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Waffen für den ISGerman Foreign Policy
RIAD/WASHINGTON/BERLIN (Eigener Bericht) - Der IS hat bei der Verteidigung von Ramadi, Fallujah und Mossul gegen die Anti-IS-Koalition Schusswaffen und Munition aus Beständen von EU-Staaten in teils signifikanter Menge zur Verfügung gehabt. Dies belegen Recherchen der in Großbritannien ansässigen Organisation "Conflict Armament Research" (CAR). Demnach haben zwei Staaten, die zu den wichtigsten Rüstungskunden auch Deutschlands gehören - die USA und Saudi-Arabien -, Kriegsgerät in Rumänien und Bulgarien erworben und es sodann aufständischen Milizen in Syrien zur Verfügung gestellt, die es offenbar zum Teil an den IS weitergeleitet haben. Das betrifft etwa Panzerabwehrraketen. Dabei erfolgte der Reexport nach Syrien ohne Kenntnis oder gar Zustimmung der ursprünglichen Lieferanten. Jihadisten zugearbeitet hat eine weitere Organisation, die vom Auswärtigen Amt kofinanziert worden ist: die Free Syrian Police. Sie hat Polizisten beschäftigt, die vom syrischen Al Qaida-Ableger ausgewählt wurden, und in zumindest einem Fall die Steinigung zweier Frauen ermöglicht.
Aus der EU zum ISDie Frage, woher die Waffen stammten, die der IS stets umfangreich zur Verfügung hatte und die seine zersplitterten Reststrukturen wohl noch heute besitzen, ist das Thema einer ausführlichen Studie, die die in Großbritannien ansässige Organisation Conflict Armament Research (CAR) in der vergangenen Woche vorgelegt hat. CAR hat dazu in mehr als dreijähriger Tätigkeit über 40.000 Stück Waffen und Munition, die in Syrien sowie im Irak sichergestellt werden konnten, dokumentiert und die Wege, auf denen das Material zum IS gelangte, gemeinsam mit den ehemaligen Besitzern und den Herstellern zurückverfolgt. Wie es in der Untersuchung heißt, habe der IS - "wie die meisten nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen" - einen gewissen Teil seines Kriegsgeräts "auf dem Schlachtfeld" erobern können; daneben habe er Armeelager geplündert - Letzteres vor allem im Irak, und zwar vorwiegend in seiner frühen Phase während der Eroberung Mossuls im Juni 2014. Darüber hinaus kann CAR jedoch nachweisen, dass der IS sich Waffen aneignen konnte, die aus Beständen der Streitkräfte von EU-Staaten stammen oder von Firmen in der EU produziert wurden. Dabei handelt es sich offenbar überwiegend um rumänisches und bulgarisches Gerät, das zunächst an die Vereinigten Staaten und an Saudi-Arabien verkauft wurde - und zwar in vielen Fällen nach Kriegsbeginn in Syrien.[1]
Ramadi, Fallujah, MossulCAR kann in einzelnen Fällen nachweisen, dass Schusswaffen, Raketen und Munition aus Rumänien und Bulgarien über die Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien an aufständische Milizen in Syrien weitergeleitet wurden - etwa an die Miliz Jaysh al Nasr, die der vom Westen unterstützten Free Syrian Army zugeordnet wird. Waffen aus denselben Beständen wurden beim IS aufgefunden, und das zuweilen binnen kürzester Frist. Exemplarisch führt CAR einen Raketenwerfer auf, den die irakische Polizei nach der Schlacht um Ramadi (25. November 2015 bis 9. Februar 2016) in IS-Beständen sichergestellt hatte. Er entstammt derselben Produktserie wie einer, der bei Jaysh al Nasr entdeckt wurde. Bulgarien hatte ihn am 12. Dezember 2015, während die Schlacht um Ramadi bereits lief, an das US-Verteidigungsministerium verkauft. Binnen weniger Wochen kam er - womöglich über Jaysh al Nasr - beim IS in Ramadi an. Eine ganze Reihe von Panzerabwehrraketen, die nach der Schlacht um Fallujah (22. Mai bis 28. Juni 2016) aus IS-Beständen sichergestellt wurden, wurden von Bulgarien Ende 2014 an Saudi-Arabien verkauft. Weitere Raketen dieser Serie hielt der IS in der Schlacht um Mossul bereit.
