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  Europa: lass die Briten gehen

Eric Margolis

 

Mein geliebter britischer Patenonkel Lynn Perkins warnte mich immer vor den offenkundigen Übeln Europas und darüberhinaus: „Denk daran, Eric, die Wogs beginnen in Calais“ (von den Briten ‚Callis’ ausgesprochen.) Wogs ist eine fiese britische Bezeichnung für schmierige, unzuverlässige Ausländer.

Perkins´ Warnung fällt mir wieder ein wegen des nahenden britischen Referendums über Verbleib in oder Austritt aus der Europäischen Union. Umfragen lassen vermuten, dass die Briten mit knapper Mehrheit für den Verbleib in der EU stimmen werden, mein Instinkt sagt das auch.

Aber da sind immer noch all diese „Wogs.” Die Briten sind oft zu wohlgesittet, als dass sie dieses Thema zur Sprache brächten, besonders in Umfragen. Tief drinnen betrachten viele Einwohner Großbritanniens die Europäer (mit Ausnahme der Deutschen, Schweizer und Skandinavier) und alle Araber und Inder als Wogs. Das sind Leute, die nach Knoblauch riechendes Essen zu sich nehmen und in der Sonne nicht strahlend rot werden wie die Briten.

Dieser alte Imperialist Winston Churchill, Schutzpatron der amerikanischen neokonservativen Rechten, tat Indiens großen Mahatma Gandhi ab als einen „halbnackten Fakir.” Er liebte das britische Empire und machte sich wie viele seiner Landsleute lustig über „die minderwertigeren Rassen.“

Ein Problem ist, dass die „minderwertigeren Rassen” seit den 1050ern nach Britannien geströmt sind und seinen traditionellen Charakter, Politik und Regeln verändert haben. Weiße Briten verlieren Boden im neuen multikulturellen Vereinigten Königreich, wie auch die Weißen in Kalifornien dem Status einer Minderheit entgegengehen. Viele Briten, hauptsächlich im Norden Londons, mögen das gar nicht. Nimmt man jetzt noch die Flut von über einer Million arabischer und afrikanischer Flüchtlinge auf dem Kontinent dazu, dann kriegen viele Briten die Panik, dass ihre glückliche kleine Insel vor wachsenden Problemen steht.

Daher die „Brexit”-Bewegung, welche will, dass Britannien der Europäischen Union den Laufpass gibt, die Wogs aussperrt und heiter und gelassen seinen eigenen Kurs segelt. Sie flüstern „besser sind wir eine Kolonie der Vereinigten Staaten als nur ein weiteres Mitglied der nichtsnutzigen Europäischen Union.“ Für viele Briten ist es unerträglich zu sehen, dass die verhassten Franzosen und Deutschen die Leithunde der EU sind. Besonders die hinterhältigen Franzosen, die nach Rache für Waterloo lechzen. 

Brexit-Anhänger, die sich teilweise an Trumps „Präsidentschaft für Dummköpfe” orientieren, werden zunehmend antimuslimisch, warnen vor phantasiereichen terroristischen Bedrohungen und Heeren von lüsternen muslimischen Derwischen, die auf dem Weg sind, um das friedliche Britannien zu vergewaltigen und auszuplündern. 

Dieselbe künstliche Hysterie wurde hochgepeitscht, als das britische Empire in den 1800ern Afrika kolonisierte. Und vor kurzem, als die Inselbewohner verzagten aus Angst vor einer erwarteten Invasion von polnischen Klempnern. Weniger kultivierte Briten mögen halt keine Ausländer. Ich erinnere mich an einen Briten in Paris, der nur hartgekochte Eier aß, weil „hier in Frankreich alles schmutzig ist.“

Die Brexiters versichern der Öffentlichkeit, dass das Vereinigte Königreich, sobald es die EU losgeworden ist, einen wirtschaftlichen Aufschwung machen und enge bilaterale Handelsbeziehungen mit der EU aufnehmen wird. Kurz gesagt, man wird alle Vorteile der EU haben, aber deren nervtötenden Anforderungen entkommen. Unrealistische Hoffnung!

Die kontinentalen Mitglieder der EU haben Britannien lange als ein amerikanisches Trojanisches Pferd betrachtet, das Europa unter Washingtons Daumen halten sollte. Sie trauen London nicht und machen sich über die britischen Anwandlungen imperialer Größe lustig. Auch wollen sie ein großes Stück vom Finanzkuchen City of London haben.

Die Europäer befürchten, dass Brexit sehr wohl einen Dominoeffekt bewirken könnte, indem er die schwachen Mitglieder der EU wie Griechenland und Italien – und vielleicht Spanien, Protugal oder sogar Holland – dazu anregt, sich aus dem Staub zu machen und zu ihren schlechten alten Finanzsystemen zurückzukehren. Die Russen und Amerikaner hätten ihre Freude daran, die EU untergehen zu sehen und damit einen strategischen und wirtschaftlichen Konkurrenten. 

Ein Ausstieg Britanniens aus der Union wäre jedoch sehr unklug, ja sogar tragisch. Ungeachtet ihrer fehlerbehafteten Bürokratie, Über-Expansion, lähmenden Vorschriften und Fehlens einer vollen finanziellen Integration war die Europäische Union eine großartige historische Errungenschaft für das kriegsverwüstete Europa. Heute ist die EU weltweit führend in Menschenrechten, Bildung, humaner Behandlung von Tieren, Transport, Umweltschutz und umfassendem Gesundheitsschutz.

Das ist eine gewaltige beispiellose Errungenschaft, die geschützt werden muss. Ich wurde wieder daran erinnert, als ich vor kurzem die Gedächtnisfeier der furchtbaren Schlacht von Verdun mitverfolgte, die nahezu eine Million französische und deutsche Todesopfer forderte.

Wenn die Briten gehen wollen, lasst sie gehen – aber behaltet die Iren und Schotten. Die Briten haben zur EU nie viel beigetragen außer höhnischen Bemerkungen und Beschwerden. Sie dürfen aber nicht gehen ohne eine hohe Ausstiegssteuer, um mögliche andere Aussteiger vor einem solchen Schritt abzuhalten.

Ein unabhängiges nicht so großes Britannien würde wahrscheinlich zu einem gigantischen amerikanischen Themenpark im Nordatlantik, dem die lästigen Franzosen den blanken Hintern zeigen.

 
     
  erschienen am 11. Juni 2016 auf > www.ericmargolis.com  
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