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Libyens
Freunde im Norden German Foreign Policy
TRIPOLIS/BERLIN (Eigener Bericht) - Menschenrechtsorganisationen erheben schwere Vorwürfe gegen Libyen und die EU. Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Europa vom libyschen "Grenzschutz" aufgegriffen und interniert würden, seien in den dortigen Flüchtlingslagern Misshandlung und Folter ausgesetzt, heißt es in einem aktuellen Bericht von Human Rights Watch. Medizinische Versorgung sei faktisch nicht vorhanden, die Unterbringung verheerend, Schläge mit Eisenstangen oder sexuelle Gewalt an der Tagesordnung. Die Lager würden von der EU mitfinanziert. In der Tat bestand eine der ersten Maßnahmen der EU nach Gaddafis Sturz darin, Druck auf die - zunächst vor allem um die Stabilisierung des Landes bemühte - Übergangsregierung auszuüben, um sie so schnell wie möglich zur umfassenden Grenzabschottung zu bewegen. Seit Mitte 2013 ist mit EUBAM Libya eine EU-"Mission" im Land, um - unter deutscher Beteiligung - die Migrationsabwehr zu perfektionieren. Die Bundesregierung berichtet von "Erfolgen" bei der Grenzschutz-Ausbildung und beim "Auffinden" von Flüchtlingen auf See. Auf Misshandlung und Folter in den Lagern, in die die Migranten anschließend gepfercht werden, habe man leider "keinen Einfluss", heißt es bei EUBAM Libya. An einen Baum gehängt und ausgepeitscht Human Rights Watch erhebt schwere Vorwürfe gegen die libysche Regierung und die EU. Die Menschenrechtsorganisation hat im April neun der offiziell insgesamt 19 Lager in Libyen inspiziert, in denen Flüchtlinge interniert sind. Acht davon seien in einem katastrophalen Zustand, schreibt die Organisation. Bis zu 60 Männer und Jungen würden in 30 Quadratmeter große Räume gepfercht; manche drängten sich in Fluren, die von überlaufenden Toiletten überflutet seien. Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung fehle. Knapp 100 der 138 befragten Migranten hätten sich zudem über Misshandlung und Folter durch das Wachpersonal beklagt. Frauen seien sexueller Gewalt ausgesetzt; Schläge mit Eisenstangen oder Gewehrkolben sowie Peitschenhiebe mit Kabeln oder Schläuchen seien an der Tagesordnung. Auch würden Gefangene mit Elektroschocks gequält. In mindestens einem Lager seien mehrere Migranten "kopfüber an einen Baum gehängt und dann ausgepeitscht worden". "Die politische Situation in Libyen ist zwar schwierig, dennoch gibt es keine Rechtfertigung für Folter und andere Gewaltanwendung durch das Wachpersonal in diesen Auffanglagern", erklärt ein Mitarbeiter von Human Rights Watch. Experten der Migrationsabwehr Die Vorwürfe richten sich nicht nur gegen die libysche Regierung, sondern auch gegen die EU. Zu deren ersten Prioritäten gehörte es in Libyen nach Gaddafis Sturz, so rasch wie möglich Maßnahmen zur Migrationsabwehr zu treffen. Während sich zunächst der Nationale Übergangsrat und ab dem Spätherbst 2012 die neue Regierung daran machten, das kriegszerstörte Land vor dem Totalzerfall zu bewahren, drangen Berlin und Brüssel stattdessen entschlossen auf die Abschottung der Landesgrenzen. Bereits im Februar 2012 hatte der damalige libysche Ministerpräsident offiziell erklärt, Tripolis - von inneren Auseinandersetzungen erschüttert - werde seine "Freunde und Partner im Norden schützen", indem es "die illegale Einwanderung bekämpfe". Im März 2012 entsandte Brüssel eine "Expertenmission" nach Libyen, die mögliche Maßnahmen gegen Migranten erarbeiten sollte. Nach umfassender Auswertung beschloss der Europäische Rat am 31. Januar 2013 ein Konzept für eine EU-Mission, die schließlich am 22. Mai 2013 als "EUBAM Libya" (EU Integrated Border Assistance Mission in Libya) grünes Licht erhielt. Ihr offizielles Ziel ist es, "die libyschen Behörden bei der Entwicklung von Grenzmanagement und -sicherheit an den Land-, See- und