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  Jenseits des Nationalstaates

 

Gibt es so etwas wie ein zwangloses Land – eines, das nicht ständig seine Grenzen und seine Identität im Kopf hat?  

Wir können leicht sehen, wie absurd das alles ist, wenn wir über die Wanderer lesen, die vor kurzem aus dem Gefängnis im Iran entlassen worden sind, wo sie sie über zwei Jahre lang in grausamer Einzelhaft eingesperrt waren, weil sie unabsichtlich die Grenze überschritten hatten - vom von den Vereinigten Staaten von Amerika okkupierten Irak. Die unmenschliche Natur der iranischen Reaktion – die erdichteten Beschuldigungen wegen Spionage gegen die beiden jungen Männer Shane Bauer und Josh Fattal und ihre Begleiterin Sarah Shourd, die über ein Jahr lang eingesperrt war – wurden von den amerikanischen Medien schadenfroh hervorgehoben ... weil sie Amerikaner waren und der Iran zur Achse des Bösen gehört.

Jedenfalls überschritten die Wanderer nach ihrer Entlassung in der vergangenen Woche noch eine weitere Grenze und straften die Auffassung von guten Nationen und schlechten Nationen Lügen.

„Jedesmal, wenn wir uns im Gefängnis über unsere Bedingungen beschwerten, wiesen uns die Wachen sofort auf vergleichbare Zustände in Guantánamo Bay hin,“ sagte Bauer bei der Ankunft der beiden jungen Männer in New York. „Sie erinnerten uns an die CIA-Gefängnisse in anderen Teilen der Erde und an die Bedingungen, unter denen Iraner und andere in Gefängnissen in den Vereinigten Staaten von Amerika leiden.“

„Wir glauben nicht, dass diese Verletzungen der Menschenrechte durch unsere Regierung rechtfertigen, was uns angetan worden ist,” fügte er hinzu. „Nicht einen Augenblick lang. Wir glauben allerdings, dass diese Handlungen der Vereinigten Staaten von Amerika anderen Regierungen einschließlich der Regierung des Iran eine Entschuldigung bieten, in gleicher Weise zu handeln.“

Und Shourd bemerkte in einem Interview mit Amy Goodman auf „Democracy Now,” dass “niemand über ein Jahr, von zwei Jahren gar nicht zu reden, seines Lebens ungerechtfertigt festgehalten, eingesperrt und von der Welt abgeschnitten verbringen kann, ohne sich mit anderen Gefangenen rund um die Welt verbunden zu fühlen ... Wir werden niemals vergessen können, dass andere Menschen noch immer in der Situation stecken, in der wir uns befunden haben.“

Und einige dieser Menschen – in der Tat eine außerordentliche Anzahl – sitzen in amerikanischen Gefängnissen und Anhaltezentren, wie das Trio einige Male öffentlich erklärte und damit den simplizistischen Patriotismus von unter anderem Elliott Abrams verletzte, Symbol des Iran-Contra-Skandals in der Ära Reagan. Derartige Erklärungen der befreiten Amerikaner hinterließen einen „sehr schlechten Geschmack“ in Abrams Mund. „Wer genau sind die ‚politischen Gefangenen’ in Amerika?“ bloggte er auf der Website des Council of Foreign Relations (Rat für Auswärtige Angelegenheiten). „Können wir einige Namen bekommen?“ 

Bedenkt man, dass Amerikas Weltführerschaft die höchste Zahl von Gefangenen auf der Welt mit einschließt, dass es zahlreiche Berichte über weit verbreitete Misshandlungen von Gefangenen und von an der Grenze festgenommenen Menschen gibt, und dass unser Krieg gegen den Terror und rücksichtslose Einsperrpraktiken einen Tsunami von weltweiter öffentlicher Beachtung hervorgerufen haben, ist Abrams Enthüllung seiner selbst verschuldeten Ignoranz nahezu erschreckend.

Hier ist ein Name: Abdul Razak al Janko, ein syrischer Staatsbürger, der von beiden, von den Taliban und von den Amerikanern eingesperrt worden ist. Obwohl er versucht hatte, den Taliban zu entkommen, landete er in Guantánamo, wo er sieben Jahre lang festgehalten wurde; er wurde endlich entlassen, nachdem ein von Bush bestellter Bundesrichter sagte, seine weitere Anhaltung „verstoße gegen den gesunden Menschenverstand.“ 

Laut einer Klage, die Janko im vergangenen Jahr gegen eine Reihe von Regierungsfunktionären einbrachte, war er in Guantánamo schweren Schlägen, Schlafentzug, extremen Temperaturen, Einschüchterung mit Polizeihunden, Drohungen mit der Zufügung starker physischer Schmerzen (z.B. Ausreißen der Fingernägel), extremer Demütigung (er behauptet, dass Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika auf ihn urinierten, als er in Guantánamo ankam), jahrelanger Einzelhaft und vielem anderen ausgesetzt. 

Das ist die verkommene Natur der amerikanischen Weltherrschaft, und natürlich ist es nicht erschreckend, wenn jemand wie Abrams, der seine Identität mit der des Landes verschmolzen hat, nicht „weiß“ – ungeachtet wieviel er mitbekommen hat – dass derartige höllische Dinge tatsächlich auf dieser Seite der Grenze der selbstgerechten Aufteilung der Welt in gut und böse geschehen.

Für mich ist der Nationalstaat eine überflüssige Fiktion. Die Aufteilung der Welt in 194 Teile, die zumeist aus Krieg und Ausbeutung entstanden sind und in einen Zustand ständigen Misstrauens und ständig wechselnder gegenseitiger Spannungen verkeilt sind, ist im 21. Jahrhundert mehr Problem als Lösung. Nationalstaaten sind zweckmäßig für den Krieg. Eine leicht ausgebeutete „wir gegen sie“-Ausschließlichkeit liegt ihrer Identität zugrunde und erklärt den Aufwand an Energie, den Staaten für die Bewachung und Einhaltung ihrer Grenzen verwenden, als wären diese in irgendeiner Weise real.

Auf einem Planeten, der nicht nur durch Technologie und globale Wirtschaft vereinigt ist, sondern auch durch Klimaveränderung und eine Reihe von Problemen, die nur in weltweiter Kooperation wirkungsvoll angegangen werden können, braucht die Menschheit sowohl das Bekenntnis zum gesamten Planeten als auch zum Wohlergehen jedes einzelnen Menschen. Derlei Bekenntnisse haben keinen hohen Stellenwert bei Nationalstaaten, wie der Iran und die Vereinigten Staaten von Amerika zeigen.

Das ist ein Appell nicht für eine „Weltregierung,“ um das Misstrauen zwischen Regierungen und Völkern zum Schmelzen zu bringen, und nicht für das Blühen von Gefängnissen, sondern eines noch nie dagewesenen Geistes der Offenheit.  

 
     
  Robert Koehlers Artikel erscheinen auf COMMONWONDERS.COM > Artikel , HUFFINGTON POST und vielen weiteren Websites und Zeitungen  
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