HOME   INHALT   BLOG   INFO   LINKS   VIDEOS   ARCHIV   KONTAKT   ENGLISH
 
     

"Vielleicht stehen wir nicht vor dem Great Reset, sondern an der Schwelle zum Great Awakening?" (aus einer Leserzuschrift)

     
 

Die nächste Zeitenwende

Berliner Denkfabrik fordert Absage an kleinere Militäreinsätze in aller Welt und komplette Fokussierung von Bundeswehr und Gesellschaft auf den Krieg gegen Russland. US-Strategen spekulieren über drei parallel geführte Kriege.

German Foreign Policy

 

BERLIN/WASHINGTON(Eigener Bericht) – Deutschland und Europa stehen vor einer zweiten „Zeitenwende“. Dies sagt die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer aktuellen Studie voraus. Demnach ist nach der US-Präsidentenwahl am 5. November nicht nur dann mit einer deutlichen Reduzierung der US-Militäraktivitäten in Europa zu rechnen, wenn Donald Trump den Urnengang gewinnt, sondern auch dann, wenn Joe Biden als Sieger aus ihm hervorgeht. Auch Biden werde „im Zweifelsfall“ einem etwaigen Krieg gegen China um Taiwan Vorrang vor einer fortgesetzten Unterstützung der Ukraine in deren Krieg gegen Russland einräumen, urteilt die SWP. Es werde daher „die Hauptaufgabe“ der deutschen Außen- und Militärpolitik sein, die EU bzw. die NATO-Staaten Europas künftig gegen Russland „zu sichern“. „An diesem Ziel“ müssten sich „alle Aspekte“ der Aufrüstung ausrichten. Von kleineren Militäreinsätzen in aller Welt müsse man daher jetzt „Abstand nehmen“. Dies entspricht nicht zuletzt Überlegungen in den USA, man werde das drohende Szenario dreier gleichzeitig zu führender Kriege – gegen Russland, in Nah- und Mittelost, gegen China – nur mit massiv hochgerüsteten Verbündeten gewinnen können.

 

Zwei Kandidaten, eine Richtung

 

Nach der Präsidentenwahl in den USA am 5. November dieses Jahres werden die Staaten Europas „mit einer weiteren Zeitenwende konfrontiert sein“, sagt die SWP in einer aktuellen Studie voraus.[1] Zwar stünden sich mit Joe Biden und Donald Trump „zwei Denkschulen gegenüber“, die „die Rolle der USA mit Blick auf die amerikanische Politik in und gegenüber Europa sehr unterschiedlich definieren“. Trumps Absicht, die militärischen Aktivitäten der Vereinigten Staaten auf dem europäischen Kontinent zu reduzieren, sei bekannt. Doch könne das nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der „geopolitische[...] Fokus“ der Biden-Administration „auf dem indopazifischen Raum“ liege; „das gegenwärtige Engagement in Europa“ sei auch für sie lediglich eine „Ausnahme“. „Die gesellschaftlichen Strömungen und Bindekräfte“ in den USA drängten „die außenpolitische Programmatik beider Kandidaten in dieselbe Richtung“, konstatiert die SWP.

 

Trump und die Restrainer

 

Donald Trump schreibt die Berliner Denkfabrik eine – trotz Abstrichen – deutliche Nähe zu einer außenpolitischen Fraktion zu, deren Anhänger zuweilen als „Restrainer“ bezeichnet werden. Diese plädierten „für ein selektives Engagement Washingtons in der internationalen Politik“, das sich exklusiv „an den nationalen Interessen der USA orientieren“ solle, heißt es in der SWP-Studie. Restrainer seien der Auffassung, die Vereinigten Staaten seien „in der Vergangenheit ... zu viele sicherheitspolitische Verpflichtungen eingegangen“ und sollten sie nun „reduzieren“. Der Ukraine-Krieg gelte ihnen als ein „periphere[r] Krieg in den östlichen Ausläufern Europas“, der „die strategischen Kerninteressen Amerikas nicht beeinträchtige“ und deshalb keine herausragenden US-Aktivitäten rechtfertige. Die Restrainer forderten eine massive „Lastenverlagerung ... weg von den USA, hin zu Europa“. Dies könne „zu einer europäisierten Nato führen“, in der die Vereinigten Staaten als eine Art „Logistikdienstleister letzter Instanz“ und „Garant für freie Seewege und Handelsrouten“ fungierten.