Luftgrenzen" zu unterstützen. Die Fähigkeit, Flüchtlinge aufzufinden Wie die Bundesregierung urteilt, erzielt EUBAM Libya mit einem Etat von gut 30 Millionen Euro im Jahr durchaus "Erfolge". Bereits mit Stand vom 28. Januar 2014 seien "insgesamt 300 Angehörige libyscher Behörden im Grenzschutz ausgebildet" worden, hieß es im Februar auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag; unter ihnen seien Mitarbeiter der Grenzpolizei, des Zolls, der Polizei des Innenministeriums, der Naval Coast Guard, der Border Guard und weiterer Verbände. Völlig unklar ist, wie viele von ihnen tatsächlich der Regierung unterstehen und nicht in letzter Instanz einer der zahlreichen Milizen Libyens verpflichtet sind. Unabhängig davon gebe es "Fortschritte", erklärte die Bundesregierung letzte Woche nach einer neuen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag - "insbesondere bei der libyschen Fähigkeit, Flüchtlinge auf See aufzufinden und zu retten". Zudem könnten merkliche "Fortschritte bei der maritimen Zollkontrolle sowie bei der Ausweiskontrolle ... verzeichnet werden". Auch beteiligten sich "die libysche Küstenwache und die Marine" nun am "maritimen Kontrollzentrum in Tripolis", das im Rahmen des EU-Projekts "Seahorse" an die EU-Grenzüberwachung angebunden werde. An EUBAM Libya nehmen auch deutsche Stellen teil. Hunderte pro Woche Wie Human Rights Watch nun trocken feststellt, werden "jede Woche ... Hunderte Migranten und Asylsuchende ... von Libyens Küstenwache, die von der Europäischen Union und Italien Unterstützung erhält, abgefangen oder gerettet und in Abschiebehaft genommen". Die Bundesregierung hat bereits im Februar offen eingeräumt, ihr sei durchaus "bekannt, dass illegale Migranten teilweise willkürlich festgenommen und auf unabsehbare Zeit unter teils sehr schlechten Bedingungen festgehalten werden". Leugnen wäre auch damals schon unsinnig gewesen: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte im Juni 2013 in einer umfassenden Untersuchung die internationale Öffentlichkeit über die katastrophale Lage in den libyschen Flüchtlingslagern informiert. Dass sich an den Zuständen nichts gebessert hat, belegen die aktuellen Recherchen von Human Rights Watch. Während Berlin erklärt, es gebe Erfolge beim "Auffinden" von Flüchtlingen, dauern Misshandlung und Folter in Libyens Flüchtlingslagern an. "Leider ohne Einfluss" Bei EUBAM Libya heißt es dazu, man habe auf die Unterbringung der Flüchtlinge leider "keinen Einfluss". Tatsächlich werden die Flüchtlingslager, wie Human Rights Watch feststellt, von der EU und ihrem Mitglied Italien mitfinanziert - mit "mindestens 12 Millionen Euro" in den kommenden vier Jahren. Rom und Brüssel haben dies schon zu Gaddafis Zeiten getan und setzen ihre Praktiken ungebrochen fort. Es sei "zutiefst verstörend, dass EU-Mittel offenbar verwendet worden sind, um Flüchtlingslager zu unterstützen, in denen Tausende Ausländer gesetzeswidrig festgehalten werden", monierte Amnesty International bereits im Juni 2013: "EU-Mittel sollten genutzt werden, um Menschenrechte in Libyen zu fördern und zu schützen, insbesondere, da das Land sich gerade von einem bewaffneten Konflikt erholt". Berlin, Brüssel und Rom haben es dennoch auch weiterhin vorgezogen, in die Migrationsabwehr zu investieren. Human Rights Watch fordert nun: "Die EU und Italien sollen jegliche Unterstützung für die Aufnahmelager ... aussetzen", bis mindestens zwei Stellen der Vereinten Nationen "unabhängig voneinander überprüft haben, dass den Misshandlungen ein Ende gesetzt worden ist". Ähnliche Forderungen wurden bereits zu Gaddafis Zeiten immer wieder geäußert - ohne Erfolg. |
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erschienen am 27. Juni 2014 auf > German Foreign Policy > Artikel | ||||||||||||||||||
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