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"Vielleicht stehen wir nicht vor dem Great Reset, sondern an der Schwelle zum Great Awakening?" (aus einer Leserzuschrift)

     
 

Rezension: „Mutiny“

Peter Mertens analysiert die Revolte des Globalen Südens gegen die westliche Dominanz und die parallel dazu stattfindenden Revolten innerhalb des Südens und des Westens gegen Armut und Ausbeutung.

German Foreign Policy

 

Die Welt sei in Aufruhr, hielt Fiona Hill, Ex-Mitarbeiterin im Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten, im Mai vergangenen Jahres in einer Rede in der estnischen Hauptstadt Tallinn fest. In zahlreichen Ländern des Globalen Südens kristallisiere sich in „Eliten und Bevölkerungen“ wachsender Widerstand gegen die Hegemonie des Westens bzw. gegen die Hegemonie der Vereinigten Staaten heraus. Die Überzeugung setze sich durch, der Westen habe dem Süden „in einer Zeit der Schwäche“ ein internationales System „aufgenötigt“, das seinen Bedürfnissen, seinen Interessen nicht gerecht werde. Stattdessen dominierten die transatlantischen Mächte „den internationalen Diskurs“. Das jüngste Beispiel, räumte Hill ein, sei der Ukraine-Krieg. In ihm gehe es nach Auffassung vieler im Globalen Süden nicht darum, die Ukraine, sondern vielmehr die globale Dominanz des Westens zu retten, die Russland mit dem Krieg offen in Frage gestellt habe. Das sei denn auch die Ursache, wieso die Russland-Sanktionen keine Unterstützung im Globalen Süden erhielten. Dort tobe zur Zeit vielmehr „eine Meuterei“ – „eine Meuterei gegen das, was sie als den kollektiven Westen ansehen“.

 

Eine „Meuterei“? Der belgische Publizist und Aktivist Peter Mertens greift in seinem jüngsten Buch, das sich mit den tiefen Umbrüchen in der gegenwärtigen Welt befasst, das Stichwort auf. Er schildert, wie in den vergangenen Jahrzehnten die globale Hegemonie der USA bzw. des Westens immer mehr Brüche bekam. Zunächst 2003, als Washington sowie einige Verbündete den Irak mit einem völkerrechtswidrigen Krieg überzogen, danach allerdings nicht in der Lage waren, dort für annehmbare Verhältnisse zu sorgen. Dann 2008, als die globale Finanzkrise die Glaubwürdigkeit des US-dominierten Finanzsystems schwer erschütterte, und 2009, als der gescheiterte Kopenhagener Klimagipfel bestätigte, dass der Westen sich für die Ängste des Südens vor Klimaschäden – Überschwemmungen auf Pazifikinseln und in Bangladesch etwa – nur in Sonntagsreden für das heimische Publikum interessierte. Schließlich 2020, als die westlichen Staaten sich während der Covid-19-Pandemie mehr um die Patente milliardenschwerer Pharmakonzerne sorgten als um Impfstoffe für die Länder des Südens und dort zahlreiche Menschen starben, während EU und USA Vakzine in Massen horteten. Die Attraktivität einer Zusammenarbeit mit dem Westen nahm für den Süden kontinuierlich ab.

 

Insofern kann es kaum erstaunen, dass man heute, wie Fiona Hill es formulierte, aus dem Globalen Süden „ein schallendes Nein zur US-Dominanz“ hört – und nicht nur zu ihr. Auch die EU bringt – oft, ohne es auch nur zu realisieren – den Süden immer stärker gegen sich auf. „Europa“ sei ein „Garten“, in dem „alles funktioniert“; der „Rest der Welt“ dagegen sei „ein Dschungel“, um den sich die europäischen „Gärtner kümmern“ müssten: Das sagte, wie Mertens festhält, kein europäischer Kolonialist des 19. Jahrhunderts, sondern im Oktober 2022 der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Als sich im Juli 2023 bei einem EU-Lateinamerika-Gipfel abzeichnete, dass die lateinamerikanischen Staaten nicht bereit waren, nach der Pfeife der EU zu tanzen, da fiel Mertens eine Äußerung eines hochrangigen EU-Diplomaten auf: „Es sieht so aus, als ob sie als gleichberechtigte Partner wahrgenommen werden wollen.“ Es sieht so aus? Kein Wunder, dass die Staaten Lateinamerikas, ja, des Globalen Südens insgesamt kraftvoll zu meutern begannen, als der Aufstieg Chinas, Indiens und weiterer Staaten ihnen Alternativen zur vormals alternativlosen Kooperation mit dem Westen bot.

