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Der
zunehmend autoritäre Staat wird zunehmend zum strafenden
Staat Laurenz Nurk
Was ist passiert, dass eine moralische Verwahrlosung an den Tag gelegt wird, die in der Frage mündet: Darf man Menschen retten, die im Mittelmeer auf der Flucht ertrinken? Begleitet wird dies mit dem Verständnis für Politiker, die mit ihren brutalen Handlungen, dieses Sterben erst ermöglichen, dann noch die Flüchtlinge zu Invasoren erklären und das Sterben auf der Flucht als Abschreckung instrumentalisieren. Es geht ihnen beim Schüren der Ausländerfeindlichkeit um ihr eigentliches Projekt, die rechten europäischen Parteien voran zu bringen. Dieses Projekt zielt darauf ab, die Rechtstaatlichkeit, die Menschen- und universellen Rechte und ein republikanisches Staatsbürgerverständnis zu zerstören. Diese Politiker werden nicht müde zu behaupten, wir würden im sozialen Rechtsstaat leben, was sie dazu legitimiert, uns in andere Länder einzumischen, damit dort die Menschenrechte durchgesetzt werden. Gleichzeitung werden die ärmsten der Armen bei uns heftigen Sanktionen ausgesetzt und weit unter das Existenzminimum gedrückt. Um die Ruhe im Land zu wahren, wird die Überwachung noch umfassender, die Polizeigesetze werden verschärft und zur Durchsetzung des Gewaltmonopols werden die Sicherheitskräfte militärisch aufgerüstet. Wer sich dem entgegenstellt, wird als Staatsfeind betrachtet, ihm wird der starke Staat vorgeführt und er unter die Knute von Staatsschutz und Ordnungskräften gestellt. Die Auswirkungen der Reformen der Agenda 2010, die von der rot-grünen Koalition Anfang des Jahrhunderts auf den Weg gebracht wurden, haben der politischen Kultur und dem sozialen Klima im Land dauerhaft geschadet. Der Arbeitsmarkt wurde dereguliert, der Sozialstaat demontiert, eine Steuerpolitik betrieben, die den Reichen mehr Reichtum und den Armen mehr Armut gebracht und auch der Mittelschicht deutlich gemacht hat, dass ihr Abstieg jederzeit möglich ist. Damit reagieren die Stärkeren ihre Abstiegsängste, Enttäuschung und ihre Ohnmacht an den Schwächeren ab. Begleitet wird das Ganze von dem Misstrauen gegenüber den Mitmenschen, und wenn man sieht, dass der Staat überall ein Sicherheitsproblem entdeckt, das mit martialischen Einsätzen der Sicherheitskräfte entschärft werden muss, dann wird die gefühlte Bedrohung real erlebt und nach dem noch stärkeren Staat gerufen. Dabei ist es erforderlich, denen, die nichts mehr haben, als strafender und disziplinierender Staat entgegen zu treten und denjenigen Menschen mit Abstiegsängsten und den großen Vermögenden einen starken Staat zu demonstrieren.
Aufrüstung der Polizei In fast allen Bundesländern werden seit einem Jahr die Polizeigesetze verschärft. Man muss dies als ein politisches Handlungsziel sehen, dass die präventive Gefahrenabwehr, die in den Polizeigesetzen der Länder geregelt ist, nun auf der Bundesebene einheitlich gestaltet werden soll. Hatte man doch genau diese föderalen Strukturen deshalb aufgebaut, weil im deutschen Faschismus eine ungeheuer große zentralisierte Machtkonzentration geschaffen wurde, was man Ende der 1940er Jahre noch vermeiden wollte. Heute wird wieder angestrebt, unter dem Deckmantel sich ähnelnden neuen Landespolizeigesetzen und so mit einem faktischen bundesweiten Polizeigesetz eine neue Zentralisierung der Staatsmacht zu konstruieren. Dabei richtet sich das Hauptaugenmerk gar nicht so sehr auf die vorgebliche Strafverfolgung, die schon einheitlich in der Strafprozessordnung geregelt ist, sondern auf den Bereich der präventiven Gefahrenabwehr, die in die neuen Polizeigesetzen gegossen dann so etwas hervorbringt:
Die neuen Polizeigesetze stärken die Befugnisse der Polizei ungemein. Sie wird mit ungeheuerlichen Befugnissen ausgestattet und mit einer riesigen Machtfülle. Der einst positiv besetzte Begriff der Prävention bekommt nun eine ganz neue, unheimliche Bedeutung und die Zahl der Menschen, die eine Konfrontation mit der Staatsmacht nicht überleben, wird ansteigen.
