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  Zeitbombe Syrien

Eric S. Margolis

ISTANBUL – Es ist dunkel und neblig heute am mächtigen Bosporus, der Europa und Asien trennt. So düster und gefährlich wie das nahe gelegene explodierende Syrien.

Die ehemals so erfolgreiche türkische „Kein Problem”-Außenpolitik des Außenministers Ahmet Davutogolu begrub alte Streitigkeiten mit Syrien, Iran und Libanon und öffnete den Weg in milliardenschwere neue Märkte für die geschäftigen Exporteure der Türkei. Die rotglühende Wirtschaft der Türkei wuchs im vergangenen Jahr um 7% - fast so schnell wie China.

Aber das war, ehe Libyen, Syrien und Ägypten losbrachen. Der sehr populäre Ministerpräsident der Türkei Recep Tayyip Erdogan musste Stellung beziehen. Die Türkei forderte den schwer kranken Pharaoh Hosni Mubarak zum Rücktritt auf, blieb aber bei ihrer Unterstützung der allmächtigen ägyptischen Armee. Das war nicht ohne Ironie, als Erdogan gerade eine jahrzehntelange Schlacht geschlagen hatte, um die bullige türkische Armee aus der Politik zu stoßen.

Im Gegensatz dazu ließ die Türkei nur zögerlich Libyens Gaddafi fallen, einen alten Freund, mit dem Ankara Handel im Wert von rund $23 Milliarden getrieben hat, als eine verlorene Sache. Erdogans Reaktion auf Syrien war ähnlich: Erdogan beharrt darauf, dass die Familie Assad gehen und durch eine Demokratie im Stil der Türkei ersetzt werden muss, gemäßigt mit islamisch geprägtem Sozial- und Justizsystem.

Interessanterweise kündigte Davutoglu gerade eine neue „türkisch-ägyptische Achse” an, womit er eine Verbindung zwischen den beiden mächtigsten und bevölkerungsreichsten Ländern der Region herstellte. Davutoglu sagte, indem er ein altes ottomanisches Motto zitierte: „Die Türkei wird wieder im Zentrum von allem sitzen.“

Inzwischen haben die Vereinigten Staaten von Amerika heimlich die großen bewaffneten Streitkräfte Ägyptens abgestützt, die Saudis ließen dem ägyptischen Militär $4 Milliarden zukommen. Laut Berichten haben die Saudis mit Washingtons Segen Ägypten -zig Milliarden – es könnten sogar 60 sein – zusätzlich versprochen, um Demokraten, Nationalisten, Nasseristen und die schwerfällige Moslem-Bruderschaft von der Macht abzuhalten. 

Zyniker hier in Istanbul fragen sich, ob die Türkei überlegt, das kampfgeplagte Syrien zu einer Art türkischem Protektorat zu machen. Syrien schlittert immer mehr in den Bürgerkrieg, eine stabilisierende Kraft könnte also benötigt werden, um Ordnung zu bringen und das Land zusammenzuhalten. Auch der Irak wird in den Fall Syrien hineingezogen.

Syriens Konflikt ist verwirrend. Er begann vor einem Jahr, als aufständische Gruppen aus dem benachbarten Libanon ins Land eindrangen. Sie waren bewaffnet, ausgestattet und ausgebildet von der CIA, dem Geheimdienst Ihrer Majestät MI6 und Israels Mossad. Die Finanzierung kam vom Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika, der in den 1980ern beschloss, Mittel für den Sturz von Syriens Assad-Regierung bereitzustellen, wegen deren Gegnerschaft zu Israel und Unterstützung für die Palästinenser, auch von den Saudis kam Geld. 

In den 1920ern behauptete Vladimir Jabotinsky, ein führender zionistischer Denker, die arabische Welt sei ein brüchiges Mosaik aus Stämmen und Familienclans. Ein paar heftige Schläge, so prognostizierte er, würden den ganzen zerbrechlichen Haufen zersplittern und einen neuen jüdischen Staat übrig lassen als Schutzmacht des Mittleren Ostens und dessen Erdöl. Er dachte in erster Linie an Syrien, Libanon und Irak.

Diese bewaffneten syrischen Söldnerbanden, Assad hassende libanesische Faschisten und von der CIA getrimmte anti-Assad Exilanten entfachten die Lunte in Syrien. Ihre Attacken hauptsächlich entlang der libanesischen Grenze entzündeten den Widerstand von lange unterdrückten konservativen sunnitischen Moslems, bitteren Feinden der von Alawiten dominierten Regierung Assads. Die Alawiten – sie stammen ab von iranischen Schiiten und den Alevi in der Türkei – sind eher arm, stammesbewusst und werden von der Mehrheitsgruppe der Sunniten als Häretiker abgelehnt.

Viele der kleineren Städte und Orte haben revoltiert, aber noch nicht die großen Städte Damaskus, Latakia und Aleppo – deren lebenswichtige Wirtschaftssysteme aber zusammenbrechen.

Syrien ist aufgeteilt nach ethnischen/religiösen Bereichen. Ein Teil der sunnitischen Mehrheit, besonders die mächtige Klasse der Händler, unterstützt noch immer Assad. Das tun auch die syrischen Christen, die etwa 10% der Bevölkerung ausmachen. Wie Saddam Hussein im Irak schützte auch Syriens Assad die christlichen Sekten seines Landes vor den Fanatikern, die die Christen als vom Westen unterstützte Verräter oder Götzenanbeter bezeichnen.

Dazu kommen noch einige der widerspenstigen syrischen Kurden mit Verbindungen zu den rebellischen Kurden im Südosten der Türkei, wo die Rebellion schon jahrzehntelang brodelt, wie ich selbst sah, als ich über den Konflikt berichtete, und 40.000 Getötete hinterließ.

Syrien ist ein alter Verbündeter des Iran. Die Mächte des Westens und Israel sind begierig darauf, Syrien zu zerreißen und damit nicht nur dem Iran einen schweren Schlag zu versetzen, sondern auch Syriens anderen Verbündeten, der Hezbullah im Libanon und der Hamas der Palästinenser. 

Gleich wichtig, falls Syrien zusammenbricht, werden seine strategisch äußerst bedeutsamen Golanhöhen, die von Israel seit 1967 besetzt sind, unwidersprochen in den Händen Israels bleiben. Der Golan ist Israels wichtigste Grundwasserquelle.

Ein zersplittertes Syrien wird für den Zentralbereich des Mittleren Ostens eine Katastrophe sein. Die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Israel und das Vereinigte Königreich sind so geblendet von ihrem antiiranischen Trieb, dass sie bereit sind, Syrien zu zerstören, um an den Großen Satan Iran heranzukommen. Das ist, wie wenn man sein Haus niederbrennt, um Mäuse loszuwerden.

 
     
  erschienen am 28. November 2011 auf > www.ericmargolis.com  
  Archiv > Artikel von Eric Margolis auf antikrieg.com  
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