim. Liefere Deutschland die dafür nötigen Daten, sei das als „Kriegskriterium“ zu werten.

German Foreign Policy

 

BERLIN/MOSKAU/LONDON (Eigener Bericht) – Offiziere der Bundeswehr diskutieren Angriffe der ukrainischen Streitkräfte mit deutschen Waffen auf Ziele in Russland. Dies geht aus dem Mitschnitt einer von russischen Geheimdiensten abgehörten Webex-Videokonferenz hervor, die vier Offiziere der Luftwaffe kürzlich abhielten, darunter deren Inspekteur Ingo Gerhartz. Demnach sei es etwa machbar, die Brücke von Kertsch mit „10 oder 20“ Stück des Marschflugkörpers Taurus zu zerstören. Allerdings setze dies voraus, dass deutsche Daten dafür zur Verfügung stünden. Dies wiederum erfülle das „Kriegskriterium“, urteilten die vier Offiziere; Deutschland trete damit in den Krieg mit Russland ein. Liefere man aber den Taurus, ohne deutsche Daten zur Verfügung zu stellen, sei dessen Wirkung deutlich reduziert. Die Offiziere spekulierten außerdem darüber, ob britische Soldaten, die in der Ukraine im Einsatz seien, bei Taurus-Angriffen Unterstützung leisten könnten. London hatte bereits vergangene Woche wütend auf Äußerungen von Kanzler Olaf Scholz reagiert, denen zufolge britische Militärs ukrainische Raketenangriffe aktiv unterstützten. Scholz sei, hieß es, „der falsche Mann zur falschen Zeit im falschen Job“.

 

Die Brücke von Kertsch

 

Der Mitschnitt der Webex-Videokonferenz der vier deutschen Luftwaffenoffiziere, die laut Berichten am 19. Februar stattgefunden hat [1], belegt zunächst, wie konkret die Bundeswehr mögliche Angriffe auf russische Ziele in den Blick nimmt. Dabei geht es nicht nur um Angriffe auf Munitionsdepots, sondern insbesondere auch um eine etwaige Zerstörung der Brücke von Kertsch. „Wir alle wissen ja“, dass Kiew „die Brücke rausnehmen“ wolle, äußerte Luftwaffeninspekteur Gerhartz; man wisse aber „auch, was es am Ende bedeutet“.[2] Die Brücke wird primär zur zivilen Versorgung der Krim genutzt; sie steht zum größeren Teil auf altem, auch vom Westen als solches anerkanntem russischen Territorium. Jeder Angriff auf sie ist damit eine Kriegshandlung gegen Russland selbst. Man habe sich die „Brücke ... intensiv angeguckt“, hieß es auf der Videokonferenz; sie sei „schwer zu erreichen, und die Pfeiler sind relativ klein“. Mit dem Marschflugkörper Taurus aber könne man sie treffen. Ein Offizier teilte mit, er habe „Routen rausgesucht“ und sei zu dem Ergebnis gekommen, die Brücke sei „reachable“ („erreichbar“). Ein anderer schränkte ein, „aufgrund ihrer Größe“ sei damit zu rechnen, dass man zur Zerstörung der Brücke vermutlich „10 oder 20 Flugkörper“ benötige. Eine geringe Zahl reiche voraussichtlich nicht aus.

 

„Beteiligt ist beteiligt“

 

