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Ob die EU, die sich stets ihrer angeblichen Werte rühmt, bereit ist, zur Beseitigung der bis heute andauernden Folgen der zahllosen Kolonialverbrechen beizutragen, wird der EU-CELAC-Gipfel zeigen. | ||||||||||||||
Die Lateinamerika-Offensive der EU (III)Widerstand in Lateinamerika gegen Ausbeutung als Rohstofflieferant der EU nimmt vor EU-CELAC-Gipfel nächste Woche zu. Lateinamerikanische Staaten fordern Entschädigung für Kolonialverbrechen.German Foreign Policy
BRÜSSEL/BRASÍLIA (Eigener Bericht) Ernste Spannungen überschatten das am Montag beginnende Gipfeltreffen der EU mit dem lateinamerikanischen Bündnis CELAC. Mit dem Gipfel, dem ersten seit 2015, will die EU neuen Schwung in ihre Beziehungen zu den Staaten Lateinamerikas bringen. Hintergrund sind Bestrebungen, stärkeren Zugriff auf die Rohstoffe des Subkontinents zu bekommen, die für die Energiewende in der EU unverzichtbar sind von grünem Wasserstoff bis zu Lithium. Dagegen regt sich Widerstand. Niemand könne die lateinamerikanischen Staaten dazu verdammen, die Lieferanten von Rohstoffen zu sein, die andere industriell verarbeiten, um die Produkte dann zu überhöhten Preisen an uns zu verkaufen, protestierte kürzlich Argentiniens Präsident Alberto Fernández. Streit gibt es auch um die EU-CELAC-Gipfelerklärung. Die CELAC weigert sich, sich darin mit Blick auf den Ukraine-Krieg auf die Seite des Westens zu schlagen. Stattdessen fordert sie ein schrifliches Eingeständnis der Verbrechen der europäischen Kolonialherrschaft und die Bereitschaft, Entschädigung dafür zu zahlen. Ein EU-Diplomat erklärt, es sehe so aus, als ob die CELAC-Staaten als gleichberechtigte Partner wahrgenommen werden wollten.
Rohstoffe, die die EU braucht
Im Einflusskampf um Lateinamerika hat die EU unlängst eine bereits im vergangenen Jahr angekündigte Offensive gestartet. Die Interessen, die ihr zugrunde liegen, und die Mittel, mit denen sie realisiert werden sollen, sind in der neuen Lateinamerika-Strategie festgehalten, die die EU-Kommission am 7. Juni veröffentlicht hat.[1] Vorgesehen ist demnach der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen; insbesondere hat die EU den Bezug von Rohstoffen im Blick, die für die europäische Energiewende benötigt werden von grünem Wasserstoff bis zu Lithium, auf das vor allem die Kfz-Industrie für die Batterien ihrer neuen Elektroautos angewiesen ist. Lithium, Kupfer, grüner Wasserstoff das sind Dinge, die Europa braucht und die Argentinien liefern kann, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte Juni in Buenos Aires, wo sie sich im Verlauf einer viertägigen Lateinamerikareise aufhielt.[2] Um den Zugriff auf Rohstoffe zu optimieren, will die EU endlich ihr Freihandelsabkommen mit dem Mercosur ratifizieren, das seit einem knappen Vierteljahrhundert in Arbeit ist. Sie stößt allerdings seit kurzem auf heftigen Widerspruch. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva etwa verwahrte sich gegenüber von der Leyen gegen das Ansinnen, ein Umwelt-Zusatzdokument zu dem Abkommen zu unterzeichnen: Den Sanktionen, mit denen die EU darin drohe, werde Brasilien sich nicht beugen (german-foreign-policy.com berichtete [3]).
Nicht zum Rohstoffexporteur verdammt
Der Widerspruch aus dem Mercosur wird dabei mittlerweile grundsätzlicher. So sagte der südamerikanische Staatenbund ein Treffen mit der EU ab, bei dem am 29./30. Juni in Buenos Aires die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen und über das Zusatzdokument weitergeführt werden sollten. Man benötige noch Zeit, um eigene Vorschläge zu formulieren, hieß es zur Begründung.[4] Beim Mercosur-Gipfel am 3./4. Juli im argentinischen Puerto Iguazú griff Lula seine Kritik an dem Zusatzdokument auf, das er inakzeptabel nannte; zudem bestätigte er, er lehne die Passagen des Freihandelsabkommens ab, in denen offizielle staatliche Aufträge für Konzerne aus der EU geöffnet würden: Öffentliche Aufträge seien eines der wenigen wirtschaftspolitischen Instrumente, die wir noch haben; man brauche sie zur Förderung kleiner und mittlerer brasilianischer Unternehmen.[5] Argentiniens Präsident Alberto Fernández wiederum bekräftigte, der Mercosur dürfe sich nicht auf eine Funktion als Rohstofflieferant reduzieren lassen: Niemand könne uns dazu verdammen, erklärte Fernández, die Lieferanten von Rohstoffen zu sein, die andere industriell verarbeiten, um die Produkte dann zu überhöhten Preisen an uns [zu] verkaufen.[6] Lula schloss sich an: Wir haben kein Interesse daran, ein Abkommen zu unterzeichnen, das uns zur ewigen Rolle des Rohstoffexporteurs verdammt.
