HOME     INHALT     INFO     LINKS     ARCHIV     KONTAKT
 
     
     
 

Gründe für einen Angriff auf den Iran

Gwynne Dyer

 

Das letzte Mal, als der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Barack Obama den israelischen Premierminister Binyamin Netanyahu traf, war es offensichtlich, dass die beiden Männer sich gegenseitig misstrauten und geringschätzten. Dieses Mal (am 5. März) war ihre gegenseitige Abneigung besser verborgen, aber die Kluft zwischen ihnen war noch immer gleich groß, besonders beim Thema des angeblichen Strebens des Iran nach Atomwaffen.

Es ist schon komisch, wenn zwei nuklear bewaffnete Länder (die Vereinigten Staaten von Amerika besitzen 5.000+ Atomwaffen, Israel rund 200) erklären, dass es lebenswichtig ist, zu verhindern, dass ein drittes Land auch ein paar dieser Dinger bekommt. Besonders, wo dieses dritte Land, nämlich Iran, den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat und sich noch immer an diesen hält, während Israel sich immer geweigert hat, diesen zu unterzeichnen. Aber das macht ja nichts.

Was Obama und Netanyahu trennt ist eine Frage des zeitlichen Ablaufs. Obamas „rote Linie“ ist der Zeitpunkt, an dem der Iran eine Atomwaffe „besitzt,“ wobei dieser nicht vor ein paar Jahren eintreten würde, selbst wenn der Iran beabsichtigt, eine herzustellen. (Amerikanische und israelische Geheimdienste sind einhellig der Meinung, dass der Iran derzeit an keiner arbeitet.)

Netanyahus „rote Linie“ ist viel enger gelegt: wann immer der Iran genügend angereichertes Uran besitzt, um eine Bombe zu bauen, egal ob er das dann tut oder nicht. Natürlich ist die Anreicherung von Uran ganz legal für den Iran (welches nach dessen Angaben ausschließlich für den Einsatz in zivilen Kernkraftwerken bestimmt ist), während ein Angriff auf den Iran ein Verbrechen nach Internationalem Recht wäre. Aber das hielt den vorherigen Präsidenten George W. Bush nicht davon ab, den Irak zu überfallen, und es würde auch Obama nicht abhalten.

Was Obama beunruhigt, sind drei andere Dinge. Erstens hat die amerikanische Öffentlichkeit einfach nichts übrig für einen dritten „Krieg eigener Wahl“ innerhalb von zehn Jahren im Mittleren Osten. Der General im Ruhestand Anthony Zinni warnte vor drei Jahren: „Wenn ihr Irak und Afghanistan mochtet, werdet ihr Iran lieben.“

Zweitens ist heuer Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn Israel den Iran angreift, wird der Ölpreis in die Höhe schnellen und die wirtschaftliche Erholung zunichte machen, auf die Obama angewiesen ist, wenn er wieder gewählt werden will. Wenn allerdings die Vereinigten Staaten von Amerika Israel nicht unterstützen, werden sich die amerikanischen Unterstützer Israels gegen ihn stellen und seine Chancen auf eine Wiederwahl so oder so zunichte machen.

Drittens würde der Angriff nicht die Urananreicherungsanlagen des Iran zerstören. Israel hat schon seit Jahren gedroht, diese zu zerstören, daher haben die Iraner sie tief unter die Erde verlegt. Israelische und amerikanische Kriegstreiber behaupten, ein Angriff könne die Fähigkeit des Iran, größere Mengen Uran anzureichern, um drei Jahre verzögern, aber Meir Dagan, der ehemalige Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad meint, dass drei Monate optimistisch geschätzt sind.

Sogar wenn es drei Jahre wären, wäre der Iran 2015 so weit wie er heute ist – und ein Iran, der von Israel und den Vereinigten Staaten von Amerika angegriffen worden ist, wäre entschlossen, so schnell wie möglich Atomwaffen zu bekommen. General Martin Dempsey, der Vorsitzende des Generalstabs der Vereinigten Staaten von Amerika, sagte vor kurzem, israelische Angriffe gegen den Iran „wären destabilisierend und würden nicht ihre langfristigen Ziele erreichen.“

Wenn Premierminister Netanyahu und seine Kriegshetzerkameraden wirklich glaubten, dass iranische Atomwaffen die Auslöschung des jüdischen Staates bedeuteten, dann könnte ihr Wunsch, den Iran anzugreifen, verteidigt werden, aber sie glauben das nicht. Das ist nur für die Öffentlichkeit bestimmt. In Wirklichkeit steht hier nicht das Überleben Israels auf dem Spiel, sondern nur die Erhaltung des großen strategischen Vorteils, den Israel als einziger Staat im Mittleren Osten hat, der über Atomwaffen verfügt.

Ehud Barak, Israels Verteidigungsminister, ließ vor kurzem in einem Interview mit dem israelischen Journalisten Ronen Bergman für das New York Times Magazine die Katze aus dem Sack. „Nach unserer Ansicht bietet ein atomar bewaffneter Staat seinen Anhängern eine ganz andere Art von Schutz. Stellen Sie sich vor, wir geraten in eine neue militärische Konfrontation mit Hezbollah und ein nuklear bewaffneter Iran erklärt, dass ein Angriff gegen Hezbollah als Angriff gegen den Iran betrachtet wird. Wir würden deshalb noch nicht unbedingt zurückstecken, aber das würde jedenfalls unsere Handlungsmöglichkeiten einschränken.“

Na ja. Israel verlor seine letzte militärische Konfrontation mit Hezbollah 2006 sogar MIT einem Atomwaffenmonopol, aber es erlitt in der Folge keine bleibenden Schäden. Wenn Israel nicht mit einer existenziellen Bedrohung konfrontiert ist, sondern nur mit dem möglichen Verlust eines strategischen Vorteils, dann macht es absolut keinen Sinn, einen illegalen Aggressionskrieg gegen den Iran zu beginnen.

Aber es gibt noch ein tiefer liegendes Motiv. Netanyahu und seine Kameraden glauben wirklich, dass ein Angriff gegen den Iran das islamische Regime stürzen würde. So sagte Netanyahu zu Bergman: „Eine iranische Bombe würde das Überleben des derzeitigen Regimes gewährleisten, welches sonst nicht sein 40-jähriges Bestehen erleben würde angesichts der Bewunderung, die die junge Generation im Iran für den Westen gezeigt hat. Hätte sie eine Bombe, dann wäre es sehr schwierig, mit der Regierung fertigzuwerden.“

Was Barak und sein Mitkriegstreiber Netanyahu also fordern, ist amerikanische Unterstützung für einen Angriff, dessen wirkliches Ziel es ist, das iranische Regime zu stürzen. Der Gedankengang dahinter ist wahnhaft: die Ansicht, dass das iranische Regime zusammenbrechen wird, wenn es nicht die Bombe bekommt, wird von israelischen wie amerikanischen Kriegstreibern vertreten, aber es gibt keinerlei konkreten Grund, das zu glauben.

Wie vor kurzem Meir Dagan in einer Vorlesung an der Universität in Tel Aviv sagte: „Die Tatsache, dass jemand gewählt worden ist, bedeutet noch nicht, dass er klug ist.“

 
     
  erschienen am 8. März 2012 auf > Common Dreams > Artikel > Gwynne Dyers Website  
  Archiv > Artikel von Gwynne Dyer auf antikrieg.com  
 
siehe dazu im Archiv:
  Ran HaCohen - Barak ohne Maske
 
  Die Weiterverbreitung der Texte auf dieser Website ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen!  
  <<< Inhalt