Sanktionen sind Strafe und Legitimation zugleich Sozialberatungsstellen berichten zunehmend von Menschen, die aufgrund der Sanktionen in Nöte geraten, die ihre Existenz bedrohen oder von jüngeren Ratsuchenden, die eine Zeit lang obdachlos und ganz unten angelangt waren. Wenn man sich deren Biografie genauer anschaut, sind viele von ihnen Opfer der Sanktionen, die von den Jobcentern auf der Grundlage des SGB II ausgesprochen wurden. Da eine Überlappung der Sanktionszeiträume möglich ist, können die zusammengerechneten Sanktionen bewirken, dass gar keine Auszahlung mehr erfolgt und diese Menschen über keinerlei Einkommen verfügen. Allein im vergangenen Jahr wurden die Zahlungen um mehr als 178 Millionen Euro gekürzt. Rund 137.000 Menschen waren davon betroffen, das entspricht 3,1 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger. Bei den unter 25-Jährigen liegt der Anteil der Sanktionierten bei 26 Prozent und hier wird die Frage der Legitimität der Strafmaßnahmen für diese Gruppe der Leistungsbezieher besonders deutlich. Bei den jungen Leuten will man verhindern, dass Arbeitslosigkeit besonders schwere Folgen für das weitere Erwerbsleben hat, die auch langfristig zu hohen gesellschaftlichen Kosten führen können. Die einzelnen Regelungen sehen vor, dass Sanktionen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen möglich sind: Zu den Pflichtverletzungen gehören beispielsweise
Weitere Minderungstatbestände sind beispielsweise
und Sperrzeiten. Für die unter 25-Jährigen wird das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung beschränkt, bei der ersten Wiederholung wird die Regelleistung ganz gestrichen. Nach Ermessen kann wieder für Unterkunft und Heizung gezahlt werden, wenn der junge Mensch sich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen. Sanktionen für ein Meldeversäumnis können ausgesprochen werden, wenn der Leistungsberechtigte einen Termin beim Jobcenter oder beim ärztlichen oder psychologischen Dienst ohne wichtigen Grund versäumt. Hier werden für drei Monate um zehn Prozent und bei weiterem Verstoß weitere zehn Prozent für weitere drei Monate einbehalten. Da eine Überlappung der Sanktionszeiträume möglich ist, können auch die zusammengerechneten Sanktionen keine Auszahlung mehr zur Folge haben. Auch wenn man die Meldung nachholt, führt das nicht zur Beendigung des Sanktionszeitraums. Die Meldeversäumnisse haben den größten Anteil mit 68 Prozent an den Sanktionen.
Mittlerweile wehren sich die Betroffenen gegen diese menschenfeindlichen Sanktionen. Mehr und mehr Erwerbslose organisieren sich und gehen gegen die Sanktionen auf die Straße, wie die Initiative AufRecht es tut. Sie machen darauf aufmerksam, dass vom Fördern und Fordern nur noch das Fordern übriggeblieben ist, auch weil die Mittel für Eingliederungshilfen fast halbiert wurden. Das Sozialgericht in Gotha ist der Meinung, dass einem Hartz-IV-Bezieher das Arbeitslosengeld nicht gekürzt werden darf, wenn er ein Arbeitsangebot abgelehnt hat und erklärt die bisherige Praxis als verfassungswidrig, weil sie die Menschenwürde des Betroffenen antastet, sowie Leib und Leben gefährden kann. Das Gericht ist der Auffassung, dass die im Sozialgesetzbuch festgeschriebenen Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter gleich gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes verstoßen. Das Gothaer Gericht ist bundesweit das erste Gericht, das die Frage aufwirft, ob die Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Es fragt, ob auch neben der Verletzung der Gewährleistungspflicht des Existenzminimums und damit auch des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, gleichfalls noch die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit durch die Sanktionen ausgehebelt wird. Der Aspekt der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit hat in den seit Jahren geführten Diskussionen um die Sanktionsmechanismen praktisch so gut wie nie eine Rolle gespielt. Die Menschen, die im Hartz-IV-Bezug sind, stehen permanent unter dem Druck möglicher Sanktionen, weil jeder Vermittlungsvorschlag des Jobcenters ein nicht ablehnbares Angebot sein kann. Die Freiheit der Berufswahl gibt es für sie nicht mehr. Demnächst wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe darüber entscheiden müssen, ob die Sanktionen im SGB II mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Sanktion ist immer Strafe und Legitimation zugleich. Einmal wird bestraft und zum anderen den Menschen gezeigt, dass der Staat dazu das Recht hat, dass er das tun darf. Ohne Sanktionen würde das Hartz-IV-System seine Effektivität und Abschreckung als Mittel zur Lohnsenkung verlieren. Damit alles so bleibt und jeglicher Widerstand erstickt wird, werden die rechten Organisationen von staatlichen Stellen hochgepäppelt, die Überwachung noch umfassender ausgebaut und nicht die Armut, sondern die Armen bekämpft. Quellen: FR, WAZ, tacheles, Sozialgericht Gotha, BA |
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Erschienen am 22. September 2018 auf gewerkschaftsforum-do.de > Artikel | |||||||||||||||||||||
Herzlichen Dank Laurenz Nurk für die freundliche Überlassung des Artikels! | |||||||||||||||||||||
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