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Bis zur
Hüfte im Big Muddy Was können wir von Vietnam über den Krieg in der Ukraine lernen? Andrew J. Bacevich
Ich verbrachte einen Teil des langen Wochenendes zum US-Unabhängigkeitstag (4. Juli) damit, eine alte Aufnahme von "Woody's Children" anzuhören, einer Volksmusiksendung, die 1969 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde und mehrere Jahrzehnte lang auf dem New Yorker Sender WQXR lief. Die Sendung, die ich mir anhörte, wurde erstmals im Oktober desselben Jahres ausgestrahlt, zeitgleich mit dem Vietnam-Moratorium. Es überrascht nicht, dass sie ausschließlich aus Antikriegsliedern bestand, ein Genre, das damals auf dem Höhepunkt seiner Popularität stand. Ich hatte die Sendung beim ersten Mal verpasst. Im Oktober 1969 besuchte ich die Ranger-Schule in Fort Benning, Georgia, als frisch gebackener Leutnant der Armee, der nach Vietnam musste. Zu dieser Zeit empfand ich keine besondere Affinität zu Antikriegsaktivisten oder ihrer Musik. Als ich das Programm im Juli 2023 zum ersten Mal hörte, brach ich fast in Tränen aus. Zwar entspricht ein Großteil der Musik selbst, obwohl sie ausgesprochen ernsthaft ist, nicht mehr dem Zeitgeist. Die Texte sind oft rührselig und unverblümt didaktisch, und es fehlt ihnen an Subtilität. Doch als politisches Zeugnis hat sich das gesamte Protestgenre bemerkenswert gut gehalten. Selbst heute, wo das Folk-Revival der sechziger Jahre in weiter Ferne liegt, wird seine Relevanz noch immer unterschätzt.
Die US-Friedensbewegung ist kaum noch am Leben
Doch rund fünfzig Jahre später befindet sich die Friedensbewegung selbst in der Phase der Lebenserhaltung. Die Bemühungen, Amerikas Appetit auf Krieg zu zügeln, sind schlichtweg gescheitert. Die einberufungsfähigen Babyboomer, die in ihrer Jugend gegen den Vietnamkrieg marschierten, haben sich stillschweigend dem Militarismus angeschlossen, als sie die Höhen der politischen, akademischen, journalistischen und unternehmerischen Macht erreichten. Die Fakten sprechen für sich. Wenn es um Militärausgaben geht, stehen die Vereinigten Staaten von Amerika international an der Spitze. Keine Nation oder Kombination von Nationen kommt auch nur annähernd an sie heran. Wenn es um die tatsächliche Bereitschaft zur Gewaltanwendung geht, kann es keine Nation (mit der möglichen Ausnahme Israels) mit den Vereinigten Staaten aufnehmen. Dennoch gibt es in der US-Politik keine nennenswerte Friedenspartei. Die Ergebnisse gescheiterter Kriege wie in Afghanistan und im Irak werden erstaunlich schnell vergessen. Prinzipieller Widerstand gegen den Krieg ist eine Randerscheinung. Unter den Antikriegshymnen, die im Oktober 1969 bei "Woody's Children" neu aufgelegt wurden, ist mir eine besonders ins Auge gefallen: "Waist Deep in the Big Muddy". Die von Pete Seeger geschriebene und vorgetragene Ballade erzählt von einer Trainingsübung im Zweiten Weltkrieg, bei der der verantwortliche Offizier darauf besteht, die Mission zu Ende zu führen, obwohl sich die Bedingungen im Sumpf verschlechtern. Der weise Unteroffizier sieht die Katastrophe voraus, aber "der große Narr sagt, wir sollen weitermachen". Befehl ist Befehl, eine sture Blindheit, die den Offizier teuer zu stehen kommen wird. 1969 war der "große Narr" Präsident Lyndon B. Johnson, dessen Reaktion auf die Schwierigkeiten in Vietnam darin bestand, mehr Truppen ins Gefecht zu werfen, in der Erwartung, die Pattsituation in einen Sieg umzuwandeln. Seegers "großer Narr" war immun gegen Lernen. Das war auch LBJ, selbst als die Jahre vergingen und die Gewalt eskalierte.
