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Perioden
des 'Anti-Terror-Kriegs' German Foreign Policy
BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) - Das gestern in rund 20 Ländern weltweit veröffentlichte "Guantánamo-Tagebuch" des Folterhäftlings Mohamedou Ould Slahi wirft zu Beginn einer neuen Periode des "Anti-Terror-Kriegs" ein Schlaglicht auf die Verbrechen des Westens in dessen erster Phase. Ould Slahi beschreibt in dem Werk, das er schon 2005 verfasste, das aber erst jetzt und nur in erheblich zensierter Form publiziert werden darf, wie er im US-Lager Guantanamo misshandelt und gefoltert wurde. Obwohl er lange in Deutschland gelebt hat, bestand die einzige Aufmerksamkeit, die Berlin ihm gewährte, in einem Verhör durch den Bundesnachrichtendienst (BND) - in Guantanamo, ungeachtet der dort begangenen Folter. Dort hat Berlin im Jahr 2002 auch den in Bremen geborenen und ansässigen Murat Kurnaz vernehmen lassen, ihn jedoch abgewiesen, als Washington ihn 2002 freilassen und nach Deutschland überstellen wollte. Die Entscheidung, die Kurnaz vier weitere Jahre Folterhaft einbrachte, verantworten der heutige Präsident des deutschen Inlandsgeheimdienstes und der heutige deutsche Außenminister. Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat mehrmals bekräftigt, er halte es auch im Rückblick für richtig, Kurnaz nicht aus der Folterhaft in seine deutsche Heimat aufgenommen zu haben. Steinmeier ist einer der maßgeblichen deutschen Politiker in der neuen Phase des "Anti-Terror-Kriegs". "Treibt ihn zum Wahnsinn!" Am gestrigen Dienstag ist das "Guantanamo-Tagebuch" von Mohamedou Ould Slahi in mehreren Sprachen in rund 20 Ländern weltweit veröffentlicht worden.[1] Ould Slahi beschreibt darin, wie er in das US-Folterlager Guantanamo verschleppt und dort misshandelt und gefoltert wurde - als einer von insgesamt 779 Gefangenen, die unter Bruch sämtlicher völkerrechtlicher Konventionen festgehalten wurden und zum Teil noch werden. Die Foltermethoden umfassten unter anderem Schläge, Unterkühlung, Licht- und Lärmfolter und zahlreiche weitere Formen der Misshandlung. Ould Slahi zitiert einen Gefangenenwächter: "Zeigt ihm keine Gnade. Erhöht den Druck. Treibt ihn zum Wahnsinn". Bei Passagen wie dieser handelt es sich um solche, die Washingtons Zensoren für publizierbar hielten; das galt bei weitem nicht für alle: Insgesamt sind in dem gut 400 Seiten starken Band rund 2.500 Schwärzungen vorgenommen worden, eine davon mit einer Länge von elf Seiten. Ould Slahi hat das Buch bereits 2005 verfasst; erst jetzt ist es von den staatlichen Stellen zur Veröffentlichung im "freien Westen" freigegeben worden. Rechtswidrig Abgesehen von den Folterverbrechen, denen er ausgesetzt war und womöglich noch ist, wird Ould Slahi bis heute ohne rechtsstaatliche Grundlage und ohne Anklage festgehalten. Im März 2010 hat ein US-Gericht deswegen seine sofortige Freilassung angeordnet. Die Obama-Administration hat jedoch Widerspruch dagegen eingelegt, weshalb Ould Slahi bis heute in Guantanamo festgehalten wird - zusammen mit 121 weiteren Gefangenen. Washington hat entgegen anderslautenden Ankündigungen das illegale Haftlager, mit dem es in die erste Phase des "Anti-Terror-Kriegs" startete, nicht geschlossen und betreibt es weiterhin. Während der "Anti-Terror-Krieg" nun in eine neue Ära übergeht, bleiben die in Guantanamo verübten Menschenrechtsverbrechen gänzlich ohne Konsequenzen. Schwer gefoltert Ohne Konsequenzen geblieben ist auch die Beteiligung deutscher Behörden bis hin zu höchsten Amtsträgern an Maßnahmen im Rahmen des Guantanamo-Komplexes. Dies betrifft insbesondere die jahrelange Inhaftierung des 1982 geborenen Murat Kurnaz aus Bremen. Kurnaz war am 1. Dezember 2001 auf einer Reise in Pakistan festgenommen, von pakistanischen Repressionskräften gegen ein Kopfgeld an die US-Streitkräfte verkauft und von diesen zunächst in ein Haftlager in Kandahar verschleppt worden, wo er schwer gefoltert wurde. Das Lager wurde unter anderem von Bundeswehrsoldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) bewacht. Kurnaz hat berichtet, auch von zweien von ihnen misshandelt worden zu sein; ein Gerichtsverfahren gegen sie ist aus Mangel an Beweisen allerdings eingestellt worden.