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  Die Türkei riecht die Angst der EU und springt für $6,6 Milliarden ein

Finian Cunningham 

 

Als die Regierung in Ankara am Wochenende eine brutale Maßregelung gegen eine Zeitung durchführte und daraufhin nur minimale Proteste aus dem Westen als Reaktion erfuhr, wusste Präsident Erdogan, dass er am längeren Ast saß – um die Flüchtlingskrise auszunützen.

Es scheint mehr als merkwürdig, dass die Behörden in Ankara einen unverfrorenen Angriff auf demokratische Rechte unternahmen, nur drei Tage, ehe ein hochrangiges Treffen zwischen Führern der Europäischen Union und der Türkei über die europäische Flüchtlingskrise angesetzt war.

Die gewaltsame Übernahme der größten Oppositionszeitung der Türkei, Zaman, durch die Polizei, und deren unmittelbare Einschüchterung zu einer zahmen pro-Regierungs-Publikation stellt die bisher schamloseste autoritäre Maßnahme der herrschenden AK-Partei des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan dar.

Türkische Oppositionspolitiker bezeichneten den vollen Frontalangriff gegen unabhängige Medien als einen Schritt, der einem Staatsstreich durch Erdogan gleichkommt.

Aber die Reaktion des Westens auf den drakonischen Einsatz der Staatsgewalt war gedämpfter denn je zuvor. Es gab kaum Berichte über die Aufbringung von Zaman in westlichen Medien. Sowohl Washington als auch die EU gaben nur oberflächliche Erklärungen über ihre „Besorgnis“ ab und forderten Ankara atemlos auf, die „Redefreiheit“ und „zentrale europäische Werte“ zu respektieren.

In den letzten Monaten hat Erdogan Journalisten eingesperrt und kritische Medien geschlossen. Unter seiner zunehmend autokratischen Herrschaft haben die Behörden in Ankara Tausende von Bürgern verfolgt, die den Präsidenten in sozialen Medien „beleidigt“ haben.

Schwerwiegender ist, dass Erdogan eine blutige Welle der Repression gegen ethnische Kurden im Südosten des Landes angeordnet hat, mit beunruhigenden Berichten über Massenmorde durch türkische Truppen. Das türkische Militär hat nun schon einige Wochen hindurch auch Positionen der Kurden in Syrien über die Grenze hinweg mit Artillerie beschossen.

Es ist nicht so, dass die EU-Führer sich Erdogans schurkischen Verhaltens nicht bewusst sind. Ein im November herausgegebener Bericht der EU behandelte die zunehmende Unterdrückung der Menschenrechte. Aber Erdogan fuhr fort mit seinem autokratischen Griff nach der Macht. Man kann sagen, dass der totale Angriff auf ein oppositionelles Nachrichtenmedium am Wochenende sein bisher schamlosester Schritt ist. Das Timing legt die Vermutung nahe, dass es darum ging, die Entschlossenheit der Europäischen Union zu testen. 

Anders gesagt, Erdogan wusste aufgrund des Schweigens und der leeren Plattitüden des Westens, dass seine repressive Vorgangsweise keine negativen Auswirkungen haben würde. Warum das? Weil, wie Erdogan ganz genau weiß, die EU auf ihren Knien liegt, um seine Kooperation für die Beendigung der Flüchtlingskrise zu bekommen, die direkt ihre Fundamente angreift. Das hieß wiederum, dass er seinen Premierminister Ahmet Davutoglu nach Brüssel schicken konnte, um kolossale Zugeständnisse herauszuholen. 

Bezeichnenderweise zog der türkische Premier Davutoglu in der letzten Minute vor der Eröffnung des Brüsseler Gipfels am Montag „einige neue Ideen“ aus der Tasche. Eine dieser „neuen Ideen“ war, dass Ankara nicht mehr $3,3 Milliarden an EU-Hilfe verlangte, wie es vor vier Monaten getan hatte. Ankara verlangte jetzt, dass dieser Betrag verdoppelt wird.

Davutoglu wies auf seine Überlegenheit hin, als er in Brüssel ankam, indem er sagte: „Die gesamte Zukunft Europas liegt auf dem Tisch.” Und er ließ auch wissen, dass die Türkei über mehr als nur Flüchtlinge reden wollte, indem er hinzufügte, Ankara erwarte „eine neue Ära in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU.“

Das Ergebnis der Verhandlungen in dieser Woche in Brüssel ist, dass die Türkei eine Steigerung der Finanzhilfe um 100% - also $6,6 Milliarden - von der EU bekommen wird, angeblich für die Versorgung von syrischen Flüchtlingen auf ihrem Territorium.

Ankara rang Euroland auch ein Versprechen ab, dass seine 75 Millionen Bürger ab Juni dieses Jahres ohne Visum einreisen können, und – vielleicht der höchste Preis – die Türkei bekam von Brüssel ein Versprechen, ihre lange verzögerte Aufnahme in die Europäische Union zu beschleunigen.

Ein Bericht in der Financial Times wies auf den delikaten Balanceakt hin: „EU-Führer gehen vorsichtig vor bei Maßregelung von Medien durch die Türkei,“ und fügte hinzu: „Die Führer sind vorsichtig, um den Handel mit Ankara in der Flüchtlingsfrage nicht zu gefährden.“

Theoretisch wurde der EU das Albtraumszenario von Tausenden von Flüchtlingen erspart, die Tag für Tag mit Booten von der Türkei nach Griechenland übersetzen und dann weiter nach Norden ziehen. Die unkontrollierte Wanderbewegung im vergangenen Jahr bedrohte direkt die Existenz der EU mit ihren 28 Mitgliedsstaaten, von denen einige sich öffentlich in die Haare gerieten wegen geschlossener Grenzen und ihrer Ansicht nach unfairer Belastungen.