Der Mitschnitt belegt darüber hinaus, dass die ukrainischen Streitkräfte den Taurus zwar eigenständig einsetzen könnten, dass die gewünschte Wirkung aber nur mit aktiver deutscher Beteiligung zu erzielen ist. Demnach müssen nicht nur ukrainische Militärs an der Waffe ausgebildet werden. Für den Einsatz des Taurus sind darüber hinaus Daten erforderlich, die aus Deutschland in die Ukraine übermittelt werden müssen – insbesondere präzise Zieldaten. Am einfachsten sei es, die Daten mit einer gesicherten Leitung vom Fliegerhorst Büchel in die Ukraine zu übertragen, hieß es auf der Webex-Konferenz. In Büchel sind die Tornados stationiert, die den Taurus abschießen können.[3] Zur Verschleierung könne man entweder einige Soldaten aus Büchel „nach Schrobenhausen“ schicken und die Datenübertragung vom dortigen Standort des Herstellers MBDA aus vornehmen, erörterten die Offiziere. Alternativ sei es möglich, die nötigen Datensätze „mit dem Auto“ nach Polen zu bringen und dort die Übergabe an ukrainische Stellen zu organisieren. Um das „Kriegskriterium“ – die Tatsache, dass man sich mit der Übermittlung von Daten an einem Angriff auf Russland beteilige, also aktiv in den Krieg eintrete – komme man allerdings nicht herum: „Beteiligt ist beteiligt“. Wolle man das vermeiden, müsse man die Ukrainer „etwas länger ausbilden“; diese könnten den Taurus mangels Daten dann auch nur eingeschränkt nutzen.

 

Spezialkräfte in der Ukraine

 

Als etwaige Alternative wurde auf der Videokonferenz eine Bitte um Unterstützung an die britischen Streitkräfte genannt. Das Thema ist überaus heikel. Dass Spezialkräfte aus NATO-Staaten in der Ukraine operieren, ist nicht neu. Bereits im April 2022 berichtete die Londoner Times unter Berufung auf ukrainische Soldaten, in dem Land seien nicht nur außer Dienst gestellte, sondern auch reguläre britische Spezialkräfte aktiv – freilich nur in der Ausbildung ukrainischer Truppen und dies vor allem an britischen Waffensystemen.[4] Im April 2023 wurde durch geleakte US-Dokumente bekannt, dass im Vormonat nahezu 100 NATO-Spezialkräfte in der Ukraine operierten, darunter 50 aus Großbritannien, 17 aus Lettland, 15 aus Frankreich, 14 aus den USA und einer aus den Niederlanden.[5] Details über ihre Aktivitäten blieben allerdings unklar. In der vergangenen Woche wurde ein Beamter aus den europäischen Militärbürokratien mit der Feststellung zitiert: „Alle wissen, dass westliche Spezialkräfte in der Ukraine sind – sie geben es nur nicht offiziell zu.“[6]

 

Strategieberatung für Kiew

 

Bekannt ist auch, dass führende Generäle aus NATO-Staaten die ukrainische Militärführung bei der Planung ihrer Operationen „beraten“ bzw. anleiten. So hat Berichten zufolge der Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa, Christopher Cavoli, umfassende Gespräche über die ukrainische Kriegsstrategie geführt. Im Dezember 2023 hieß es zudem, die Planungen der ukrainischen Armee würden in sogenannten war games am Standort der US-Streitkräfte in Wiesbaden-Erbenheim auf ihre Realisierbarkeit überprüft.[7] Vergangene Woche berichtete die Londoner Times unter Berufung auf interne Quellen, der britische Generalstabschef Admiral Tony Radakin habe im Sommer 2023 bei der Arbeit an der ukrainischen Strategie zuverlässig zwischen Washington und Kiew vermittelt, weil die USA nicht allzu offenkundig als Planer ukrainischer Operationen hätten in Erscheinung treten wollen. Radakin selbst sei vor allem für die Kiewer Kriegskampagne gegen Russlands Schwarzmeerflotte hilfreich gewesen. Zudem habe er die Unterstützung weiterer NATO-Spitzenmilitärs koordiniert.[8]

 

Diplomatische Krise

 

