Zur
Volksabstimmung in der Schweiz am Sonntag:
Genau die Kraft,
die gefehlt hat,
um einen Sieg zu erringen braucht man,
um eine Niederlage zu verkraften.
Ernst R. Hauschka
Liebe Freundinnen und
Freunde
Am Sonntag zeigt
sich, wie die Würfel gefallen sind. Wir
sind gleichzeitig müde und gespannt. Wir sind müde von
einem Kampf gegen einen Gegner, der trotz seiner
haushohen Überlegenheit ziemlich fiese Tricks anwenden
musste. Und wir sind gespannt, ob es ihm gelungen ist,
den Souverän zu überlisten.
Ich würde mich
vorsichtshalber auf eine Niederlage einstellen. Das
hat ein paar entscheidende Vorteile:
- Erstens
können wir am Sonntag nicht enttäuscht werden.
- Zweitens haben
wir mehr Zeit, aus der Niederlage zu lernen.
- Drittens geht
es am Montag ohnehin weiter, egal ob wir gewinnen
oder verlieren.
Denn das Ministerium
von Alain Berset hat vorgesorgt, dass weiterhin
gestritten werden muss. Es behauptet nämlich, dass das Covid-19-Gesetz
bei einer Ablehnung noch bis März nächsten Jahres in
Kraft bleibt.
Es begründet dies
mit Art. 165 der
Bundesverfassung, der Folgendes bestimmt:
«Wird zu einem
dringlich erklärten Bundesgesetz die Volksabstimmung
verlangt, so tritt dieses ein Jahr nach Annahme durch
die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es nicht
innerhalb dieser Frist vom Volk angenommen wird.»
Erstens macht der
Artikel keine Aussage zum Fall einer Ablehnung. Zweitens
sind dringliche Bundesgesetze zeitlich beschränkt; sie
treten automatisch ausser Kraft, wenn sie nicht
verlängert werden. So gesehen müsste man gar keine
Abstimmungen über dringliche Bundesgesetze abhalten.
Der Sinn des Artikel
erschliesst sich durch seinen Zweck: Er
will verhindern, dass durch die Verschleppung einer
Abstimmung die Gültigkeit eines Gesetzes stillschweigend
am Volk vorbeigemogelt werden kann. Und er gibt dem
Bundesrat keineswegs die Kompetenz, sich noch ein paar
Monate über den Willen des Souveräns hinwegzusetzen.
Vielleicht
langweilen Sie solche juristischen Details. Aber sie sind
von grösster Brisanz und haben das Zeug zur Staatskrise. Denn
es gibt keine Instanz zur Entscheidung der Frage nach der
Gültigkeitsdauer abgelehnter dringlicher Bundesgesetze.
Theoretisch hat das
Parlament die Oberaufsicht über die Regierung (Art. 169). Nur: Das Parlament hat
das verfassungswidrige Gesetz mehrmals durchgewinkt. Von
ihm ist kein Bewusstsein über begangene Fehler und schon
gar keine Umkehr zu erwarten. Politik hat vor allem mit
recht haben zu tun.
Auch
bei einem Ja hat das Volk seine verfassungsmässige
Souveränität noch längst nicht zurückgewonnen.
Zudem beginnt am 29.
November die Wintersession, bei der die Verlängerung des
Covid-19-Gesetzes bis 31. Dezember 2022 traktandiert ist. Auch
diese hat das Zeug zu einer Staatskrise, zu deren
Beilegung die Schweiz institutionell nicht gerüstet ist.
Gemäss Art. 141 unterstehen
nur dringliche Bundesgesetze dem fakultativen Referendum,
deren Gültigkeitsdauer ein Jahr übersteigt. Die
vom Bundesrat beantragte Verlängerung beträgt aber
exakt ein Jahr. Ein Tag länger, und der Fall wäre klar.
Auch wenn die
Verfassung die Möglichkeit eines Referendums nicht
vorsieht, muss es ergriffen werden. Denn
erstens ist das Gesetz in seiner Gesamtheit länger als
ein Jahr gültig. Und zweitens kann es nicht Sinn dieser
Verfassungsbestimmung sein, dass dringliche Bundesgesetze
in Jahresportionen am Souverän vorbeigeschmuggelt
werden.
Sie sehen: Wie immer
das Resultat am Sonntag ausfällt, das Spiel geht
weiter. Das Wort «Spiel» ist mit Absicht
anstelle von «Kampf» gewählt. Denn wer kämpft,
erschöpft sich. Wer dagegen spielt, lernt, auch wenn er
verliert. Und wer länger lernt, wird schlussendlich
gewinnen.
Diese Worte sollen
nicht beruhigen, auch wenn sie das hoffentlich tun. Sie
sollen vor allem anregen, das Bewusstsein für die Krise
in Bewegung zu bringen, den Verstand zu schärfen und den
Geist zu lockern. Wenn uns das gelingt und wenn wir
andere damit anstecken können, dann werden wir unser
Ziel erreichen. Hundertprozentig. Auch wenn wir am
Sonntag weniger als 50 Prozent erreichen.
Mit herzlichem Gruss
Christoph Pfluger
Herausgeber Corona-Transition
|