Achtundfünfzigtausend Amerikaner starben umsonst
Aus heutiger Sicht erscheint die Torheit Vietnams, die Seeger und andere aus der Folk-Szene anprangerten, offensichtlich. Der Sturz in den Big Muddy hat dem Ruf von Präsident Johnson einen Schaden zugefügt, von dem er sich bis heute nicht erholt hat. Achtundfünfzigtausend Amerikaner starben umsonst. Bei meinen eigenen Überlegungen zum Unabhängigkeitstag habe ich mich wieder einmal gefragt, ob die Vereinigten Staaten aus der Niederlage in Vietnam überhaupt etwas gelernt haben - und ob Präsident Biden auf seine eigene mäandernde Art nicht in die Fußstapfen von LBJ tritt. Drei Prinzipien veranlassten Johnson, in Vietnam so zu intervenieren, wie er es tat. Erstens war es unumgänglich, sich dem wahrgenommenen Übel entgegenzustellen. Das zweite Prinzip war die Notwendigkeit, dies direkt durch den Einsatz von Gewalt zu tun. Das dritte Prinzip war die Notwendigkeit, die vermeintlichen amerikanischen Stärken auszuspielen und gleichzeitig unsere Schwächen zu minimieren. Diesem dritten Grundsatz lag die Überzeugung zugrunde, dass die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer überlegenen Technologie und Strategie den Krieg im Griff haben. Auf der Grundlage dieser Prinzipien war Johnson davon überzeugt (oder wurde davon überzeugt), dass die Sicherung des Überlebens Südvietnams ein wesentliches nationales Sicherheitsinteresse der USA darstellte. Es war eine Sache, für die es sich zu kämpfen lohnte und die man auch gewinnen konnte. Dank ihrer überlegenen Feuerkraft und Mobilität würden die US-Streitkräfte in der Lage sein, einen Gegner zu besiegen, der im Allgemeinen nicht über moderne Waffen verfügte.
Drei Prinzipien, die sich hartnäckig gehalten haben
Die tatsächliche Realität in Vietnam widersprach allen diesen Grundsätzen. Der Feind weigerte sich hartnäckig, geschlagen zu werden, der verschwenderische Einsatz amerikanischer Waffen führte nur zu höheren Verlusten, und das Endergebnis zeigte eindeutig, dass Vietnam selbst für die nationale Sicherheit der USA nur von marginaler Bedeutung war. Dennoch hielt man in Washington hartnäckig an den drei Grundsätzen fest, die man in Vietnam für unzureichend befunden hatte, und sie bildeten die Grundlage für die künftige US-Politik, vor allem für eine Reihe kleinerer und größerer militärischer Interventionen im Nahen Osten. Im Jahr 2003 startete die Regierung von George W. Bush die ehrgeizigste dieser Interventionen, als sie in den Irak einmarschierte und damit einen Feldzug einleitete, der letztlich das Böse selbst beseitigen sollte. Bush war davon überzeugt (oder wurde davon überzeugt), dass die Vereinigten Staaten keine andere Wahl hatten, als das Regime von Saddam Hussein zu stürzen. Es schien eine Sache zu sein, für die es sich zu kämpfen lohnte und die man gewinnen konnte, da die US-Streitkräfte über nahezu unbesiegbare Fähigkeiten verfügten. Die Behauptung, der darauf folgende Irak-Krieg sei eine Wiederholung des Vietnam-Krieges gewesen, ist sowohl falsch als auch im Wesentlichen richtig. Der trockene und staubige "Look" des Irakkriegs unterschied sich radikal von den Dschungeln und Reisfeldern Vietnams. Aber nachdem die US-Streitkräfte in den großen Schlamm von Tigris und Euphrat eingedrungen waren und die überlegenen amerikanischen Waffen wieder einmal nicht den erwarteten Sieg brachten, sah der große Dummkopf im Weißen Haus keine andere Wahl, als weiterzumachen, und das tat auch sein Nachfolger. Wie schon in Vietnam sahen sich die USA schließlich gezwungen, sich zurückzuziehen.