Was Ankara als Gegenleistung zu bieten scheint, ist seine Kooperation bei der systematischen Rückführung aller zur Zeit in Griechenland befindlichen – rund 30.000 - Flüchtlinge zurück in die Türkei. In noch nicht näher bestimmter Zukunft ist die EU verpflichtet, syrische Flüchtlinge in gleicher Anzahl zu übernehmen, in einem anscheinend ordentlichen Verfahren des Ansuchens um Asyl. Es wird allerdings abzuwarten sein, ob ein dermaßen kompliziertes Arrangement bei der Rückführung von Flüchtlingen in die EU praktisch funktionieren kann. Jedenfalls wird die Europäische Union weiterhin große Probleme mit ihren Mitgliedsstaaten haben, die sich weigern, bestimmte Quoten von Asylwerbern aufzunehmen.

Was allerdings wohl als sicher angesehen werden kann, ist die gewaltsame „Zurücklieferung” – wie der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk sagte – von Flüchtlingen von Griechenland in die Türkei. „Die Tage der irregulären Migration nach Europa sind vorbei,“ sagte Tusk nach dem Brüsseler Gipfel mit einem Ton der Erleichterung.

Bei diesem trostlosen Unternehmen, drangsalierte Familien abzuführen, wird die militärische Allianz der NATO die Führung übernehmen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bestätigte, dass die Allianz ihre Marinepräsenz im Ägäischen Meer aufstockt, um Flüchtlingsboote abzufangen.

Der Handel schmeckt also nach Notmaßnahme, wobei so schön hochtrabende Prinzipien der Europäischen Union über Bord geworfen werden.

EU-Führer verzweifelten zunehmend beim Aufhalten des Migrantenstroms, und das ist das Ergebnis. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel stand unter besonderem Druck, den Strom von Menschen einzudämmen, der ihrer anfänglichen Politik der „offenen Tür“ folgte. 

Der Pfad der Flüchtlinge nach Europa wurde mit diesem letzten Abkommen der EU mit der Türkei blockiert, obwohl dermaßen drastische Maßnahmen mit ernsthaften ethischen und rechtlichen Auswirkungen verbunden sind. Nach dem EU-Recht haben alle Flüchtlinge das Recht, um Asyl anzusuchen. Das ist nicht mehr garantiert, garantiert ist hingegen, dass jedes Flüchtlingsboot, das in der Ägäis abgefangen wird, zwangsweise von Kriegsschiffen der NATO in die Türkei zurückgebracht wird. Das signalisiert die Eskalation von roher Gewalt über Menschenrechte. 

Das alles hat den Beigeschmack bitterer Ironie. Erst in der letzten Woche beschuldigten NATO-Führer Russland, „syrische Flüchtlinge zu instrumentalisieren“ für angebliche politische Ziele in Zusammenhang mit der Untergrabung der Europäischen Union. Diese groteske Behauptung ist es nicht wert, dass man sich näher damit beschäftigt.

Der Realität steht hingegen viel näher, dass das NATO-Mitglied Türkei die Seite ist, die Flüchtlinge instrumentalisiert hat. Erdogans Staat hat eine prominente Rolle gespielt bei der Anstiftung des bereits fünf Jahre andauernden Kriegs in Syrien mit dem Ziel des Regimewechsels in Damaskus. Der Krieg droht sich noch weiter hinzuziehen, geht man aus von der anhaltenden Rolle der Türkei bei der Bereitstellung von Waffen und Insurgenten, die illegal nach Syrien gelangen. Vor diesem Hintergrund sind fast drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei gelandet und wurde Europa dem destabilisierenden Zustrom von Migranten ausgesetzt. 

Der syrische Präsident Bashar Assad sagte vor kurzem, dass die Flüchtlingskrise Europas schnell gelöst wäre, wenn der Krieg gegen sein Land beendet würde. Das kann erreicht werden, wenn die europäischen Mächte hart dagegen durchgreifen, dass die Türkei und Saudiarabien Waffen und Söldner nach Syrien schicken.

Stattdessen belohnen die EU-Oberherren jedoch das Erdogan-Regime mit $6,6 Milliarden, während sie gleichzeitig die Menschenrechte mit Füßen treten und dadurch sicherstellen, dass das ganze Problem hinausgeschoben wird bis zu einem viel größeren Anlassfall.

 
     
  erschienen am 8. März 2016 auf RT und > Ron Paul Institute for Peace and Prosperity > Artikel  
  Archiv > Artikel von Finian Cunningham auf antikrieg.com  
 
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siehe dazu im Archiv:
  Stephen Kinzer - Die Medien täuschen die Öffentlichkeit über Syrien
  Peter Oborne - Notiz aus Aleppo: die terroristischen Belagerer der Stadt werden jetzt überwältigt
  Ulson Gunnar - Syrien: es ist kein Bürgerkrieg und war auch nie einer
  Andre Vltchek - Wie der Westen Terrorismus erzeugt
  Klaus Madersbacher - Wir müssen uns selbst weiterbilden
  Vladimir Putin - Rede vor der Generalversammlung der UNO
  Paul Craig Roberts - Obama vergöttlicht die amerikanische Hegemonie
  John V. Walsh - Warum sind Russland und China (und der Iran) vorrangige Feinde der herrschenden Elite der Vereinigten Staaten von Amerika?
  Garikai Chengu - Libyen: Von Afrikas reichstem Staat unter Gaddafi zu einem gescheiterten Staat nach dem NATO-Überfall
  John Philpot - Versagen des Internationalen Rechts und der Menschenrechtsinstitutionen: Palästina, Syrien und Irak im Jahr 2014
  Ismael Hossein-zadeh - Das Chaos im Mittleren Osten und darüber hinaus ist geplant
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