John Laughland

In seinem bemerkenswerten Buch "Die Psychologie des Totalitarismus" erklärt der flämische Psychologe Mathias Desmet, wie eine kollektive Psychose dazu führen kann, dass Menschen ihre Kritikfähigkeit verlieren. Er zitiert ein berühmtes Experiment, bei dem eine Person dazu gebracht werden kann, zu sagen, dass eine Linie auf einem Diagramm gleich lang wie eine andere ist, obwohl sie in Wirklichkeit länger ist, wenn sieben oder acht Schauspieler vor ihr so tun, als kämen sie zu demselben Schluss.

Desmet schreibt hauptsächlich über die Zwangspsychose des Covid. Aber die gleichen Argumente gelten auch für die aktuelle kollektive Psychose über Russland. Seit Jahren und Jahrzehnten werden wir mit Horrorgeschichten über Russland gefüttert. Diese haben natürlich seit dem Einmarsch in die Ukraine noch an Intensität zugenommen. Wir haben jetzt eine Situation erreicht, in der ganze Teile der Medien und ihre jeweiligen nationalen Regierungen behaupten, Dinge zu glauben, die einfach unmöglich sind.

Das jüngste Beispiel ist die angebliche Sabotage der Nord-Stream-Gaspipelines. Russland wurde sofort beschuldigt, aber die Anschuldigung ist aus folgenden Gründen nicht glaubwürdig. Ich fordere jeden mit normaler Kritikfähigkeit ausgestatteten Menschen auf, das Gegenteil zu beweisen.

Die Amerikaner haben sich seit Jahren gegen Nord Stream 2 ausgesprochen.

Es war Deutschland, das auf Anweisung der USA beschlossen hat, die Nord Stream 2-Gaspipeline im Februar nicht zu eröffnen. Joe Biden sagte im Beisein von Olaf Scholz: "Wir werden dem ein Ende setzen". Auf die Frage, wie die USA dies tun würden, antwortete er: 'Ich verspreche Ihnen, dass wir dazu in der Lage sein werden.'[1] Victoria Nuland machte dies im Januar noch deutlicher.[2]

Dies ist eine seit langem vertretene amerikanische Position. Unter der Trump-Regierung wurden gegen europäische Unternehmen, die am Bau der Pipeline beteiligt sind, extraterritoriale Sanktionen verhängt. Trump nahm 2018 am Drei-Meere-Gipfel in Warschau teil, einer Initiative zur Förderung des Baus von Infrastrukturen, die Europa in die Lage versetzen sollen, amerikanisches Flüssigerdgas anstelle von russischem Gas aufzunehmen. Die USA sind daher seit langem gegen die Fortsetzung und Ausweitung der russischen Gaslieferungen nach Deutschland.

Gemeinsam mit Polen und der Ukraine führen die Amerikaner seit Jahren eine lautstarke Kampagne gegen Nord Stream 2. Die Polen vergleichen die Pipeline mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt vom September 1939. Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde verunglimpft und beinahe aus seiner eigenen Partei ausgeschlossen, weil er sich für Nord Stream 2 eingesetzt hatte. Trotz all dieser Anfeindungen hat Russland den Bau der Pipeline fortgesetzt und sie im vergangenen Jahr zur absoluten Verärgerung aller oben genannten Länder fertiggestellt. Warum sollte Russland sie in die Luft jagen, nachdem es Milliarden dafür ausgegeben hat?

Russland hat kein Motiv, die Pipelines zu zerstören, sondern hat ein aktives Interesse daran, dass sie in Betrieb bleiben, auch aus politischen Gründen.

In der aktuellen Situation hat sich Deutschland geweigert, Nord Stream 2 zu öffnen, und die Russen haben daraufhin, angeblich aus technischen Gründen, Nord Stream 1 stillgelegt.

Wenn man davon ausgeht, dass die technischen Gründe nur ein Vorwand sind und die Russen in Wirklichkeit Nord Stream 1 stillgelegt haben, um die Europäer unter Druck zu setzen, wie weithin behauptet wird, dann ist die einzig mögliche logische Schlussfolgerung, dass der fragliche Druck ausgeübt wird, um die Europäer zur Öffnung von Nord Stream 2 zu zwingen, indem man ihnen klarmacht, dass sie es brauchen.

Da Russland weiterhin Gas über die Jamal- und die Druschba-Pipeline (Freundschaft) auf dem Landweg liefert und vor kurzem einen Anschlag auf die Turk-Stream-Pipeline vereitelt hat[3], ist die Behauptung, Russland wolle die Gasversorgung Europas einstellen, unglaubwürdig.

Im Gegenteil, die fortgesetzte Lieferung von Gas, das jetzt für Rubel verkauft wird, hat dazu beigetragen, dass der Rubel zu einer der stärksten Währungen der Welt geworden ist, und seine Stärke hat es der russischen Zentralbank ermöglicht, die Zinssätze zu senken und sich von dem anfänglichen Schock zu erholen, den die Sanktionen im März verursacht haben. Russland hat jedes Interesse daran, weiterhin Gas zu verkaufen, auch unter den derzeitigen Bedingungen des Wirtschaftskriegs. Umgekehrt haben Russlands Feinde jedes Motiv, Russland dieses Druckmittel zu entziehen.