Was mutmaßliche Aktivitäten britischer Soldaten in der Ukraine anbelangt, hatte vergangene Woche Bundeskanzler Olaf Scholz heftigen Unmut in London ausgelöst. Scholz hatte, um zu erläutern, warum er eine Lieferung des Taurus an die ukrainischen Streitkräfte ablehne, erklärt, „das, was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht“ werde, könne „in Deutschland nicht gemacht werden.“[9] Damit hatte er eine aktive Beteiligung britischer Soldaten an der Durchführung ukrainischer Raketenangriffe auf russische Ziele und damit britische Kriegsbeteiligung impliziert. Dies sei „falsch, unverantwortlich und für Verbündete ein Schlag ins Gesicht“, beschwerte sich kurz darauf Alicia Kearns, Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im britischen Unterhaus. Der ehemalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace, der einst die Lieferung von Storm Shadow-Raketen an die Ukraine durchsetzte, erklärte wütend, Scholz sei „der falsche Mann zur falschen Zeit im falschen Job“.[10] François Heisbourg, ein Experte des Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS), urteilte, für Scholz sei Großbritannien offenbar ebenso gleichgültig wie Frankreich, während Benjamin Haddad, Abgeordneter von Emmanuel Macrons Partei Renaissance, eine „diplomatische Krise“ zwischen Deutschland und Großbritannien diagnostizierte: „Berlin ist sehr isoliert“.[11]

 

„Paar Leute vor Ort“

 

Äußerungen auf der nun bekannt gewordenen Webex-Konferenz dürften die Lage für Berlin kaum verbessern. In dem Mitschnitt des Gesprächs ist der Vorschlag zu hören, man könne im Fall einer Taurus-Lieferung „die Briten“ um Unterstützung bei der „Planung“ der Angriffe bitten. Luftwaffen-Generalinspekteur Ingo Gerhartz äußerte wörtlich, „die Engländer“ hätten ohnehin ein „paar Leute vor Ort“; „da haben sie mir schon gesagt“, behauptete Gerhartz, sie würden „den Ukrainern“ bei Bedarf gerne auch „beim Taurus-Loading über die Schulter gucken“. Gerhartz soll, so wird kolportiert, im kommenden Jahr einen Spitzenposten bei der NATO erhalten.

 

 

[1] Georg Ismar: Eine verhängnisvolle Schalte. sueddeutsche.de 02.03.2024.

[2] Audiodatei und Transkript beispielsweise hier: Taurus-Leak – Russland veröffentlicht abgehörtes Telefongespräch. russland.news 03.03.2024.

[3] Georg Ismar: Eine verhängnisvolle Schalte. sueddeutsche.de 02.03.2024.

[4] Catherine Philp: British special forces ‘are training local troops in Ukraine’. thetimes.co.uk 15.04.2022.

[5] Paul Adams, George Wright: Ukraine war: Leak shows Western special forces on the ground. bbc.co.uk 11.04.2023.

[6] Guy Chazan, Henry Foy: Germany rebuffs Emmanuel Macron on troops for Ukraine and tells Paris to ‘supply more weapons’. ft.com 27.02.2024.

[7] Julian E. Barnes, Eric Schmitt, David E. Sanger, Thomas Gibbons-Neff: U.S. and Ukraine Search for a New Strategy After Failed Counteroffensive. nytimes.com 11.12.2023. S. auch Durchhalteparolen aus Berlin (II).

[8] Larisa Brown: British military chief helped Zelensky destroy Russian war ships. thetimes.co.uk 28.02.2024.

[9] „Kann zu Kriegsbeteiligung kommen”: Scholz bekräftigt Nein zu Taurus-Lieferungen. rnd.de 27.02.2024.

[10], [11] Joshua Posaner, Laura Kayali, Henry Donovan: UK slams Scholz over claims Britain, France are helping Ukraine target missiles. politico.eu 29.02.2024.

 
     
  erschienen am 4. März 2024 auf > GERMAN-FOREIGN-POLICY > Artikel  
  Archiv > Artikel von German-Foreign-Policy auf antikrieg.com  
  Herzlichen Dank den Kollegen von German-Foreign-Policy für die freundliche Überlassung des Artikels!  
     
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Dieser ungeheuerliche Bruch mit der zeitgemäßen Zivilisation beweist eindeutig, dass die sogenannte westliche "Kultur" mitsamt ihren "Werten" ("Menschenrechte", "Rechtsstaat" usw.) keinen Pfifferling wert ist, zumal deren "Hüter" zu diesen skandalösen Vorgängen schweigen.

Klaus Madersbacher, antikrieg.com

 
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