 

Biden und die Primacists

 

Joe Biden wiederum ordnet die SWP als der Denkschule der „Primacists“ nahestehend ein. Dieser zufolge müssten die Vereinigten Staaten in der internationalen Politik danach streben, „ihre geopolitische Vormachtstellung aufrechtzuerhalten“; die „Grundlage“ ihrer „globalen Vorherrschaft“ sei dabei „die konkurrenzlose militärische Überlegenheit des Landes“. Allerdings sei sich die Biden-Administration bewusst, dass die USA „nicht zwei Kriege – denjenigen Russlands gegen die Ukraine und einen potentiellen zwischen China und Taiwan – gleichzeitig bewältigen“ könnten. Es sei klar, dass sie „im Zweifelsfall ... einem Konflikt in der Straße von Taiwan Priorität einräumen“ würden. Eine „Biden-Administration 2.0“ werde daher „auf eine deutlich stärkere Lastenteilung hinwirken“, sagt die SWP voraus. Diese werde – ebenso wie die von einer neuen Trump-Administration erwartete Lastenverlagerung – einen deutlich verstärkten „europäischen Pfeiler der Nato“ erforderlich machen.

 

Alles auf ein Ziel

 

In beiden Szenarien werde es „die Hauptaufgabe“ der deutschen Außen- und Militärpolitik sein, die EU bzw. die europäischen NATO-Mitglieder „gegen ein aggressiv-revisionistisches Russland zu sichern“, schreibt die SWP. „An diesem Ziel“ hätten sich ab sofort „alle Aspekte der Planungen für die Bundeswehr auszurichten – Finanz-, Personal-, Rüstungs- und Streitkräfteplanung“. Der Bundeswehrhaushalt müsse dabei von 2028 an zumindest 75 bis 80 Milliarden Euro im Jahr erreichen. Die SWP erinnert daran, dass der Wehretat etwa im Jahr 1963 sogar bei 4,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gelegen habe; dies lasse sich heute aber „wohl nur als Reaktion auf einen außenpolitischen Schock noch einmal erreichen“. Die erforderliche militärische Fokussierung auf den Machtkampf gegen Russland verlange, dass Deutschland künftig „vom internationalen Krisenmanagement“ – Militäreinsätze in aller Welt – „Abstand nehmen“ müsse. Die SWP lehnt darüber hinaus die Teilnahme der Bundeswehr an Manövern in der Asien-Pazifik-Region ab: „Vereinzelte Versuche, die Bundeswehr ... zu einem Anbieter von Sicherheit“ im Indischen und Pazifischen Ozean „zu stilisieren“, könnten „kein Ausdruck einer ernsthaften Orientierung der deutschen Sicherheitspolitik sein“.

 

„900.000 Reservisten aktivieren“

 

An der Maxime, alle verfügbaren Ressourcen auf die Vorbereitung eines möglichen Kriegs gegen Russland zu fokussieren, orientiert sich die Bundesregierung in der Tat und greift dabei derzeit noch stärker aus als bisher. So fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius aktuell, „wir“ müssten „bis 2029 kriegstüchtig sein“.[2] Um „durchhaltefähig und aufwuchsfähig“ zu sein, brauche man „junge Frauen und Männer“ in größerer Zahl als bisher; deshalb sei eine neue Form des Wehrdienstes unumgänglich. Anfang vergangener Woche war zudem die Forderung laut geworden, den mobilisierenden Zugriff auf ehemalige Bundeswehrsoldaten zu erleichtern. Notwendig sei es etwa, „die Meldedaten wieder zu erfassen und dann auch den Gesundheitszustand zu überprüfen“, forderte der Vorsitzende des Reservistenverbandes der Bundeswehr, Patrick Sensburg (CDU).[3] Die scheidende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), verlangte die Aktivierung der „ungefähr 900.000“ früheren Soldaten, „die wir in Deutschland haben“; man müsse „so schnell wie möglich verteidigungsfähig werden“.[4]

