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  Folter und Rechtsstaat

Tim Kelly

Letzte Woche gab der Geheimdienstausschuss des Senats einen 6.000 Seiten starken Bericht heraus, der eine umfassende Analyse der Anhalte- und Verhörpraktiken der CIA beinhaltet. Senatorin Dianne Feinstein (Demokraten, Kalifornien), die den Vorsitz im Ausschuss führt, gab eine Stellungnahme ab und sagte, dass „der Bericht verblüffende Details über das Anhalte- und Verhörprogramm der CIA aufdeckt und Fragen aufkommen lässt über Geheimdienstoperationen und Aufsicht.“  

Der Bericht könnte ein wenig Licht in die dunkleren Bereiche des Kriegs gegen den Terror der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika bringen, aber nachdem die Obama-Administration laut Berichten plant, das Dokument geheim zu halten, ist es höchst zweifelhaft, dass die volle Version jemals an die Öffentlichkeit gelangen wird. Höchstwahrscheinlich wird die Regierung einen stark redigierten Bericht herausgeben, der in keiner Weise die Gefahr birgt, jemanden verantwortlich zu machen.

Während das mit Sicherheit nichts Gutes verheißt für die Zukunft der Rechtssprechung oder die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land, entspricht es den Interessen des nationalen Sicherheitsstaates, der mit Geheimniskrämerei und weitgehendem Unwissen der Öffentlichkeit zur vollen Entfaltung kommt. Das Letzte, was der Staat will, ist eine gut informierte Öffentlichkeit, die Fragen stellt und mitbekommt, was tatsächlich in Übersee passiert.

Dass die Obama-Administration die Veröffentlichung des vollständigen Berichts verhindern würde, kommt nicht überraschend. Die Vertuschung von Fehlern und Verbrechen der Regierung unter der Flagge von „Staatsgeheimnis“ und „Nationale Sicherheit“ ist unabdingbar geworden.  

Feinstein sagt zum Bericht: „Ich bin mir ganz sicher, dass die Einrichtung von langfristigen geheimen ‚Dunklen Orten’ und der Einsatz von so genannten ‚Verschärften Vernehmungstechniken’ furchtbare Fehler waren.“

Nun gut, diese „Verschärften Vernehmungstechniken“ waren nicht nur „furchtbare Fehler.“ Sie waren auch Verbrechen nach den Gesetzen der Vereinigten Staaten von Amerika und nach Internationalem Recht. 

Gemäß § 2340 in Kapitel 18 des Strafrechts der Vereinigten Staaten von Amerika stellt eine außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika begangene Folterhandlung ein schweres Verbrechen dar. Das Gesetz definiert Folter als „eine Handlung, begangen von einer Person in amtlicher Funktion, die besonders darauf abzielt, einer anderen Person schwere körperliche oder psychische Schmerzen oder Leiden (andere Schmerzen oder Leiden als in Zusammenhang mit gesetzlichen Sanktionen) zuzufügen, die sich in ihrer Gewahrsam befindet oder unter ihrer physischen Kontrolle steht.“

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948, welche die Vereinigten Staaten mitentwickelt und unterzeichnet haben, verbietet Folter in allen Varianten. Zusätzlich sind die Vereinigten Staaten von Amerika einer Vielzahl von Konventionen und Abkommen beigetreten, die die Folter verbieten und vermutlich Gesetzeskraft besitzen. Das Internationale Recht definiert Folter in einem bewaffneten Konflikt als Kriegsverbrechen und legt fest, dass jede Person, die Folter anordnet, erleichtert oder auch nur unzureichend verhindert verantwortlich ist unter der Doktrin der „Befehls-Verantwortung.“

Niemand bestreitet, dass die von der George W. Bush-Administration angeordneten verschärften Verhörtechniken, welche von der CIA und dem Pentagon angewendet und stillschweigend von auswählten Kongressabgeordneten genehmigt wurden, darauf abzielten, Personen im Gewahrsam der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika schwere Schmerzen und Leiden zuzufügen.

ABC News berichtete am 9. April 2008, dass „die meisten höheren Vertreter der Bush-Administration bestimmte Deteils diskutierten und genehmigten, wie besonders wertvolle al-Qaeda-Verdächtige von der CIA verhört werden würden.“ Gemäß diesem Bericht waren unter den Teilnehmern:

Vizepräsident Cheney, die ehemalige nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Außenminister Colin Powell, sowie CIA-Direktor George Tenet und Justizminister John Ashcroft.  

Darüber hinaus wurde berichtet, dass Führer der Demokraten im Kongress von der Bush-Administration 2002 und 2003 über die vorgeschlagenen „verschärften Verhörtechniken“ informiert wurden und dass ihre Haltung bei den Informationsbesprechungen „stillschweigende Zustimmung, wenn nicht vorbehaltlose Unterstützung“ ausdrückte.

Es ist also erwiesen, dass hochrangige Vertreter der Regierung der VereinigtenStaaten von Amerika gegen das Recht der Vereinigten Staaten von Amerika und gegen Internationales Recht verstoßen haben. Dennoch sind noch keine Anklagen erhoben worden. Warum?

Ein Grund ist, dass die Unterstützung der Folter offenkundig parteiübergreifend war, weshalb keine politische Partei daran interessiert ist, dass die Rechtsstaatlichkeit in dieser Angelegenheit hochgehalten wird. Immerhin – wenn die Gesetze eingehalten würden – könnte das leicht zu langen Gefängnisstrafen für einige der prominentesten politischen Figuren des Landes führen.