 

Mertens skizziert die „Meuterei“, die Weigerung des Globalen Südens, dem Westen stets zu Willen zu sein – sei es, dass fast alle Staaten des Südens die westlichen Russland-Sanktionen bis heute nicht unterstützen, sei es, dass sie sich den Forderungen der EU für Lateinamerika nicht mehr beugen. Nicht nur China, auch Staaten wie Indien oder Brasilien, auch die Länder des afrikanischen Kontinents gehen immer häufiger ihren eigenen Weg. Dabei findet derzeit, so formuliert es Mertens, eigentlich eine doppelte „Meuterei“ statt. Wie die Staaten des Globalen Südens nicht mehr bereit sind, sich der Dominanz des Westens zu beugen, so sind die Bevölkerungen im Süden nicht gewillt, die Unterdrückung im eigenen Land umstandslos hinzunehmen. Mertens erinnert an die brasilianische Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra), die, während die Regierung in Brasília die westliche Dominanz attackiert, ihr Recht auf eine menschenwürdige Existenz gegenüber den brasilianischen Großgrundbesitzern einfordert. Er nennt die All India Democratic Women’s Association (AIDWA), die energisch für Emanzipation innerhalb Indiens kämpft, während die Regierung in New Delhi gegen die Diskriminierung des Südens in der Staatenwelt vorgeht.

 

Beide Formen der „Meuterei“, schreibt Mertens, gehören zusammen; der Blick auf den großen Kampf des Globalen Südens gegen die westliche Dominanz darf nicht den Blick auf die großen Kämpfe innerhalb des Globalen Südens verdunkeln – und auch nicht den Blick auf die Kämpfe, die in den westlichen Staaten ausgetragen werden. Als Mertens an „Mutiny“ arbeitete, da erlebte – so schreibt er – Großbritannien gerade die größte Streikwelle seit Jahrzehnten, ausgelöst durch eine zunehmende Kluft zwischen Reichtum und Armut auch im wohlhabenden Westen. In Frankreich wiederum gingen drei Millionen Menschen gegen Rentenkürzungen auf die Straßen, während etwa Energiekonzerne Rekordprofite einfuhren. Gelinge es, die Meutereien im Westen und im Globalen Süden zusammenzuführen, urteilt Mertens, dann könne es vielleicht gelingen, „die Welt in die demokratische, soziale und ökologische Richtung zu bewegen, die dieser Planet braucht“.

 

„Mutiny“ ist eines der ersten Bücher, das die aktuellen Umbrüche in der globalen Politik umfassend und in all ihren Auswirkungen in den Blick nimmt. Es ist ein Buch, das gerade aus seiner offenen Parteilichkeit für die Unterdrückten analytische Schärfe gewinnt. Es wird voraussichtlich im Herbst 2024 in deutscher Übersetzung erscheinen.

 

Peter Mertens: Mutiny. How Our World is Tilting. New Delhi (LeftWord Books) 2024. 244 Seiten. 23,- US-Dollar.

 
     
  erschienen am 29. April 2024 auf > GERMAN-FOREIGN-POLICY > Artikel  
  Archiv > Artikel von German-Foreign-Policy auf antikrieg.com  
  Herzlichen Dank den Kollegen von German-Foreign-Policy für die freundliche Überlassung des Artikels!  
     
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Dass es sich hier um die höchste Instanz des Landes handelt, das fernab von rechtsstaatlichen Verhältnissen für Julian Assange - übrigens ein "Untertan" aus der ehemaligen Kolonie Australien - auf Befehl Washingtons vor den Augen der ganzen Welt die Neuauflage des mittelalterlichen Hungerturms inszeniert, bleibt unerwähnt.

Dieser ungeheuerliche Bruch mit der zeitgemäßen Zivilisation beweist eindeutig, dass die sogenannte westliche "Kultur" mitsamt ihren "Werten" ("Menschenrechte", "Rechtsstaat" usw.) keinen Pfifferling wert ist, zumal deren "Hüter" zu diesen skandalösen Vorgängen schweigen.

Klaus Madersbacher, antikrieg.com

 
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Das ist die Politik der Europäischen Union, die offenbar von bestimmten Interessengruppen gelenkt wird und sich aufführt wie die Vereinigte Kolonialverwaltung der europäischen Ex-Kolonialmächte. Warum unsere politischen Vertreter nicht gegen diese kranke und abwegige, für keinen vernünftigen Menschen nachvollziehbare Politik auftreten, fragen Sie diese am besten selbst!

 
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