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Sind die
USA eine "unverzichtbare Nation" oder
rücksichtslos und fehlgeleitet? Andrew Bacevich
Präsident Biden verdoppelt nun die selbstgefällige Rhetorik der 1990er Jahre und macht sich genau die Logik zu eigen, die zu den Exzessen und Fehlern geführt hat, die er ironischerweise nicht wiederholen möchte. Unverzichtbare Nation: Dieser von Madeleine Albright in den 1990er Jahren geprägte Begriff wurde bald darauf zum Sinnbild amerikanischer Hybris. Jetzt, inmitten eines festgefahrenen Krieges in der Ukraine, eines zweiten brutalen Konflikts im Nahen Osten und einer lähmenden politischen Dysfunktion im eigenen Land, hat Präsident Biden beschlossen, Albrights prahlerische Behauptung wiederzubeleben. "Wir sind", verkündete er und zitierte Albright in seiner jüngsten Ansprache an die Nation anerkennend, "die unverzichtbare Nation". Das war eine gewagte rhetorische Ausschmückung. Diese Behauptung der Unverzichtbarkeit ist ein Artefakt der Ära nach dem Kalten Krieg - jener kurzen Zeitspanne, in der es schien, dass die Vereinigten Staaten einen einzigartigen Status als einzige globale Supermacht und auserwählter Vertreter der Geschichte genossen. Nicht lange nachdem Albright den Begriff eingeführt hatte, begannen die Vereinigten Staaten vonAmerika - unter dem Eindruck der Ereignisse des 11. September - einen weltweiten Krieg, um diesen Status zu bekräftigen. Die darauf folgenden Militäraktionen, vor allem in Afghanistan und im Irak, erfüllten nicht die Erwartungen ihrer Architekten. Sie sollten kurz sein und ein entscheidendes Ende finden, erwiesen sich aber als sehr lang und sehr kostspielig. In den Augen vieler, sowohl traditioneller Verbündeter als auch von Nationen der Dritten Welt, erschienen die Vereinigten Staaten nicht als unentbehrlich, sondern als rücksichtslos und fehlgeleitet. Das amerikanische Volk reagierte darauf, indem es jemanden ins Weiße Haus holte, dessen Weltanschauung das genaue Gegenteil von Madeleine Albright war. Sollte Donald Trump zum Präsidenten gewählt werden, schwor er, dass er Amerika an die erste Stelle setzen würde. Für die Mitglieder des Establishments, zu dem auch Biden gehört, war allein dieser Gedanke ketzerisch. Wie so oft bei Trump, hat er sein Versprechen nicht gehalten. Seine einzige Amtszeit warf Fragen erster Ordnung über Amerikas angemessene Rolle in der Welt auf, löste sie aber nicht. Dem Establishment gelang es, Trumps Bemühungen um eine Verringerung des Engagements der Nation im Ausland zu vereiteln und gleichzeitig den Belangen im eigenen Land Vorrang einzuräumen. Im öffentlichen Diskurs fungierte "America First" eher als Schimpfwort denn als alternativer Ansatz für eine grundlegende Politik. Von seinen ersten Tagen im Amt an hat Biden es sich zur Aufgabe gemacht, Trumps Erbe zu demontieren. Er hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Geschichte an einem "Wendepunkt" stehe. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten (zusammen mit der drohenden Konfrontation mit China) bieten die Gelegenheit, den Anspruch der Nation auf die globale Führung zu erneuern. Die Bemühungen werden von Washington viel Fingerspitzengefühl erfordern. Zwar gibt es kaum Anzeichen dafür, dass Biden die US-Streitkräfte in einen weiteren aktiven Krieg verwickelt sehen will - eine solche Entwicklung würde seine Chancen auf eine Wiederwahl mit ziemlicher Sicherheit schmälern -, doch zählt er darauf, dass Russland und die Hamas (und damit auch der