Selenskyj ausgeladen
Heftiger Gegenwind erwartet die EU nicht nur mit Blick auf das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur, sondern auch beim Gipfeltreffen mit der CELAC (Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños), dem Zusammenschluss aller 33 souveränen Staaten Lateinamerikas und der Karibik, das Anfang kommender Woche in Brüssel stattfinden wird. Die neue Lateinamerika-Strategie der EU sieht vor, solche Gipfeltreffen regelmäßig abzuhalten, nach Möglichkeit im Wechsel mit Treffen der Außenminister beider Seiten. Wie kürzlich berichtet wurde, hat die CELAC den Entwurf für eine Gipfelerklärung, den die EU ihr im Juni zugeschickt hatte, mit einem auf den 4. Juli datierten Gegenentwurf beantwortet. Der EU-Entwurf enthielt unter anderem mehrere Absätze, in denen Russland wegen seines Angriffs auf die Ukraine scharf verurteilt wurde. Dies entspricht dem Versuch der EU, jedes internationale Treffen zu nutzen, um der anderen Seite die westliche Position zum Ukraine-Krieg aufzunötigen. Damit scheitert sie allerdings regelmäßig, so wie jetzt mit dem Entwurf für den EU-CELAC-Gipfel: Die CELAC entfernte aus ihrem Gegenentwurf alle Passagen, die einen direkten Bezug zur Ukraine aufwiesen.[7] Schon zuvor hatte sie die eigenmächtige Einladung der EU an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgewehrt, auf dem Gipfeltreffen aufzutreten; Selenskyj wurde offiziell ausgeladen.
Diplomatische Lösungen
Die CELAC hat ihrerseits in ihren Gegenentwurf eine Passage aufgenommen, in der ernsthafte und konstruktive diplomatische Lösungen für den gegenwärtigen Konflikt in Europa befürwortet werden. Dies müsse mit friedlichen Mitteln geschehen, heißt es in offenem Widerspruch zur massiven Aufrüstung der Ukraine auch durch die EU; zudem gelte es, die Souveränität und Sicherheit von uns allen zu garantieren, ebenso den regionalen und internationalen Frieden, Stabilität und Sicherheit. Damit stellt sich die CELAC faktisch hinter die fortgesetzten Bemühungen insbesondere des brasilianischen Präsidenten Lula, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln, um einen Waffenstillstand zu erreichen.[8] Ein EU-Diplomat wird zur CELAC-Positionierung zum Ukraine-Krieg mit der Äußerung zitiert, man sei offenbar nicht auf derselben Wellenlänge; mit Blick darauf, dass die CELAC nicht bereit ist, die EU-Position zu unterstützen, konstatiert er: Es sieht so aus, wie wenn sie [die CELAC-Staaten, d.Red.] als gleichberechtigte Partner wahrgenommen werden wollen.[9]
Entschädigung für Kolonialverbrechen
Schließlich ruft die CELAC in ihrem Gegenentwurf explizit die Kolonialherrschaft der europäischen Staaten über Lateinamerika und die Verschleppung versklavter Afrikaner auf den Subkontinent durch Europäer in Erinnerung. Wir erkennen das unbeschreibliche Leiden an, das Millionen Männern, Frauen und Kindern als Ergebnis des transatlantischen Sklavenhandels mit Afrikanern zugefügt wurde, und bedauern es zutiefst, heißt es in dem Entwurf. Die CELAC schlägt darüber hinaus in dem Papier folgende Formulierung vor: Wir erkennen die Notwendigkeit an, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um die Würde der Opfer wiederherzustellen. Dazu zählten Reparationen und Entschädigung, um zu helfen, unsere kollektive Erinnerung zu heilen und das Erbe der Unterentwicklung umzukehren.[10] Ob die EU, die sich stets ihrer angeblichen Werte rühmt, bereit ist, die Formulierung zu unterzeichnen und zur Beseitigung der bis heute andauernden Folgen der zahllosen Kolonialverbrechen beizutragen, wird der EU-CELAC-Gipfel zeigen.
[1] Europäische Kommission, Hoher Vertreter der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik: Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat: Eine neue Agenda für die Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika und der Karibik. Brüssel, 07.06.2023. [2], [3] S. dazu Die Lateinamerika-Offensive der EU (II). [4] Mariana Haubert, Paulo Silva Pinto: Reunião presencial entre Mercosul e União Europeia é cancelada. poder360.com.br 20.06.2023. [5] Mercosur-Gipfel: Argentinien und Brasilien fordern Augenhöhe mit EU. npla.de 10.07.2023. [6] Vilma Guzmán: Mercosur-Staaten einig gegen EU-Diktat. amerika21.de 08.07.2023. [7], Alexandra Brzozowski: LEAK: Latin American countries push back on Ukraine, EU agenda ahead of joint summit. euractiv.com 06.07.2023. [8] S. dazu Der Übergang zur Diplomatie (II). [9], [10] Alexandra Brzozowski: LEAK: Latin American countries push back on Ukraine, EU agenda ahead of joint summit. euractiv.com 06.07.2023. |
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erschienen am 14. Juli 2023 auf > GERMAN-FOREIGN-POLICY > Artikel | ||||||||||||||
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