Wenn Sie, wie die Präsidentin der Europäischen Kommission, argumentieren, dass Russland versucht, Europa durch die Kürzung der Gaslieferungen zu erpressen, mit welcher Logik würde Russland dann die Pipeline sabotieren? Die Zerstörung der Pipeline beseitigt genau die Möglichkeit Russlands, irgendjemanden zu erpressen. Das ist vermutlich der Grund, warum die Pipeline sabotiert wurde.

Könnte Russland es getan haben?

In den verrückten Medien wird über russische Froschmänner spekuliert, die eine geheime Mission durchgeführt haben. Alles ist möglich. Aber wenn das die Wahrheit ist, dann wirft das ein schlechtes Licht auf die Nato. Die Explosionen ereigneten sich nur wenige Kilometer oder ein paar Dutzend Kilometer von der polnischen, dänischen und deutschen Küste entfernt - allesamt Nato-Mitglieder. Wenn die Nato nicht in der Lage ist, ein wichtiges Element der europäischen Infrastruktur zu schützen, wozu ist sie dann gut?

Im Gegensatz dazu führten die Amerikaner im Juni 2022 auf Bornholm, der dänischen Insel, auf der die Pipeline explodierte, Übungen durch, bei denen sie Unterwassersprengstoff und -drohnen testeten.[4] Während es also sehr schwer vorstellbar ist, dass russische Froschmänner eine Operation direkt vor der Nase der Nato durchgeführt haben könnten, ist es leicht vorstellbar, dass die Amerikaner es getan haben könnten, da sie genau das vor drei Monaten genau dort geübt haben. Vielleicht ging es bei den Übungen wirklich nur darum.

Wenn Sie jedoch glauben, dass die Russen ein geheimes Killerkommando geschickt haben könnten, um eine Pipeline unter der Ostsee in die Luft zu jagen, dann ist es unvorstellbar, dass sie ihre eigene Pipeline in die Luft jagen würden und nicht die Baltic Pipe, die (zufällig?) genau am Tag nach dem Angriff auf Nord Stream 2 offiziell eröffnet wurde. Baltic Pipe ist ein norwegisch-dänisch-polnisches Projekt, mit dem Gas aus Norwegen nach Dänemark und Polen geliefert und die Abhängigkeit von Russland verringert werden soll. Wenn Sie glauben, dass Russland versucht, die Gasversorgung Europas zu sabotieren, müssen Sie doch zu dem Schluss kommen, dass es stattdessen Baltic Pipe in die Luft jagen würde. Wenn Russland Europa das Gas wegnehmen will, braucht es nur kein Gas in die Nord Stream 2 zu leiten, es braucht sie nicht zu sprengen.

F*ck the EU

Die US-Unterstaatssekretärin Victoria Nuland, die, wie wir oben gesehen haben, im Januar sagte, sie habe den Deutschen gesagt, Nord Stream 2 werde nicht gebaut, hatte 2014 ein berühmtes Telefongespräch mit dem damaligen US-Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, in dem die beiden über die Zusammensetzung der neuen ukrainischen Regierung entschieden.[5] An einem Punkt drückte Nuland die US-Politik gegenüber der Ukraine in vulgären, aber prägnanten Worten aus: "Scheiß auf die EU."

Genau das haben die Amerikaner gerade getan. Das ist zumindest die Meinung des ehemaligen polnischen Außen- und Verteidigungsministers Radek Sikorski. Sikorski ist einer der schlimmsten Russophoben in einem sehr russophoben Land und steht den Sicherheitsdiensten sehr nahe. Am Tag des Anschlags twitterte er ganz einfach mit einem Foto des an die Meeresoberfläche aufsteigenden Gases: "Danke, USA."[6]

[1] https://www.youtube.com/watch?t=95&v=OS4O8rGRLf8&feature=youtu.be

[2] https://twitter.com/StateDept/status/1486818088016355336

[3] https://tass.com/society/1511625

[4] https://seapowermagazine.org/baltops-22-a-perfect-opportunity-for-research-and-resting-new-technology/

[5] https://www.theguardian.com/world/video/2014/feb/07/eu-us-diplomat-victoria-nuland-phonecall-leaked-video

[6] https://twitter.com/radeksikorski/status/1574800653724966915

Die neue Normalität des Spazierengehens

>"Wir sind viele, und wir werden immer mehr!" - Bodo Schiffmann<

Dass es sich hier quasi um die höchste Instanz des Landes handelt, das fernab von rechtsstaatlichen Verhältnissen für Julian Assange - übrigens ein "Untertan" aus der ehemaligen Kolonie Australien - vor den Augen der ganzen Welt die Neuauflage des mittelalterlichen Hungerturms inszeniert, bleibt unerwähnt.

Dieser ungeheuerliche Bruch mit der zeitgemäßen Zivilisation beweist eindeutig, dass die sogenannte westliche "Kultur" mitsamt ihren "Werten" ("Menschenrechte", "Rechtsstaat" usw.) keinen Pfifferling wert ist, zumal deren "Hüter" zu diesen skandalösen Vorgängen schweigen.

Was der neue König dazu sagt? Ob er die Absicht hat, zum Auftakt seiner Regentschaft nicht Gnade vor Recht, sondern Recht vor Unrecht ergehen zu lassen?

Klaus Madersbacher, antikrieg.com