Josep
Borrells "Dschungel"-Sager war kein Versprecher Der Chef der EU-Außenpolitik schlägt vor, dass Europa sich zusammenschließen muss, um das zu zähmen, was außerhalb seines eigenen ordentlichen Gartens liegt, was unangenehme koloniale Assoziationen weckt. Jan Eijking
"Europa ist ein Garten". Mit dieser merkwürdigen Wortwahl eröffnete Josep Borrell, der Leiter der Außenpolitik der Europäischen Union, am 13. Oktober in Brügge ein Pilotprogramm für eine neue Europäische Diplomatische Akademie, kurz EDA. "Wir haben einen Garten angelegt", fuhr Borrell fort, in dem "alles funktioniert". Doch der üppige Rasen ist bedroht: "Der größte Teil der übrigen Welt ist ein Dschungel" und, wie es der neokonservative Denker Robert Kagan einmal ausdrückte, "der Dschungel wächst nach". Es überrascht nicht, dass die Rede in der Öffentlichkeit, bei Regierungsvertretern und Diplomaten auf Empörung stieß. Der nationale Sicherheitsberater Äthiopiens, Redwan Hussien, fragte sich: "Ist Afrika immer noch ein Dschungel, der nur dazu dient, den Garten eines anderen zu versorgen"? Kanadas Botschafter bei der UNO, Bob Rae, kam ebenfalls zu diesem Schluss: "Was für eine schreckliche Analogie, die Herr Borrell gezogen hat. Die Geschichte und unsere eigenen Erfahrungen lehren uns, dass kein Teil der Welt frei von Gewalt ist." Die Äußerungen Borrells sind besonders bezeichnend: Vor seinem derzeitigen Posten als EU-Außenbeauftragter war er Mitglied des Konvents zur Zukunft Europas, Präsident des Europäischen Parlaments und Präsident des Europäischen Hochschulinstituts. Borrell ist mit anderen Worten eine Figur, die derzeit an der Spitze des europäischen Projekts steht. Das Vermächtnis dieser Metapher reicht natürlich sehr weit zurück. Die Charakterisierung der Weltpolitik als saubere Trennung zwischen friedlichem Garten und gewalttätigem Dschungel hat offensichtlich imperialistische Konnotationen. In der Tat wimmelt es in der westlichen Kultur nur so von Dschungeln: Vom Dschungelbuch über Tarzan bis hin zu Indiana Jones werden wir immer wieder eingeladen, die Reise eines weißen Helden in tiefe, dunkle Wälder zu verfolgen, die von wilden Eingeborenen bevölkert sind. In all diesen Geschichten kehren wir in die holzgetäfelten Teestuben des einen oder anderen großstädtischen Zufluchtsortes zurück. Der metaphorische Garten ist in diesen Fantasien die ultimative Zuflucht vor dem buchstäblichen Dschungel. Seine Kultivierung, Vorhersehbarkeit und Zahmheit dienen als ständige Erinnerung an die menschlichen Eingriffe und die Kontrolle, die den Kern der "Zivilisation" ausmachen. Sich im Jahr 2022 auf eine solche kulturelle Umrahmung zu berufen, ist bestenfalls unappetitlich. Es ist auch diplomatisch kontraproduktiv: Die Bemühungen der EU und der USA, die Nationen des Globalen Südens gegen Putins Russland zu mobilisieren, haben bisher das verloren, was Borrell selbst eine "Schlacht der Narrative" genannt hat. Angesichts dessen ist es, gelinde gesagt, unklug, wenn ein hochrangiger EU-Funktionär genau diese Länder als "Dschungel" bezeichnet. Bezeichnenderweise war dies kein bloßer Versprecher. Borrell hat zuvor seine Absicht geäußert, "das Narrativ, das wir [die EU] verbreiten wollen, zu verdeutlichen". Dabei bedient er sich wiederholt einer historisch blinden Sprache, wie in einer Grundsatzrede im letzten Frühjahr über die Verteidigung "unserer Zivilisation". Selbst seine halbherzige Entschuldigung für die Äußerungen der letzten Woche schien nur die Kernbotschaft zu wiederholen: Schließlich, so betonte Borrell, stünden wir derzeit vor der Wahl zwischen einer Weltordnung, "die auf von allen akzeptierten Prinzipien beruht", und dem "Gesetz des Dschungels". Man könnte sich fragen, warum Borrell dies alles sagen kann, ohne dass es wirkliche Konsequenzen hat. Aber die wichtigere Frage, die wir uns stellen sollten, ist: Welche Art von europäischem Selbstverständnis macht diese Bilder für den Redner, sein Brügger Publikum und seine EU-Kollegen plausibel? Das EDA-Pilotprojekt ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer formellen diplomatischen Pipeline für die Europäische Union. Es soll das außenpolitische Profil der EU durch ein ausgebildetes Korps von EU-Diplomaten stärken. Es ist auch der logische Höhepunkt einer Entwicklung, die seit über einem Jahrzehnt im Gange ist. Im Jahr 2010 gründete die EU unter Borrells Leitung den Europäischen Auswärtigen Dienst, das erste gemeinsame diplomatische Gremium der