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  Die Koalition der Kriegswilligen (II)  
  German Foreign Policy  
     
 

PARIS/BERLIN (Eigener Bericht) - Die von Paris initiierte und von Berlin mitgetragene Europäische Interventionsinitiative (Initiative européenne d'intervention, IEI) wird noch in dieser Woche ihre Arbeit aufnehmen. Dies haben Vertreter der zehn beteiligten Staaten am gestrigen Mittwoch in der französischen Hauptstadt beschlossen. Die IEI zielt auf schnelle Einsatzfähigkeit; sie ist vom französischen Präsidenten Macron forciert worden, der sich um Unterstützung für die überlasteten Streitkräfte seines Landes bemüht. Berlin tritt bislang eher als Bremser auf: Die Bundesregierung setzt auf die systematische Verschmelzung europäischer Truppen beispielsweise im Rahmen der "PESCO"-Projekte der EU, zudem auf die Verzahnung europäischer Waffenschmieden mit Hilfe von Zuschüssen aus dem EU-Rüstungsfonds. Letzterer soll im künftigen EU-Haushalt um den Faktor 30 gesteigert werden und sich auf mehr als 17 Milliarden Euro belaufen. Trotz aller Differenzen streben sowohl Berlin (PESCO) wie auch Paris (IEI) eine europäische Streitmacht an, die unabhängig von den USA global eingesetzt werden kann.

 

PESCO

In den anhaltenden deutsch-französischen Auseinandersetzungen darum, wie auf lange Sicht eine einheitliche europäische Streitmacht aufgebaut werden soll, setzt Berlin nach wie vor prioritär auf PESCO (Permanent Structured Cooperation). Die Initiative hat am 11. Dezember 2017 in aller Form ihre Arbeit gestartet.[1] Sie zielt vor allem darauf ab, die militärischen Kapazitäten der EU-Staaten enger aufeinander abzustimmen und sie gemeinsam weiterzuentwickeln. Beteiligt sind 25 der 28 EU-Staaten; ausgenommen sind Großbritannien, weil es die EU verlässt, Dänemark, da es nach dem Nein der dänischen Bevölkerung zum Vertrag von Maastricht ein Opt-Out aus der EU-Militärpolitik erhalten hat, und Malta, das noch an seiner militärischen Neutralität festhalten will. Im Rahmen von PESCO sind bislang 17 Projekte beschlossen worden; schon in Kürze sollen weitere hinzugefügt werden. Berlin koordiniert vier Vorhaben: den Aufbau eines Europäischen Sanitätskommandos, die Bildung eines Netzwerks logistischer Drehscheiben, die Gründung eines Kompetenzzentrums für EU-Trainingseinsätze sowie das Projekt EUFOR Crisis Response Operation Core.[2]

 

Streitmachtaufbau von unten

Mit PESCO zielt die Bundesregierung darauf ab, die Streitkräfte der EU-Staaten quasi von unten enger miteinander zu verschmelzen, um langfristig eine Basis für gemeinsame Kriege zu schaffen. Um auch die Rüstungsindustrien der EU-Länder stärker miteinander zu verzahnen, hat Brüssel zudem den EU-Rüstungsfonds geschaffen, der nun drastisch aufgestockt werden soll: Lag sein Budgetposten im zu Ende gehenden EU-Haushaltszeitraum (2014 bis 2020) noch bei 575 Millionen Euro, so soll er in der künftigen Etatperiode (2021 bis 2027) auf 17,22 Milliarden Euro verdreißigfacht werden.[3] Laut aktuellem Planungsstand können die Mittel ohne Kontrolle durch das Europaparlament vergeben werden.[4] Parallel zu den Aktivitäten im Rahmen der EU treibt Berlin auch die engere Zusammenarbeit mit den Streitkräften ausgewählter europäischer NATO-Verbündeter voran. So wird die Kooperation nicht nur mit Heer und Marine der Niederlande und mit Heeresbrigaden Tschechiens und Rumäniens intensiviert, sondern auch mit der Marine Norwegens, das der NATO, nicht aber der EU angehört. Im Rahmen des Framework Nations Concept (FNC) der NATO baut der Bundeswehr-Sanitätsdienst darüber hinaus ein multinationales Rettungszentrum auf. Da über das Framework Nations Concept auch Truppen aus Nicht-EU-Staaten wie Norwegen an die Streitkräfte der EU-Mitglieder angebunden werden, ist mittlerweile häufig nicht mehr von einer EU-Armee, sondern vom Aufbau einer "europäischen" Streitmacht die Rede.