[2] Anfang Februar 2002 wurde Kurnaz nach Guantanamo verschleppt. Die schwere Folter, die er dort durchleiden musste, hat er in einem Buch geschildert, das 2013 verfilmt worden ist.[3] Besonders menschenunwürdig Die Haftbedingungen und die Folter in Guantanamo haben Berlin nicht daran gehindert, deutsche Beamte in das berüchtigte US-Lager zu entsenden, um Kurnaz dort zu verhören. Über ein entsprechendes US-Angebot diskutierte die sogenannte Präsidentenrunde [4] im Bundeskanzleramt bereits am 29. Januar 2002. Nach entsprechenden Abstimmungen mit Washington einigte sich die Runde am 9. Juli 2002, Kurnaz tatsächlich in Guantanamo zu "befragen". Zu diesem Zeitpunkt waren die Haftumstände und die Folter in Guantanamo im Kern längst bekannt. Bereits im Januar 2002 hatte etwa der damalige britische Premierminister Tony Blair in einer handschriftlichen Notiz Bedenken gegen Guantanamo wegen gravierender Foltervorwürfe geäußert.[5] Von den Teilnehmern der Präsidentenrunde im Berliner Kanzleramt hat lediglich Hansjörg Geiger, damals Staatssekretär im Bundesjustizministerium, eingeräumt, damals sei es bekannt und "Communis Opinio" gewesen, dass die Guantanamo-Insassen "besonders menschenunwürdig" behandelt würden.[6] Der damalige BND-Präsident und spätere Staatssekretär im Bundesinnenministerium August Hanning hat vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zu den Folterskandalen im "Anti-Terror-Krieg" behauptet, Misshandlungen in Guantanamo "nicht für möglich gehalten" zu haben. Ähnlich äußerten sich weitere Teilnehmer der Runde, darunter der damalige Chef des Bundeskanzleramts, Frank-Walter Steinmeier, der mit der Aussage zitiert wird, er könne sich nicht erinnern, "im Jahre 2002 über Folterungen in Guantánamo gesprochen zu haben". Elektroschocks, Wassertauchen, Isolationshaft Nichts von menschenunwürdiger Behandlung oder gar Folter mitbekommen haben wollen auch die zwei Mitarbeiter des BND und ihr Kollege vom deutschen Inlandsgeheimdienst (Bundesamt für Verfassungsschutz), die am 23. und 24. September 2002 Kurnaz in Guantanamo verhörten. Er habe den dreien "von der Folter in Kandahar" berichtet, "von den Elektroschocks und den Ketten, vom Wassertauchen und der Isolationshaft in Guantanamo", schildert Kurnaz in einem Buch über seinen Leidensweg: "Das alles schien sie nicht zu interessieren."[7] Tatsächlich haben die beteiligten Beamten später konsequent abgestritten, von Kurnaz über die Folter informiert worden zu sein; der Bremer habe lediglich geäußert, "dass er unter der Hitze leide" und "dass das Essen nicht seinen Anforderungen genüge", wird einer von ihnen zitiert.[8] Am 24. September verhörten die deutschen Geheimdienstler noch einen weiteren Guantanamo-Insassen; bei diesem hat es sich mutmaßlich um Mohamedou Ould Slahi gehandelt. Fragenkataloge für die "Verhöre" stellten nicht nur die beteiligten Behörden, sondern auch das Bundeskriminalamt (BKA) und das Landeskriminalamt (LKA) Bremen zusammen. In die Vorbereitungen war darüber hinaus das Bremer Landesamt für Verfassungsschutz involviert. Freilassung verhindert Nicht nur haben deutsche Geheimdienstler bei ihren Verhören im Rahmen des "Anti-Terror-Kriegs" sich außer Stande gesehen, Folter wahrzunehmen, wo andere längst über sie in Kenntnis waren; dies ist übrigens auch von Verhören unter Beteiligung deutscher Beamter in Folterknästen in Syrien und im Libanon bekannt (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Darüber hinaus hat die rot-grüne Bundesregierung Kurnaz' Freilassung, die bereits 2002 möglich gewesen wäre, jahrelang verhindert. Dies geht aus einem Bericht der Bundesregierung an das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags hervor.