EU, mit dem Ziel, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU voranzubringen. Der genaue rechtliche Status, die diplomatischen Befugnisse und der Aufgabenbereich des EAD sind jedoch noch nicht klar. Ist er ein "quasi-diplomatisches Korps"? Wird er die "europäische Souveränität, Diplomatie und nationale Identitäten" verändern? Darüber hinaus ist es nicht unumstritten, überhaupt ein Korps von EU-Diplomaten zu haben. Die Idee der EU-Diplomatie setzt einen inneren Zusammenhalt oder einen gemeinsamen europäischen Standpunkt zu einer Vielzahl von geopolitischen und wirtschaftlichen Fragen voraus. Dieser innere Zusammenhalt mag, wie Kritiker wie Perry Anderson oder Stefan Auer behaupten, mehr Wunschdenken als Realität sein. Wissenschaftler im Bereich der internationalen Beziehungen haben mit der Aussicht auf eine gemeinsame europäische Außenpolitik gerungen, seit die ersten Ideen für die GASP aufkamen. Ein Großteil der akademischen Debatte drehte sich um die Idee von Europa als "normative Macht". Ihr wichtigster Vertreter, der Politikwissenschaftler Ian Manners, schreibt der EU den Status eines "ideellen Akteurs" zu: Manners zufolge zeichnet sich die EU durch gemeinsame Grundsätze aus und ist als solche in der Lage, Normen für die internationale Gemeinschaft zu verbreiten und aufrechtzuerhalten. Das Problem bei dieser Sichtweise, wie auch bei Borrells Rede, ist, dass sie eine völlige Trennung zwischen der europäischen Außenpolitik heute und der europäischen "Außenpolitik" in der Vergangenheit behauptet. Besorgniserregend ist daher nicht nur die krude koloniale Dichotomie, die Borrell heraufbeschwört, sondern auch seine Warnung, dass "der Dschungel in den Garten eindringen könnte". Dies ist in der Tat der ganze Punkt - "meine wichtigste Botschaft" - der Rede: "Die Gärtner müssen in den Dschungel gehen." Das ist es, was der EU-Außenpolitikchef mit der Intensivierung des europäischen Engagements "mit dem Rest der Welt" meint. Wenn die EU nicht proaktiver handelt, "wird der Rest der Welt in uns eindringen, auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Mitteln." Dies ist, so scheint es, die eigene Art von missionarischem, liberalem Internationalismus der EU. Bei der Außenpolitik des EAD geht es nicht darum, Mauern zu bauen: Für Josep Borrell sind Mauern nicht genug. Wie er sagt, reicht es nicht aus, Mauern um einen schönen kleinen Garten zu bauen, um das Gespenst abzuwehren: "Der Dschungel hat eine starke Wachstumskapazität". Die Ironie von Borrells Vision einer von Europa geführten Weltordnung besteht darin, dass sie ebenfalls auf dem "Willen des Stärkeren" beruht, den er so sehr fürchtet. Die EU-Außenpolitik auf europäische Stärke, Autonomie und Größe auszurichten, erinnert uns nicht nur an eine schmerzhafte Geschichte - es ist auch eine Haltung, die nur dazu dient, die Grundlagen der internationalen Zusammenarbeit zu untergraben. Borrell täte gut daran, seinen eigenen Rat zu beherzigen: "Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, um klarer zu definieren, welche Art von Welt wir aufbauen wollen und welche Rolle Europa darin einnehmen will." |
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erschienen am 11. Oktober 2022 auf > RESPONSIBLE STATECRAFT > Artikel | ||||||||||||||
Jan Eijking ist Doktorand an der Universität Oxford und Dozent für die Geschichte der internationalen Beziehungen an der Universität Utrecht, Niederlande. Er arbeitet über die Geschichte der technokratischen Ideen und Praktiken der internationalen Ordnung im neunzehnten Jahrhundert. | ||||||||||||||
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werden. Dass es sich hier quasi um die höchste Instanz des Landes handelt, das fernab von rechtsstaatlichen Verhältnissen für Julian Assange - übrigens ein "Untertan" aus der ehemaligen Kolonie Australien - vor den Augen der ganzen Welt die Neuauflage des mittelalterlichen Hungerturms inszeniert, bleibt unerwähnt. Dieser ungeheuerliche Bruch mit der zeitgemäßen Zivilisation beweist eindeutig, dass die sogenannte westliche "Kultur" mitsamt ihren "Werten" ("Menschenrechte", "Rechtsstaat" usw.) keinen Pfifferling wert ist, zumal deren "Hüter" zu diesen skandalösen Vorgängen schweigen. Was der neue König dazu sagt? Ob er die Absicht hat, zum Auftakt seiner Regentschaft nicht Gnade vor Recht, sondern Recht vor Unrecht ergehen zu lassen? Klaus Madersbacher, antikrieg.com |
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