Die Anklänge an Vietnam und den Irak sind schwer zu übersehen
Welche Lehren haben die Vereinigten Staaten aus dem Irak-Krieg (und aus seinem afghanischen Bruder) gezogen? Wie haben diese Lehren die Politik der Regierung Biden in Bezug auf den Krieg, der unter ihrer Aufsicht stattfindet, beeinflusst? Auch hier unterscheidet sich der Ukraine-Krieg vom Vietnam- oder Irak-Krieg. Es handelt sich um einen klassischen konventionellen Konflikt, bei dem reguläre Streitkräfte auf einem linearen und weitgehend statischen Schlachtfeld gegeneinander antreten. Doch in Washington sind die Grundsätze, die dem Vietnam- und dem Irakkrieg zugrunde lagen, nach wie vor intakt. Erstens gilt es, das Böse zu bekämpfen, wobei Wladimir Putin nun die Rolle einnimmt, die einst Ho Chi Minh und Saddam Hussein zukam. Zweitens die Notwendigkeit des Einsatzes von Waffengewalt; der bloße Gedanke an Diplomatie wird als unmoralisches Appeasement betrachtet. Drittens geht es darum, einen geeigneten Plan für den Sieg zu entwerfen, in diesem Fall die Bereitstellung von Waffen in Hülle und Fülle, während die Ukrainer den eigentlichen Kampf führen sollen. Was den letzten Punkt anbelangt, so sollte die Vorliebe von Präsident Biden, sich auf Stellvertreter zu verlassen, nicht darüber hinwegtäuschen, dass der "Big Muddy" zwar jetzt der Dnjepr ist, das Wasser aber steigt. Ein Ende dieses Krieges ist nicht in Sicht, selbst wenn der Druck zur Eskalation zunimmt; Bidens Entscheidung, die Ukraine mit Streumunition zu versorgen, ist das jüngste Beispiel für seine Bereitschaft, diesem Druck nachzugeben. Unterdessen werden heikle Fragen über die Ursprünge des Krieges und die tatsächlichen Interessen der Vereinigten Staaten oft vermieden. Doch die Anklänge an Vietnam und den Irak sind kaum zu übersehen. Pete Seeger sang:
Jedes Mal, wenn ich die Zeitung lese Kommt das alte Gefühl wieder auf; Wir stehen hüfttief im Big Muddy Und der große Narr sagt, wir sollen weitermachen.
Unter den jüngsten US-Präsidenten ist Joe Biden nicht der einzige Narr. Aber wie seinen Vorgängern, die bis zu LBJ zurückreichen, fehlt es ihm an Fantasie. Und so stolpern wir immer tiefer in den Sumpf hinein, ohne uns der Konsequenzen bewusst zu sein, die uns erwarten. |
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erschienen am 16. September 2023 auf > La Croix International > Artikel | ||||||||||||||
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werden. Dass es sich hier um die höchste Instanz des Landes handelt, das fernab von rechtsstaatlichen Verhältnissen für Julian Assange - übrigens ein "Untertan" aus der ehemaligen Kolonie Australien - vor den Augen der ganzen Welt die Neuauflage des mittelalterlichen Hungerturms inszeniert, bleibt unerwähnt. Dieser ungeheuerliche Bruch mit der zeitgemäßen Zivilisation beweist eindeutig, dass die sogenannte westliche "Kultur" mitsamt ihren "Werten" ("Menschenrechte", "Rechtsstaat" usw.) keinen Pfifferling wert ist, zumal deren "Hüter" zu diesen skandalösen Vorgängen schweigen. Was der neue König dazu sagt? Ob er die Absicht hat, zum Auftakt seiner Regentschaft nicht Gnade vor Recht, sondern Recht vor Unrecht ergehen zu lassen? Klaus Madersbacher, antikrieg.com |
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