 

IEI

Paris setzt andere Schwerpunkte. Hintergrund ist, wie es in einer im Juni publizierten Analyse der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) heißt, dass die französischen Streitkräfte stark "überlastet" sind und die Regierung händeringend nach Unterstützung für jetzige und für künftige Einsätze sucht.[5] Für die Operation Barkhane beispielsweise bemüht sich Paris - dies mit Unterstützung Berlins -, Truppen aus den Sahelstaaten ("G5 Sahel") einzuspannen (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Brüssel hat bisher kaum etwas beigetragen; "die EU-Strukturen" hätten sich, bilanziert die DGAP, "als wenig hilfreich für schnelle Interventionen erwiesen". Dafür sucht die französische Regierung nun Abhilfe zu schaffen - mit der Europäischen Interventionsinitiative (Initiative européenne d'intervention, IEI), die Präsident Emmanuel Macron am 26. September 2017 in seiner programmatischen Rede an der Sorbonne angekündigt hat. Die IEI ist am 25. Juni 2018 offiziell gegründet worden. An ihr nahmen bislang neun Staaten teil; von einer Art "Koalition der Willigen" ist die Rede.[7] Weil die IEI formal nicht Teil der EU-Militärpolitik ist, kann sich Dänemark trotz seines Opt-Outs aus der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) beteiligten; Großbritannien kann auch nach seinem EU-Austritt Mitglied bleiben. Zudem ist die IEI als eigenständige Struktur nicht auf die teilweise äußerst langwierigen Entscheidungsprozesse innerhalb der Union angewiesen.

 

Streitmachtaufbau im Einsatz

Vor der gestrigen IEI-Zusammenkunft haben Paris und Berlin ihre Auseinandersetzungen erneut in die Öffentlichkeit getragen. Die Bundesregierung hatte schon bei der Gründung der Initiative dafür gesorgt, dass Macron seine Vorstellungen nur teilweise realisieren konnte: So beschränkt die IEI sich bisher auf die regelmäßige Koordination der beteiligten nationalen Stäbe auf der militärischen Führungsebene; Ziel ist zunächst die Entwicklung gemeinsamer Lageanalysen und gemeinsamer Interventionspläne. Frankreich, das eigentlich eine stärkere Struktur angepeilt hatte, propagiert die Gründung der IEI als Fortschritt bei der Schaffung einer gemeinsamen "strategischen Kultur".[8] Am Dienstag hat Macron nun verlangt, "eine wirkliche europäische Armee" aufzubauen. Den Vorstoß, der darauf abzielt, der IEI weitere Kompetenzen zuzusprechen, begründete er modisch mit der Aussage, "Europa" müsse in der Lage sein, "sich allein zu verteidigen, ohne gänzlich von den USA abhängig zu sein".[9] Ebenso haben sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und weitere deutsche Politiker geäußert.[10] Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat Macron am Dienstag allerdings umgehend widersprochen und klargestellt, dass die Bundesregierung weiterhin auf PESCO anstelle der von Paris initiierten IEI setzt: "Eine europäische Armee muss innerhalb der Europäischen Union aufgestellt werden und nicht außerhalb", sagte von der Leyen in Berlin.[11]

 

Lageanalysen und Operationsszenarien

Bei dem gestrigen Treffen von Vertretern der Staaten, die sich an der IEI beteiligen, ist jetzt ein erster "Fahrplan" für den Zusammenschluss erstellt worden, dem nun Finnland als zehntes Land beigetreten ist. Berichten zufolge sollen führende Vertreter der IEI-Streitkräfte noch diese Woche beginnen, Lageanalysen und mögliche Operationsszenarien auszuarbeiten, die etwaigen künftigen Einsätzen zugrunde liegen sollen. Es handle sich um Aktivitäten, die in dieser Form weder im NATO- noch im EU-Rahmen durchgeführt würden, teilt die französische Verteidigungsministerin Florence Parly mit.[12] Zudem sei man offen für weitere Staaten, die sich beteiligen wollten. Es gebe lediglich eine Voraussetzung: die Fähigkeit und den Willen zum Einsatz.

 

> Teil 1 dieses Artikels

 

[1] S. dazu Der Start der Militärunion.

