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  Die Leiden des jungen Kriegsverbrechers

Gwynne Dyer

 

Alan Watkins ist mein liebster britischer Journalist. Bereits über 70 Jahre alt, verfasst er immer noch Woche für Woche eine elegante und vielsagende Kolumne, üblicherweise über britische Politik. Mit einer beiläufigen Untertreibung, die man leicht mit Ironie verwechseln könnte, hat er in den letzten sechs Jahren in Bezug auf den ehemaligen Premierminister Tony Blair regelmäßig vom „jungen Kriegsverbrecher“ geschrieben.

Das wird ein bisschen hart klingen, denn nie hat ein vermeintlicher Kriegsverbrecher einen aufrichtigeren, offeneren, ja unschuldigeren Eindruck gemacht. Wie sagte er doch in seiner Abschiedsrede vier Jahre nach seiner Entscheidung im Jahr 2003, das Vereinigte Königreich gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika in den Krieg gegen den Irak zu führen: „Hand aufs Herz, ich tat, wovon ich dachte, dass es richtig war.“ Allerdings tut JEDER, wovon er denkt, dass es richtig ist.

Sie mögen denken, sie wären praktisch, oder moralisch, oder sogar ideologisch im Recht, auf die eine oder andere Weise werden Menschen Wege finden, ihre Taten vor sich selbst zu rechtfertigen: Sogar Pol Pot glaubte, dass seine Aktionen gerechtfertigt waren. Wenn die Entscheidungen von Menschen den Tod anderer zur Folge haben, müssen sie allerdings auf der Grundlage objektiverer Kriterien beurteilt werden als denen der reinen Aufrichtigkeit. Das passiert jetzt mit Tony Blair.

Eine weitere öffentliche Untersuchung im Vereinigten Königreich behandelt jetzt die Grundlagen und Folgen von Blairs Entscheidung, den Irak anzugreifen, sie wird aber keinerlei Schuld bei ihm feststellen. Es handelt sich, wie der Führer der konservativen Partei David Cameron es bezeichnete, um „ein abgekartetes Spiel des Establishments.“ 

Bereits die blosse Existenz der Chilcot-Kommission hat Blair so sehr erschüttert, dass er ein außergewöhnliches Zugeständnis gemacht hat. Am 13. Dezember gab er zu, er wäre im Irak auch einmarschiert, wenn er damals gewusst hätte, dass die „Informationen“ über Massenvernichtungswaffen im Irak falsch waren.

Sie werden sich wundern, warum ich alle diese Zeilen einem in Misskredit geratenen Exführer widme, dessen Land einmal eine untergeordnete Rolle bei der Invasion eines mittelgroßen arabischen Landes gespielt hat. Der Krieg ist jetzt größtenteils vorbei, die Toten können nicht mehr lebendig gemacht werden und wir haben viele neue Probleme, um die wir uns kümmern müssen. Der Punkt ist, dass es ein Gesetz gibt, und dass sie dieses ganz bewusst gebrochen haben. Seit 1945 ist es ein Verbrechen, in ein anderes Land einzumarschieren. Das war die Hauptanklage, die gegen die Naziführer in Nürnberg erhoben worden ist. Das neue Gesetz wurde in die UNO-Charta geschrieben, hauptsächlich auf Betreiben der Vereinigten Staaten von Amerika, und es gibt darin praktisch keine Ausnahmen.

Du hast das Recht, dich zu verteidigen, wenn dich ein anderes Land angreift, aber du darfst nicht ein anderes Land angreifen, weil es einen bösen Führer hat oder eine Politik verfolgt, die du ablehnst, nicht einmal, weil du denkst, es könnte dich demnächst angreifen. Keinerlei einseitige militärische Aktion ist gestattet, und auch gemeinsame Aktionen gegen ein wirklich gefährliches Land sind nur erlaubt aufgrund einer Genehmigung des UN-Sicherheitsrats. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind jetzt ein ganz anderes Land als 1945, und unter der Regierung des jungen Bush haben sie eine Doktrin der „nationalen Sicherheit“ herausgebracht, die direkt diesem Internationalen Recht widerspricht und in der sich die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika das Recht anmaßt, jedes Land anzugreifen, das sie verdächtigt, üble Absichten gegen die Vereinigten Staaten von Amerika zu hegen. 

Gerade so wäre das Vereinigte Königreich vorgegangen, als es im 19. Jahrhundert das Sagen hatte, hätte es damals schon ein Internationales Gesetz gegen Aggression gegeben. Wir befinden uns aber jetzt im 21. Jahrhundert und das Vereinigte Königreich ist nicht mehr der Platzhirsch, und es gibt jetzt ein Gesetz. Es gibt sogar einen Internationalen Strafgerichtshof zur Durchsetzung dieses Gesetzes, obwohl dieser nie gegen die Führer reicher und mächtiger Länder tätig wird.

Tony Blair wird nie vor dem Internationalen Strafgerichtshof stehen, auch die Chilcot-Kommission wird ihn sanft behandeln. Er hat aber einen Krieg unter falschen Voraussetzungen begonnen – es hat keine Massenvernichtungswaffen gegeben – und mindestens 100.000 Menschen wurden getötet. Er hat jetzt zugegeben, dass er den Krieg auch begonnen hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Massenvernichtungswaffen nicht existierten (was er wahrscheinlich wusste). Er ist ein Kriegsverbrecher.

 
     
  erschienen am 18. Dezember 2009 in > London Free Press > Artikel   
  Archiv > Artikel von Gwynne Dyer auf antikrieg.com  
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