 

Drei Kriege gleichzeitig

 

Die Mobilisierung größtmöglicher Ressourcen für einen etwaigen Krieg gegen Russland kommt Überlegungen von US-Strategen zugute, die nicht ausschließen, Washington könne in absehbarer Zeit nicht nur in zwei, sondern sogar in drei Kriegen gleichzeitig kämpfen. Schon jetzt seien die Vereinigten Staaten in zwei Kriege involviert – in den Ukraine- und in den Gaza-Krieg –, während sich am Horizont bereits „ein dritter“ abzeichne – gegen China um Taiwan [5], heißt es in einem aktuellen Onlinebeitrag in der führenden außenpolitischen US-Zeitschrift, Foreign Affairs. Es erweise sich jetzt als nachteilig, dass Washington während der Amtszeit von Präsident Barack Obama offiziell erklärt habe, mit Blick auf seine trotz immenser Stärke doch begrenzten militärischen Kapazitäten in Zukunft nicht mehr zwei große Kriege zugleich führen zu können, heißt es in dem Text weiter; die Bestrebungen der vergangenen Jahre, Europa zu entpriorisieren und sich zudem aus Mittelost zurückzuziehen, um alle Kräfte gegen China in Stellung bringen zu können, hätten die Stellung der USA geschwächt. Im Hinblick darauf, dass man womöglich in absehbarer Zeit sogar drei Kriege zugleich führen werde, sei es dringend erforderlich, verbündete Staaten stärker einzuspannen. Eine vollumfängliche Fokussierung aller Ressourcen in Deutschland und Europa auf einen etwaigen Krieg gegen Russland hält den USA den Rücken für einen Krieg gegen China sowie eine Fortdauer ihrer Militärpräsenz im Nahen und Mittleren Osten frei: Sie ermöglicht damit im Wortsinne einen Dritten Weltkrieg.

 

[1] Zitate hier und im Folgenden aus: Markus Kaim, Ronja Kempin: Die Neuvermessung der amerikanisch-europäischen Sicherheitsbeziehungen. Von Zeitenwende zu Zeitenwende. SWP-Studie 2024/S 15. Berlin, 21.05.2024.

[2] Boris Pistorius: Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein. bundestag.de 05.06.2024.

[3] Reservisten sollen auf Einsetzbarkeit geprüft werden. mdr.de 03.06.2024.

[4] Strack-Zimmermann fordert Aktivierung von 900.000 Reservisten in Deutschland. spiegel.de 01.06.2024.

[5] Thomas G. Mahnken: A Three-Theater Defense Strategy. foreignaffairs.com 05.06.2024.

 
     
  erschienen am 10. Juni 2024 auf > GERMAN-FOREIGN-POLICY > Artikel  
  Archiv > Artikel von German-Foreign-Policy auf antikrieg.com  
  Herzlichen Dank den Kollegen von German-Foreign-Policy für die freundliche Überlassung des Artikels!  
     
>

Die neue Normalität des Spazierengehens

<
     
  > AKTUELLE LINKS  
     
  Übrigens:  
  In den Sudelmedien wird so gut wie täglich über das allerwerteste Befinden des britischen Königshauses und dessen Verwandtschaft berichtet. Wer mit wem, wer gegen wen usw. sind die Fragen, mit denen wir traktiert werden.