[2] Jörg Fleischer: PESCO: Schritt in die richtige Richtung. bmvg.de 30.05.2018.

[3] Eva Fischer: Haushaltsausschuss des Europaparlaments will 190 Milliarden mehr von EU-Mitgliedstaaten. handelsblatt.com 06.11.2018.

[4] Christoph Prössl: 13 Milliarden Euro am Parlament vorbei. tagesschau.de 20.09.2018.

[5] Claudia Major, Christian Mölling: Die Europäische Interventionsinitiative EI2. Warum mitmachen für Deutschland die richtige Entscheidung ist. DGAPkompakt Nr. 10, Juni 2018.

[6] S. dazu Die Militarisierung des Sahel (IV).

[7] An der Europäischen Interventionsinitiative nehmen Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Portugal und Spanien teil.

[8] S. dazu Die Koalition der Kriegswilligen.

[9] Nicolas Berrod: A quoi pourrait ressembler l'armée européenne voulue par Emmanuel Macron? leparisien.fr 06.11.2018.

[10] S. dazu Das Ende einer Ära.

[11] Macron fordert eine gemeinsame europäische Armee. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.11.2018.

[12] L'avant-garde de la défense européenne entre en rodage. challenges.fr 07.11.2018.

 
     
  erschienen am 8. November 2018 auf > German Foreign Policy > Artikel  
  Herzlichen Dank den Kollegen von German Foreign Policy, einer Website, die ich regelmäßig besuche und die ich uneingeschränkt empfehle.  
  Archiv > Artikel von German Foreign Policy auf antikrieg.com  
 
Einige Lesetips aus dem Archiv:
  Paul Craig Roberts - Die gesamte westliche Welt lebt in kognitiver Dissonanz
  Jonathan Cook - Die vorgetäuschte Welt der Konzernmedien
  Dr. Jaques R. Pauwels - Warum Amerika den Krieg braucht
  Dossier Libyen
  John V. Walsh - Warum sind Russland und China (und der Iran) vorrangige Feinde der herrschenden Elite der Vereinigten Staaten von Amerika?
  Hugh Gusterson - Imperium der Militärbasen
  Robert Parry - Washingtons einzige Moral ist die Doppelmoral
  Marjorie Cohn - Menschenrechtsgeheuchel: USA kritisieren Kuba
  Paul Craig Roberts - Die Neuversklavung der Völker des Westens
  John Philpot - Versagen des Internationalen Rechts und der Menschenrechtsinstitutionen: Palästina, Syrien und Irak im Jahr 2014
  William Blum - Scheinheiligkeit dieser Größenordnung verdient Respekt!
  Ismael Hossein-zadeh - Das Chaos im Mittleren Osten und darüber hinaus ist geplant
  Glen Ford - Obamas Krieg gegen die Zivilisation
  Jonathan Turley - Das Große Geld hinter dem Krieg: der militärisch-industrielle Komplex
 
 
     
  Die Politik der Europäischen Union gegenüber Syrien ist nicht nur scheinheilig, zynisch und menschenverachtend, sie ist ein Verbrechen gegen den Frieden. Das wird etwa durch einen durchgesickerten UNO-Bericht (>>> LINK) bestätigt (von dem Sie nicht viel hören werden ...), siehe auch den vor kurzem erschienenen Bericht der US-Abgeordneten Tulsi Gabbard (LINK) und das Interview mit dem niederländischen Pater Daniel Maes (LINK)! In dem Artikel "In Syrien hungert jeder Dritte (LINK)" finden Sie neue Informationen. Der Bericht des Welternährungsprogramms der UNO (LINK) spricht Bände und kann daher dem breiten Medienpublikum wohl auch nicht zugemutet werden. Weitere "Neuigkeiten" über dieses Musterstück barbarischer Politik finden Sie >>> HIER.

Das ist die Politik der Europäischen Union, die offenbar von bestimmten Interessengruppen gelenkt wird und sich aufführt wie die Vereinigte Kolonialverwaltung der europäischen Ex-Kolonialmächte. Warum unsere politischen Vertreter nicht gegen diese kranke und abwegige, für keinen vernünftigen Menschen nachvollziehbare Politik auftreten, fragen Sie diese am besten selbst!

 
> Appell der syrischen Kirchenführer im Juni 2016 (!): Die Sanktionen der Europäischen Union gegen Syrien und die Syrer sind unverzüglich aufzuheben! (LINK) <
     
 
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