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  Nukleares Kräftemessen im Mittleren Osten

Eric S. Margolis

 

Es überraschte niemanden, dass die Atomverhandlungen zwischen dem Iran und den größeren Weltmächten zu einem Stillstand kamen.

Der Iran wird nicht „auf seine Knie“ fallen, um zu einem nuklearen Abkommen mit den großen Mächten zu kommen, sagte sein Anführer Ayatollah Ali Khamenei nach dem Scheitern von sechs Monaten Verhandlungen in Wien. 

Wie auch immer, die Gespräche werden zumindest bis kommenden März weitergehen. Zu bedauern sind die armen Verhandler: außer dass er quälend langweilig ist, ist der Umgang mit den zähen, schlauen Iranern wie Zähneziehen. Das einzige Land, von dem ich weiß, dass es den Iranern bei Verhandlungen überlegen war, ist Armenien. 

Die Vereinigten Staaten von Amerika haben seit 1979 gegen die Islamische Republik wirtschaftlichen und politischen Krieg geführt. Nur Kuba wurde länger malträtiert. Beide haben schwer gelitten.

In der letzten Zeit wurden iranische Atomwissenschafter und –techniker am helllichten Tag ermordet. Nukleare Einrichtungen wurden sabotiert. Der angeblich von den Vereinigten Staaten von Amerika und Israel gegen die iranischen Zentrifugen losgelassene Stuxnet-Virus riskierte eine katastrophale Explosion oder das Freisetzen von atomarem Material. Im benachbarten Irak wurden während der Besatzung durch die Vereinigten Staaten von Amerika rund 300 seiner ehemaligen Nukleartechniker und Atomwissenschafter auf rätselhafte Weise umgebracht. 

Die Wirtschaft des Iran wurde durch den von den Vereinigten Staaten von Amerika angeführten Boykott und Handelsbeschränkungen sehr schwer geschädigt. Die Iraner leiden unter steigender Inflation, einem Mangel an Gütern und einer zusammenbrechenden Währung. Die Iraner haben es satt, das Ziel westlicher Sanktionen zu sein. 

Im Rahmen eines bedeutenden Zugeständnisses wandelte der Iran im letzten Sommer 200 kg auf 20% angereichertes Uran um oder schwächte es ab, um es für jede mögliche Anreicherung zu waffenfähigem Material unbrauchbar zu machen.

Die UNO-Atombehörde hat diesen Vorgang bestätigt. Die Anreicherung der iranischen Uranbestände liegt bei 5% – geeignet für die Energieproduktion, aber nicht für Waffen. Die Hälfte der 20.000 Zentrifugen, die für die Urananreicherung benützt werden, sind stillgelegt. UNO-Inspektoren oder Kameras bewachen genau die iranischen Atomanlagen – von amerikanischen und israelischen Satelliten nicht zu reden.

Warum will dann der Iran nicht nachgeben – zumindest nicht bis jetzt – und weigert sich, ein Abkommen über die Einschränkung oder Beendigung seiner Produktion von nuklearem Brennstoff zu schließen? Warum nimmt er die ganze politische und wirtschaftliche Bestrafung und die niemals sehr fernliegende Bedrohung eines Angriffs durch die Vereinigten Staaten von Amerika und/oder Israel auf sich? 

Erstens, weil die Kernenergie zu einem potenten nationalistischen Symbol für den Iran geworden ist. Ayatollah Khomeini hat wiederholt erklärt, dass diejenigen, die er als „Kolonialmächte des Westens“ bezeichnete (also die Vereinigten Staaten von Amerika, Britannien, Frankreich) lange bestrebt waren, der muslimischen Welt moderne Technologie vorenthalten, um diese rückständig und von sich abhängig zu halten. Natürlich ist das genau das, was das imperiale Britannien mit Indien gemacht hat. 

Die Iraner weisen hin auf das schreckliche Beispiel des Irak – des am höchsten industrialisierten und technologisch entwickeltsten arabischen Landes – das, wie sie sagen, genau aus diesem Grund zerstört wurde.

Eine eigenständige Kernkraftindustrie wird dazu beitragen, die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit des Iran in Zeiten zu sichern, wenn die Erdölreserven in diesem Land mit 70 Millionen Einwohnern zur Neige gehen. Die Nutzung der Atomenergie ist ein durch die Vereinten Nationen garantiertes Recht, solange sie friedlich genutzt wird. Die iranische Atomindustrie wurde von der UNO über ein Jahrzehnt lang eingehend inspiziert, wobei keine bedeutenden Verstöße festgestellt wurden.

Ayatollah Khomeini hat eine Fatwah (religiöses Dekret) erlassen, die Atomwaffen verbietet, und hat versprochen, dass der Iran niemals solche besitzen oder benützen wird. Die Geheimdienste der Vereinigten Staaten von Amerika haben wiederholt festgestellt, dass der Iran keine Atomwaffen besitzt.