Dass es sich hier um die höchste Instanz des Landes handelt, das fernab von rechtsstaatlichen Verhältnissen für Julian Assange - übrigens ein "Untertan" aus der ehemaligen Kolonie Australien - auf Befehl Washingtons vor den Augen der ganzen Welt die Neuauflage des mittelalterlichen Hungerturms inszeniert, bleibt unerwähnt.

Dieser ungeheuerliche Bruch mit der zeitgemäßen Zivilisation beweist eindeutig, dass die sogenannte westliche "Kultur" mitsamt ihren "Werten" ("Menschenrechte", "Rechtsstaat" usw.) keinen Pfifferling wert ist, zumal deren "Hüter" zu diesen skandalösen Vorgängen schweigen.

Klaus Madersbacher, antikrieg.com

 
Antikrieg - Dossiers:
Syrien Israel Jemen Libyen Korea Ukraine

WikiLeaks

     
Einige Lesetips aus dem Archiv:
  Paul Craig Roberts - Die gesamte westliche Welt lebt in kognitiver Dissonanz
  Andrew J. Bacevich - Die Kunst, das Gedächtnis zu formen
  Robert Barsocchini - Israels ‚Recht sich zu verteidigen’: Ein Aggressor kann nicht in Selbstverteidigung handeln
  Jean-Paul Pougala - Die Lügen hinter dem Krieg des Westens gegen Libyen
  Ben Norton - Bericht des britischen Parlaments führt aus, wie der NATO-Krieg 2011 gegen Libyen auf Lügen basierte
  Marjorie Cohn - Menschenrechtsgeheuchel: USA kritisieren Kuba
  John V. Walsh - Warum sind Russland und China (und der Iran) vorrangige Feinde der herrschenden Elite der Vereinigten Staaten von Amerika?
  John Horgan - Warum Töten Soldaten Spaß macht 
  Jonathan Turley - Das Große Geld hinter dem Krieg: der militärisch-industrielle Komplex
  Jonathan Cook - Die vorgetäuschte Welt der Konzernmedien
  Oded Na'aman - Die Kontrollstelle
  Klaus Madersbacher - Seuchen
  Klaus Madersbacher - Hässliche Bilder
  Mark Danner - US-Folter: Stimmen von dunklen Orten
  Paul Craig Roberts - Die Neuversklavung der Völker des Westens
  Stephen Kinzer - Amerikas Staatsstreich im Schneckentempo
     
  Die Politik der Europäischen Union gegenüber Syrien ist nicht nur scheinheilig, zynisch und menschenverachtend, sie ist ein Verbrechen gegen den Frieden. Das wird etwa durch einen durchgesickerten UNO-Bericht (>>> LINK) bestätigt (von dem Sie nicht viel hören werden ...), siehe auch den vor kurzem erschienenen Bericht der US-Abgeordneten Tulsi Gabbard (LINK) und das Interview mit dem niederländischen Pater Daniel Maes (LINK)! In dem Artikel "In Syrien hungert jeder Dritte (LINK)" finden Sie neuere Informationen. Der Bericht des Welternährungsprogramms der UNO (LINK) spricht Bände und kann daher dem breiten Medienpublikum wohl auch nicht zugemutet werden. Weitere Neuigkeiten über dieses Musterstück barbarischer Politik finden Sie >>> HIER.

Das ist die Politik der Europäischen Union, die offenbar von bestimmten Interessengruppen gelenkt wird und sich aufführt wie die Vereinigte Kolonialverwaltung der europäischen Ex-Kolonialmächte. Warum unsere politischen Vertreter nicht gegen diese kranke und abwegige, für keinen vernünftigen Menschen nachvollziehbare Politik auftreten, fragen Sie diese am besten selbst!

 
> Appell der syrischen Kirchenführer im Juni 2016 (!): Die Sanktionen der Europäischen Union gegen Syrien und die Syrer sind unverzüglich aufzuheben! (LINK) <
     
  Im ARCHIV finden Sie immer interessante Artikel!  
  Die Weiterverbreitung der Texte auf dieser Website ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen!  
  <<< Inhalt