[10] Demnach wurde am 29. Oktober 2002 bei einer Besprechung im Kanzleramt auch über ein Angebot Washingtons diskutiert, Kurnaz nach Deutschland zu überstellen - weil man ihn für unschuldig halte. Wie die Regierung dem geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium berichtete, habe der BND sich damals "für Abschiebung in die Türkei" - Kurnaz besitzt die türkische Staatsbürgerschaft - "und Einreisesperre für Deutschland" ausgesprochen. Dem habe sich das Kanzleramt unter seinem Chef Steinmeier ausdrücklich angeschlossen. Am 9. November 2002 vermerkte der BND, die "Entscheidung der Regierung, wonach Kurnaz nicht nach DEU abgeschoben werden solle", stoße "bei US-Seite auf Unverständnis": "Freilassung sei wegen seiner nicht feststellbaren Schuld sowie als Zeichen der guten Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden geplant gewesen."[11] Aufenthaltsgenehmigung erloschen Der rot-grünen Bundesregierung hat Kurnaz es zu verdanken, dass er erst am 24. August 2006 aus der US-Folterhaft entlassen wurde - nach einem Regierungswechsel in Berlin. Von den Personen, die damals unmittelbare Verantwortung dafür trugen, sind einige mittlerweile in höchste Ämter aufgerückt - unter anderem Hans-Georg Maaßen. Maaßen, damals Referatsleiter im Bundesinnenministerium unter Otto Schily (SPD), lieferte der Bundesregierung am 30. Oktober 2002 die Begründung dafür, dass Kurnaz nicht nach Deutschland entlassen werden dürfe: Kurnaz sei zwar in Deutschland geboren, aber türkischer Staatsbürger; seine Aufenthaltsgenehmigung sei erloschen, weil er sich "länger als sechs Monate im Ausland" aufgehalten habe - er dürfe also nicht einreisen. Dass Kurnaz mit Gewalt verschleppt und sogar gefoltert worden sei, spiele dabei keine Rolle. Der damalige Kanzleramtschef Steinmeier erklärte später, er habe Maaßen "nicht nur nichts vorzuwerfen, sondern das war der vom Innenministerium zu verantwortende Teil der Umsetzung der Entscheidung" der Bundesregierung, Kurnaz' Einreise zu verhindern.[12] Hans-Georg Maaßen ist seit dem 1. August 2012 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das in der neuen Phase des "Anti-Terror-Krieges" bei der Repression im Inland eine wichtige Rolle spielt. In die nächste Runde Frank-Walter Steinmeier, als Kanzleramtschef damals einer der maßgeblichen Verantwortlichen, amtiert seit Ende 2013 zum zweiten Mal als Außenminister. "Ich würde mich heute nicht anders entscheiden", erklärte er bereits 2007 zu den Vorwürfen, Kurnaz habe wegen der harten Haltung Berlins rund vier weitere Jahre in Folterhaft verbringen müssen.[13] Positionen wie diese sind in den vergangenen Jahren nie ernsthaft in Frage gestellt worden. Mit ihnen gehen Berlin, seine Politiker und seine Geheimdienste nun in die nächste Runde des "Anti-Terror-Kriegs".
Weitere Informationen zu Verschleppung und Folter im "Anti-Terror-Krieg" und zu dessen beginnender nächster Phase finden Sie hier: Die Phase der gezielten Tötungen, Kein Eingeständnis, Mitwisser und Profiteure, Der Krieg kehrt heim (II), Der Krieg kehrt heim (III), Die nächste Runde in Mittelost und Das Bündnis der Freien und Friedfertigen. [1] Mohamedou Ould Slahi:
Das Guantanamo-Tagebuch. Stuttgart 2015. |
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erschienen am 21. Januar 2014 auf > German Foreign Policy > Artikel | ||||||||||||||||||
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