Der Krieg nach dem KriegEU verhängt neue Syrien-Sanktionen und blockiert damit den Wiederaufbau. Kritiker sprechen von "Politik der verbrannten Erde".German Foreign Policy
BERLIN/DAMASKUS (Eigener Bericht) - Die EU weitet ihre Sanktionen gegen Syrien aus und legt damit dem Wiederaufbau des Landes neue Steine in den Weg. Die Sanktionen, die vergangene Woche verhängt wurden, treffen mehrere Geschäftsleute und setzen damit die Praxis der EU fort, potenzielle Investoren von einer Beteiligung am Wiederaufbau abzuschrecken. Zum selben Zweck hat die Trump-Administration bereits im Dezember eigene Sanktionen verhängt, die Experten als sehr weitreichend beschreiben und von denen es heißt, sie seien, weil sie Personen und Firmen aus sämtlichen Staaten weltweit treffen könnten, geeignet, Syrien "auf Jahre hin zu isolieren". US-Experten erläutern, man halte die Sanktionen für geeignet, die syrische Bevölkerung in die Elendsrevolte zu treiben. Damit lasse sich womöglich erreichen, was man im Krieg nicht geschafft habe: der Sturz der Regierung von Bashar al Assad. Beim European Council on Foreign Relations ist von einem zweiten "langen Krieg" die Rede, diesmal mit den Mitteln der Ökonomie. Kritiker sprechen von einer "Politik der verbrannten Erde".
Erste Wiederaufbauschritte
Syriens Wiederaufbau hat, wenngleich er recht langsam voranschreitet, mittlerweile begonnen. Aufträge haben dabei auch ausländische Unternehmen erhalten. So beteiligen sich etwa iranische und indische Unternehmen an der Erneuerung des Energiesektors und des Mobilfunknetzes.[1] China hat Aufbauprojekte in Syrien im Rahmen seiner Neuen Seidenstraße fest im Blick. Seit geraumer Zeit lassen auch arabische Staaten Interesse an einer Beteiligung an der Erneuerung von Infrastruktur und Wirtschaft in dem schwer kriegszerstörten Land erkennen. Das gilt nicht nur für die unmittelbaren Nachbarstaaten Jordanien und Libanon, deren Firmen lukrative Geschäfte in Syrien gut gebrauchen könnten. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate haben ihre Fühler ausgestreckt. Das Land, das äußerst finanzkräftig ist, hat im Dezember 2018 seine Botschaft in Damaskus wiedereröffnet, bereits im Januar 2019 eine syrische Wirtschaftsdelegation unter Führung eines Geschäftsmannes in Abu Dhabi empfangen, der auf einer US-Sanktionsliste steht, und im August 2019 eine eigene Wirtschaftsdelegation auf die Damascus Trade Fair entsandt.[2] Die emiratischen Syrien-Aktivitäten sind geostrategisch motiviert: Abu Dhabi sucht den im Krieg spürbar gewachsenen Einfluss Irans nun auf ökonomischem Wege zu begrenzen.
EU-Sanktionen
Während Syriens kriegsgeplagte Bevölkerung möglichst rasche Fortschritte beim Wiederaufbau ersehnt, haben die westlichen Mächte im vergangenen Jahr Maßnahmen eingeleitet, um die Wiederherstellung der Infrastruktur zu bremsen oder sogar zu stoppen. Die EU hat bereits Anfang 2019 ihre Sanktionen ausgeweitet und ihrer bisherigen Sanktionsliste elf Geschäftsleute und fünf Organisationen hinzugefügt.[3] Der Schritt erfolgte erklärtermaßen, weil die neu gelisteten Personen an Bauvorhaben "und anderen vom Regime geförderten Projekten" beteiligt waren. EU-Diplomaten wurden damals mit der Aussage zitiert, sie hofften, die Maßnahme werde eine abschreckende Wirkung auf sonstige Geschäftsleute haben, auf die Damaskus beim Wiederaufbau des Landes angewiesen sei.[4] In der vergangenen Woche sind acht weitere Geschäftsleute sowie zwei zusätzliche Organisationen gelistet worden. Damit hat die EU nun mit Bezug auf Syrien Strafmaßnahmen gegen insgesamt 277 Personen und 71 Organisationen verhängt.
Der Caesar Act
Die Vereinigten Staaten wiederum haben im Dezember 2019 ein eigenes neues Sanktionsgesetz verabschiedet, das den Namen Caesar Syrian Civilian Protection Act trägt. Legitimiert wird es mit der Behauptung, man wolle die Regierung von Bashar al Assad wegen Menschenrechtsverbrechen zur Rechenschaft ziehen. Tatsächlich zielt es darauf ab, die Regierung Assad, wie es in einer aus Saudi-Arabien finanzierten Tageszeitung heißt, "auf Jahre hin zu isolieren".[5] Es sieht ökonomische Zwangsmaßnahmen gegen Staaten, Unternehmen und Personen vor, die die syrische Regierung militärisch, wirtschaftlich oder finanziell unterstützen, und es wird von Experten als außergewöhnlich weitreichend eingestuft. Jede Mitarbeit an Wiederaufbauprojekten der Regierung in Damaskus wird mit ihm faktisch von den USA unter Strafe gestellt: Wer sich dem Caesar Act widersetzt, hat mit harschen US-Sanktionen zu rechnen. Das Gesetz sende "ein klares Signal, dass kein auswärtiger Akteur mit einem solchen Regime Geschäfte machen oder es sonst bereichern soll", heißt es in einem Pressestatement von US-Außenminister Mike Pompeo.[6]
Umsturz per Elendsrevolte
Ziel ist es dabei, wie US-Außenpolitikexperten offen einräumen, die Regierung Assad nach dem Scheitern der militärischen Umsturzversuche in den Jahren seit Beginn des Aufstands im Jahr 2011 nun mit Hilfe von Elendsrevolten aus dem Amt zu jagen. Schon jetzt sei die syrische Wirtschaft dabei "zu kollabieren", heißt es in einem aktuellen Beitrag in der führenden Fachzeitschrift der US-Außenpolitik. Assad habe längst Schwierigkeiten, die militärischen Operationen der Regierung zu finanzieren. Lebensmittel- und Treibstoffpreise seien empfindlich gestiegen und hätten "Proteste gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung entfacht". Die Proteste würden "wahrscheinlich noch zunehmen"; die Maßnahmen des Caesar Act könnten dann schließlich "die Wende bringen".[7] Bis Juni müsse zudem das US-Finanzministerium entscheiden, ob es die syrische Zentralbank der Geldwäsche beschuldige; geschehe das, dann komme noch eine "Kaskade" neuer Sanktionen dazu. "Zumindest" werde das die Ressourcen der Regierung gravierend beschränken und "die Instabilität in regierungskontrollierten Gebieten verstärken", heißt es in der Zeitschrift Foreign Affairs.