Eine bekannte DynamikDie CAR-Studie belegt damit, wovor Kritiker stets gewarnt hatten - dass die Bewaffnung syrischer Milizen früher oder später jihadistischen Kampfverbänden zugute kommt. CAR weist ausdrücklich darauf hin, dass das Muster aus dem Afghanistan-Krieg der 1980er Jahre bekannt ist: Damals lieferten vor allem die USA - oft vermittelt durch Saudi-Arabien - Waffen an afghanische Rebellen, die letztlich in die Hände von Jihadisten gerieten; diese "Dynamik", die man nun auch in Syrien beobachte, urteilt CAR, sei also nicht neu. In der Tat sind ähnliche Fälle auch aus anderem Kontext bekannt. Ein Beispiel bietet die "Free Syrian Police".
Geld für JihadistenBei der Free Syrian Police handelt es sich um eine angeblich 3.300 Mann starke, angeblich meist unbewaffnete Polizeitruppe, die in den Rebellengebieten der Provinzen Aleppo, Idlib und Daraa für Ordnung sorgen soll. Sie ist seit 2014 von mehreren europäischen Staaten finanziert worden - auch von der Bundesrepublik. Im Auswärtigen Amt hieß es dazu, man unterstütze eine "unbewaffnete Polizei ..., die der Zivilgesellschaft rechenschaftspflichtig" sei.[2] Kürzlich hat eine Dokumentation der BBC enthüllt, dass die Free Syrian Police nicht nur - das kommt in vergleichbaren Situationen häufig vor - Gehälter für verstorbene oder nicht existierende Polizisten bei ihren Finanziers kassiert hat. Sie hat darüber hinaus zum Teil Jihadisten zugearbeitet, darunter der syrische Al Qaida-Ableger. So gaben Polizisten unter Zwang ihre Gehälter an die jihadistische Miliz Nur al Din al Zinki weiter. Der Al Qaida-Ableger Al Nusra konnte in mindestens zwei Polizeidistrikten das Polizeipersonal auswählen. Die Free Syrian Police kooperierte zudem mit sogenannten Scharia-Gerichten, die oft von Al Nusra beherrscht werden. In mindestens einem Fall sperrte die Polizeitruppe Straßen ab, um die Steinigung zweier Frauen zu ermöglichen.[3] Das Auswärtige Amt erklärt, die Finanzierung der Free Syrian Police im August 2017 eingestellt zu haben. Die Regierungen Großbritanniens und der Niederlande sind diesem Schritt nun gefolgt. Dennoch haben Jihadisten, darunter Al Qaida, von der Unterstützung für angeblich zivilgesellschaftliche Strukturen kräftig profitiert.
Illegale ReexporteDie CAR-Untersuchung weist noch auf einen zweiten Aspekt der Recherchen hin: Rumänien und Bulgarien lieferten die Waffen, die letztlich beim IS landeten, explizit an die Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien - und zwar für deren eigenen Gebrauch. Der Reexport an aufständische Milizen in Syrien erfolgte ohne die vorgeschriebene Genehmigung und damit unter offenem Bruch bestehender Rüstungsexportbestimmungen. Washington und Riad gehören zu den bedeutendsten Kunden auch deutscher Waffenschmieden; dass sie sich nicht an das Verbot halten, Rüstungsgüter ohne ausdrückliche Genehmigung des Herstellers weiterzuverkaufen - und das auch noch direkt in einen heißen Krieg -, ist nun ausführlich dokumentiert. Noch 2015 hat Berlin unter anderem die Lieferung großer Mengen an Munition an Saudi-Arabien genehmigt. Ihr Verbleib kann nun nicht mehr als gesichert angesehen werden.
Unabhängig - dank RheinmetallAllerdings werden solche Fragen künftig keine besondere Rolle mehr spielen: Saudi-Arabien hat bereits im März 2016 eine eigene Munitionsfabrik eröffnet, die von dem südafrikanischen Ableger des Rheinmetall-Konzerns, Rheinmetall Denel Munition (RDM), gebaut worden ist und Berichten zufolge auch weiterhin von RDM betreut wird.[4] Damit ist Riad nicht nur für seinen eigenen Bedarf von Berliner Liefergenehmigungen unabhängig, sondern auch für den Weiterverkauf.
[1] Zitate hier und im Folgenden: Conflict Armament Research: Weapons of the Islamic State. A three-year investigation in Iraq and Syria. London, December 2017. [2] Karin Leukefeld: Steuerfinanzierte Islamisten. junge Welt 11.12.2017. [3] UK foreign aid money 'diverted to extremists' in Syria. bbc.co.uk 04.12.2017. [4] S. dazu Man schießt deutsch. |
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erschienen am 19. Dezember 2017 auf > German Foreign Policy > Artikel | |||||||||||||||||||||
Herzlichen Dank den Kollegen von German Foreign Policy, einer Website, die ich täglich lese und die ich uneingeschränkt empfehle. | |||||||||||||||||||||
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