Einige Verfechter der verschärften Vernehmung haben sich in Wortklauberei geflüchtet, indem sie behaupteten, dass die verschärften Methoden gesetzlich keine Folter darstellten, weil sie von Juristen des Weißen Hauses und anderen Regierungsvertretern der Vereinigten Staaten von Amerika nicht als „Folter” bezeichnet wurden.

Andrew Sullivan von The Atlantic Monthly zerreisst dieses absurde Argument in der Luft in einem Artikel, in dem er richtig auf die Ähnlichkeiten zwischen den Gestapo-Verhörmethoden unter dem Titel “Verschärfte Vernehmung” und den Methoden der verschärften Vernehmung der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hinweist. Unter den von der Gestapo bevorzugten Techniken der „Verschärften Vernehmung“ waren die Anwendung von extremer Kälte, Schlafberaubung, Festhaltung in Stresspositionen und absichtliche Erschöpfung – alles Methoden, die von der CIA und vom Pentagon angewendet worden sind. Sullivan schreibt,

gerade die Bezeichnung, die vom Präsidenten benützt wird, um Folter zu beschreiben, die irgendwie keine Folter ist – „Verschärfte Vernehmungstechniken“ – ist eine Bezeichnung, die ursprünglich von den Nazis geprägt worden ist. Die Techniken sind nicht unterscheidbar. Die Methoden wurden 1948 eindeutig als Kriegsverbrechen betrachtet. Die Strafe dafür war der Tod.

Ich stelle mir vor, dass die Amerikaner, welche unterstützen (oder billigen), dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika des Terrorismus Verdächtigte foltert, das wahrscheinlich tun, weil sie glauben, dass solche brutale Methoden für die nationale Sicherheit erforderlich sind und nur gegen ausländische Übeltäter, oder genauer, bösartige Moslems eingesetzt werden. Diese Unterstützer scheinen zu glauben, dass sie als anständige gesetzestreue Bürger selbst keinen Grund haben zu befürchten, dass sie jemals selbst in einer der Folterkammern der Regierung landen könnten. Das ist natürlich nicht nur ein moralisch verwerflicher Standpunkt, das ist auch schrecklich naiv. Die Geschichte zeigt, dass derartige Missbräuche von Macht sich immer über ihre ursprünglichen Angriffsziele hinaus entwickeln. 

Die hässliche Wahrheit ist, dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika seit Jahrzehnten in Folter verstrickt ist, obwohl die Regierungsvertreter der Vereinigten Staaten von Amerika es traditionsgemäß bevorzugten, die schmutzigen Praktiken insgeheim an Außenstellen und Kumpane im Ausland zu delegieren. Die Innovation von George W. Bush, Dick Cheney, Donald Rumsfeld und ihren Gesinnungsgenossen im Jahr 2002 bestand darin, Folter zur offiziellen Politik der Vereinigten Staaten von Amerika zu machen. 

Da gab es das berüchtigte Phoenix-Programm der 1960er und frühen 1970er, eine Operation zur Aufstandsbekämpfung, die angeblich von der südvietnamesischen Armee betrieben, in der Tat aber von der CIA koordiniert wurde. Das Programm umfasste die Gefangennahme zehntausender vietnamesischer Zivilisten, die verdächtigt wurden, dem Viet Cong anzugehören, wobei viele von diesen unter der Aufsicht der CIA gefoltert und getötet wurden.

In den 1970ern (vielleicht bis in die 1980er hinein) beteiligten sich CIA und Pentagon an der Operation Condor, einer Kampagne antikommunistischer politischer Repression, die von rechtsgerichteten südamerikanischen Regimes durchgeführt wurde, mit Terror, Mord und Folter. Viele von denen, die sich in dieser Zeit der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen schuldig machten, waren an der „School of the Americas“ der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika ausgebildet worden.

Nun, das stand in Zusammenhang mit dem Kalten Krieg, wo man glaubte, dass derartige unappetitliche Methoden und Politik notwendig waren, um die Rote Gefahr im Zaum zu halten. „Wir“ mussten „unsere“ Seite gegen „ihre“ Seite mit allen erforderlichen Mitteln unterstützen, sonst würde die Welt von den Kommunisten übernommen, so behaupteten die Kalten Krieger. Ein ähnliches nationales Sicherheits-Hirngespinst ist geschaffen worden, um das heutige Folterregime zu rechtfertigen. 

Es sei mir gestattet, in Anlehnung an Samuel Johnson zu sagen, dass die nationale Sicherheit die letzte Zuflucht des Schurken ist.

 
     
  erschienen am 3. Januar 2013 auf > THE FUTURE OF FREEDOM FOUNDATION > Artikel  
 
siehe dazu im Archiv:
  > Mark Danner - US-Folter: Stimmen von dunklen Orten
  > Philip Giraldi - Die Folterchronik
  > Andy Worthington - Wie man aus Guantánamo herauskommt: mit einem Urteilskuhhandel oder in einem Sarg
  > Glenn Greenwald - Das Verbrechen des “Nicht-Zurück-Schauens”
  > William A. Collins - Die Folterer der Vereinigten Staaten von Amerika laufen immer noch frei herum
  > Robyn Blumner - Unseren eigenen Folterern entgegentreten
  > Becky Akers - Khadrs erzwungenes Geständnis
 
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