Ironischerweise sind es die bestehenden Atommächte – die Vereinigten Staaten von Amerika, Russland, China, Frankreich, das Vereinigte Königreich – die gegen den Atomwaffensperrvertrag aus dem Jahr 1970 verstoßen. Der Vertrag verbietet anderen Ländern Atomwaffen, sofern die Unterzeichner ihre eigenen nuklearen Arsenale schnell abbauen. Vier Jahrzehnte danach hat sich niemand an den Vertrag gehalten, während Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea insgeheim nukleare Arsenale aufgebaut haben.  

Aber das stört die vielen Feinde des Iran nicht. Diese heulen und toben weiterhin. 2006 zum Beispiel behauptete Israel, dass der Iran „in sechs Monaten“ eine Atomwaffe haben wird. Seither haben wir die ganze Zeit über ähnliche Behauptungen gehört.

Nachdem keinerlei atomare Waffen im Iran gefunden worden sind, behaupten seine Feinde jetzt, dass Teheran die friedliche Kernenergie an den Punkt heranführt, von dem aus es nur mehr 3-6 Monate dauert, um Atomwaffen herzustellen. Was sie außer Acht lassen, ist dass abgesehen davon, dass der Iran keinerlei atomare Waffen besitzt, es für ihn sehr schwer sein wird, eine solche so anzufertigen, dass sie in eine Rakete eingebaut werden kann. Der Iran besitzt keine zuverlässigen treffgenauen Mittelstreckenraketen, um einen nuklearen Angriff ausführen zu können. Seine Shahab-3 ist eine hochgejubelte sowjetisch/nordkoreanische Scud, die höchst ungenau, mechanisch unzuverlässig und langsam zu betanken ist. 

Dessen ungeachtet behaupten Israel und seine Alliierten im Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika jetzt, dass die Gefahr darin besteht, dass ein verrückter Mullah in Teheran entscheidet, nukleares Harakiri zu begehen, um Israel zu zerstören. Der „verrückte Mullah“ war ein besonders gern strapaziertes Feindbild des viktorianischen britischen Imperiums. Die Führung des Iran ist weder verrückt noch dumm oder selbstmörderisch.

Noch viel wichtiger – wen würde der Iran angreifen, wenn er Atomwaffen hätte? Die Vereinigten Staaten von Amerika oder Israel? Der Iran besitzt keine Langstreckenraketen. Minuten nach einem atomaren Angriff wäre der Iran verdampft. Israels extensives atomares Arsenal – Raketen, Bombenflugzeuge, von Unterseebooten abgefeuerte Raketen – würde jeden überraschenden Erstangriff überleben. Der Iran wäre schnell zerstört durch Israels Gegenschlag.

Der wirkliche Grund für die brodelnde Feindschaft zwischen Israel und dem Iran ist Palästina. Jetzt, wo die meisten der kraftlosen arabischen Staaten aus der ehemaligen antiisraelischen Koalition entfernt sind, ist der Iran der einzige verbleibende unerschütterliche Verteidiger der Rechte der Palästinenser – und Opponent der völligen Vereinnahmung der West Bank und der Golanhöhen durch Israel.

Für Israels Sicherheit besteht die beste Option darin, Frieden mit dem Iran zu schließen – der immer ein enger Verbündeter Israels war. Aber Israels derzeitige rechtsextremen Führer sind entschlossen, Israels Herrschaft über die West Bank einzubetonieren, sogar wenn es das Risiko eines Krieges mit dem Iran bedeutet. 

Laut dem Überläufer Mordechai Vanunu hat Israel sein Atomwaffenprogramm geschickt vor den amerikanischen Inspektoren versteckt. Zweifellos befürchtet Israel, dass der Iran genau dasselbe tut. Ich habe schon lange vorgeschlagen, dass Israel und der Iran gemeinsam mit UNO-Leuten gegenseitig ihre jeweiligen nuklearen Anlagen inspizieren sollten.

Die Zeit für eine vernünftige Lösung der iranischen nuklearen Herausforderung wird knapp. Sobald die Republikaner im Januar 2015 den Senat der Vereinigten Staaten von Amerika übernehmen, wird Israels Einfluss auf den Kongress entscheidend und unwiderstehlich werden. Der Iran weiß das und fühlt, wie der Druck zunimmt.

 
     
  erschienen am 29. November 2014 auf > www.ericmargolis.com  
  Archiv > Artikel von Eric Margolis auf antikrieg.com  
 
siehe dazu im Archiv:
  Stephen Kinzer - BP im Golf – im Persischen Golf
  Robert C. Koehler - Das Leiden Fallujahs
  Paul Craig Roberts - Raub und Mord bilden Israels Weg durch Palästina
  Susan Abulhawa - Die abscheuliche Heuchelei des Westens
  Ismael Hossein-zadeh - Das Chaos im Mittleren Osten und darüber hinaus ist geplant
  Klaus Madersbacher - Breivik in Brüssel?
 
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