Iran) den Vereinigten Staaten erlauben, Stellvertreterkriege zu führen, ohne dafür unmittelbare Strafen zu zahlen. Die jüngsten Angriffe auf US-Truppen im Irak und in Syrien sowie die US-Luftangriffe auf mit dem Iran verbundene Ziele in Syrien lassen Zweifel an solchen Erwartungen aufkommen. Tatsächlich erwartet Biden, dass Amerikas Gegner Nachsicht walten lassen und den Vereinigten Staaten freie Hand lassen, zu tun, was sie wollen. Dies ist ein riskantes Unterfangen, ähnlich wie die Erwartung, dass Russland den Vormarsch der NATO nach Osten toleriert oder die Palästinenser das stillschweigende Ende der Zwei-Staaten-Lösung hinnehmen. Jedes dieser Beispiele hat sich als sehr schlechte Wette erwiesen. Biden hat Israel mehrfach dazu aufgefordert, die Fehler, die Amerika nach dem 11. September gemacht hat, nicht zu wiederholen. Doch die Logik seiner im Fernsehen übertragenen Rede bekräftigt genau die Annahmen, die zu Amerikas katastrophaler Übertreibung während des Globalen Kriegs gegen den Terror geführt haben: dass die internationale Ordnung ohne die globale Vormachtstellung der USA zusammenbricht. "Die amerikanische Führungsrolle ist das, was die Welt zusammenhält", betonte Biden. Doch Selbstbeweihräucherung ist eine schlechte Grundlage für die Politik. Die Realität ist, dass die hemmungslose Ausübung amerikanischer Macht in den letzten zwei Jahrzehnten die Vereinigten Staaten zu einem Hauptverursacher globaler Unruhen gemacht hat. Die russische Aggression in der Ukraine und der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober verdienen es, verurteilt zu werden. Aber so zu tun, als seien die Vereinigten Staaten von Amerika nur ein unschuldiger Zuschauer gewesen, während andere Verbrechen begangen haben, ist sinnlos. In Unkenntnis dieser Realität wiederholt Biden nun die selbstgefällige Rhetorik der 1990er Jahre und macht sich damit genau die Logik zu eigen, die zu den Exzessen und Fehlern geführt hat, die er ironischerweise nicht wiederholen möchte. Er rechnet damit, dass die Amerikaner die Kosten in Form von Blut und Geld, die die Vereinigten Staaten aufgrund der wiederkehrenden Dummheit Washingtons bezahlt haben, abschreiben werden. "Unschuldige Menschen auf der ganzen Welt", so Biden in seiner jüngsten Ansprache im Oval Office, "warten auf uns". Vielleicht, aber wenn dem so ist, dann warten sie darauf, dass die Vereinigten Staaten von Amerika die Umsicht und Weisheit an den Tag legen, die in den letzten Jahrzehnten leider gefehlt haben. |
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erschienen am 31. Oktober 2023 auf > BostonGlobe > Artikel | ||||||||||||||
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werden. Dass es sich hier um die höchste Instanz des Landes handelt, das fernab von rechtsstaatlichen Verhältnissen für Julian Assange - übrigens ein "Untertan" aus der ehemaligen Kolonie Australien - vor den Augen der ganzen Welt die Neuauflage des mittelalterlichen Hungerturms inszeniert, bleibt unerwähnt. Dieser ungeheuerliche Bruch mit der zeitgemäßen Zivilisation beweist eindeutig, dass die sogenannte westliche "Kultur" mitsamt ihren "Werten" ("Menschenrechte", "Rechtsstaat" usw.) keinen Pfifferling wert ist, zumal deren "Hüter" zu diesen skandalösen Vorgängen schweigen. Was der neue König dazu sagt? Ob er die Absicht hat, zum Auftakt seiner Regentschaft nicht Gnade vor Recht, sondern Recht vor Unrecht ergehen zu lassen? Klaus Madersbacher, antikrieg.com |
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