"Eine Wirtschaftskonfrontation"
Mit Blick auf das Vorgehen der westlichen Mächte hieß es bereits im September beim European Council on Foreign Relations (ECFR), "der Gedanke, dass ein erfolgreicher Wiederaufbau Syriens bevorstehen könne", sei "eine vollständige Illusion".[8] Das Land werde vielmehr "für viele Jahre" Schauplatz "intensiver geopolitischer Konkurrenz" bleiben; "dieser lange Krieg" werde sich vor allem um den Wiederaufbau und die allgemeine Wirtschaftslage drehen. Langjährige Gegner Assads, vor allem diejenigen im Westen, seien zuversichtlich, dass "eine Wirtschaftskonfrontation" ihnen klar in die Hände spiele und ihnen "größere Belohnungen" verspreche "als ihre früheren militärischen Anstrengungen". Freilich werde das Vorgehen des Westens "zu einer fortgesetzten Aushöhlung des syrischen Staates führen, für die auch weiterhin die seit langem leidende syrische Bevölkerung den höchsten Preis zu zahlen" habe.
Politik der verbrannten Erde
Das trifft zu. Die Lage der syrischen Bevölkerung ist schon lange katastrophal. Inzwischen leben mehr als vier Fünftel der Syrer laut Angaben der UNO unterhalb der Armutsschwelle. In vielen Ortschaften, heißt es in einem Informationsportal der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), "ist die Infrastruktur zerstört, Straßen, Strom und Wasserleitungen funktionieren nur eingeschränkt oder gar nicht". Viele syrische Bauern hätten "kriegsbedingt ihre Existenzgrundlage verloren", und "von den einstmals 130.000 Produktionsstätten" des Landes sei "gerade noch die Hälfte übrig geblieben".[9] Die syrische Lira habe seit Kriegsbeginn "rund 90 Prozent ihres Wertes verloren"; auch seien "viele Güter des täglichen Bedarfs knapp geworden" - "das treibt die Preise zusätzlich hoch". Beobachter sind sich einig, dass Sanktionen die Lage der Bevölkerung systematisch weiter verschlimmern. Es handle sich bei ihnen, hieß es vergangenes Jahr beim ECFR, "um eine Politik der verbrannten Erde, die unterschiedslos und willkürlich gewöhnliche Syrer bestraft und legitime Geschäfte bedroht".[10]
Anmerkungen [1] S. dazu Wiederaufbau in Syrien (IV). [2] Kinda Makieh: UAE firms scout trade at Syria fair, defying U.S. pressure. reuters.com 31.08.2019. [3] Syrien: EU nimmt weitere elf Geschäftsleute und fünf Organisationen in die Sanktionsliste auf. consilium.europa.eu 21.01.2019. [4] Louisa Loveluck: Syria is ready to court investors, but Europe wants to prevent that. washingtonpost.com 23.01.2019. [5] Ibrahim Hamidi: US Planning New Strategy to Isolate Damascus 'for Years' to Come. aawsat.com 25.02.2020. [6] Passage of the Caesar Syria Civilian Protection Act of 2019. state.gov 20.12.2019. [7] Jennifer Cafarella: Time to Recommit to Syria. A Currency Crisis Has Created an Opportunity to Shape the War's End. foreignaffairs.com 18.02.2020. [8] Julien Barnes-Dacey: The geopolitics of reconstruction: Who will rebuild Syria? ecfr.eu 16.09.2019. [9] Marwan Abou Taam: Syrische Kriegswirtschaft. liportal.de Dezember 2019. [10] Nour Samaha: The economic war on Syria: Why Europe risks losing. ecfr.eu 11.02.2019. |
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erschienen am 27. Februar 2020 auf > German Foreign Policy > Artikel | ||||||||||||||
Herzlichen Dank den Kollegen von German Foreign Policy, einer Website, die ich regelmäßig besuche und die ich uneingeschränkt empfehle. | ||||||||||||||
Archiv > Artikel von German Foreign Policy auf antikrieg.com | ||||||||||||||
Im > DOSSIER SYRIEN finden Sie umfangreiche Informationen über den verbrecherischen Krieg des Westens gegen das friedliche Land Syrien, darunter drei Interviews mit Präsident Bashar al-Assad. | ||||||||||||||
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