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  Den Knoten der Folter entwirren

Präsident Obama versprach eine Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit, aber der Fall Faisal Shahzad zeigt, wie schwierig das sein wird und wie ambivalent die Administration Obama zu sein scheint.

Tim Rutten

Seit Jahren war klar, dass die Entscheidung der Regierung Bush, gefangene Al Qaeda-Terroristen zu foltern, die Vereinigten Staaten von Amerika in eine verkorkste Position bringt, wenn es darum geht, über das endgültige Schicksal der Gefangenen zu entscheiden.

Kein amerikanisches Gericht wird jemals die Verwendung von Geständnissen oder Beweisen zulassen, die durch Folter erreicht worden sind. Ungeachtet der makellosen bisherigen Haltung der Bundesgerichte, nämlich unbeugsam und fair in Fällen von inländischem wie ausländischem Terrorismus vorzugehen, stellte das Weiße Haus unter Bush/Cheney sicher, dass die Verurteilung dieser Verbrecher abscheulich schwierig sein würde. Aus diesem Grund schusterte es ein fragwürdiges System von „Militärkommissionen“ zusammen und ignorierte einfach die Tatsache, dass die Urteile derartiger Tribunale kaum jemals die internationale Anerkennung bekommen werden, die in solchen Fällen entscheidend ist.   

Präsident Obama wurde Präsident mit dem Versprechen, die Folter zu beenden, die geheimen Gefängnisse, in denen gefoltert wurde, zu schließen und die Al Qaeda-Terroristen - einschließlich Khalid Shaikh Mohammed, das selbsternannte Superhirn hinter 9/11 und den prahlerischen Mörder des Journalisten Daniel Pearl – vor das Bundesgericht zu bringen, wohin sie gehören. Diese Woche sahen wir, wie schwierig das sein wird, und was noch mehr verwirrt, wie ambivalent die Administration Obama in Wirklichkeit diesem Prozess gegenüber steht.

Früher in der vergangenen Woche gratulierten Vertreter der Bundesbehörden sich selbst zu der lebenslänglichen Haftstrafe, die über Faisal Shahzad verhängt worden war, den in Pakistan geborenen amerikanischen Staatsbürger, der sich schuldig bekannte zu 10 Anklagepunkten von Terrorismus bis Waffenbesitz, die sich auf seinen misslungenen Versuch bezogen, eine Autobombe auf dem Times Square hochgehen zu lassen. Am Mittwoch jedoch schienen die gleichen Vertreter geschockt zu sein, als der Bezirksrichter der Vereinigten Staaten von Amerika Lewis A. Kaplan die Zeugenaussage eines Schlüsselzeugen der Regierung im Falle eines anderen angeklagten Terroristen, Ahmed Khalfan Ghailani nicht zuließ, der angeblich die Sprengstoffattentate gegen die Botschaften der Vereinigten Staaten von Amerika in Kenia und Tansania 1998 organisiert hatte, bei denen 224 Menschen getötet wurden. Ghailani wurde 2004 in Pakistan festgenommen und dann – fünf Jahre lang – in geheimen Gefängnissen der CIA festgehalten, wo er gefoltert wurde. Kaplan urteilte, dass ein Mann, der behauptet, er habe Ghailani den Sprengstoff verkauft, nicht als Zeuge herangezogen werden kann, weil die Regierung von diesem erst durch die Vernehmung Ghailanis erfahren hat, und bekannt ist, dass die Regierung die Aussage von Ghailani „erzwungen“ hat.

Kaplan schrieb, dass, obwohl er „sich der gefährlichen Natur der Welt bewusst ist, in der wir leben ... die Verfassung der Felsen ist, auf dem unsere Nation errichtet ist. Wir müssen uns an diese nicht nur halten, wenn es genehm ist, sondern auch wenn Furcht und Gefahr in eine andere Richtung weisen.“ Das ist eine Einstellung, die sich sehen lassen kann, aber Kaplan fuhr fort in einem offensichtlichen – und wahrscheinlich fruchtlosen – Versuch, sich selbst gegen Kritik abzusichern, dass Ghailani, selbst wenn er freigesprochen wird, durch seinen Status als „feindlicher Kämpfer“ der Regierung ermöglichen wird, ihn für immer in militärischer Verwahrung zu halten.

Justizminister Eric H. Holder Jr. brachte zuvor eine ähnliche Ansicht über den Fall Shaikh Mohammed zum Ausdruck.

Es gibt Namen für Verfahren mit vorgegebenen Ergebnissen, und keiner davon klingt gut.

Jack Goldsmith, der konservative Rechtswissenschaftler, der so mutig dem Unmut über das Weiße Haus Bush/Cheneys die Stirn bot, als er dessen Abteilung für  Rechtsberatung leitete, schrieb, dass ihn das alles „verwundern lässt, warum die Regierung das Verfahren gegen Ghailani durchführen will ... Dieses kann schwerlich die erhoffte positive Wirkung für die rechtliche Legitimation bringen, wenn Regierung und Richter öffentlich übereinstimmen, dass der Angeklagte, falls er freigesprochen wird, unbefristet hinter Schloss und Riegel bleiben wird.“ 

Der ehemalige Bundes-Terrorismus-Staatsanwalt Anthony S. Barkow, jetzt Professor für Recht an der Universität New York, sagte einem Interviewer, dass das Urteil Kaplans und Holders Einstellung dazu „den Eindruck einer Art Schauprozess schaffen, der einer wirklichen Rechtssprechung in der Angelegenheit völlig zuwider läuft.“ 

In seinem neuesten Buch „Obama’s Wars” („Obamas Kriege") erinnert sich Bob Woodward an ein Gespräch zwischen dem abtretenden CIA-Direktor Michael V. Hayden und seinem Nachfolger Leon Panetta.

„‚Ich habe einige Ihrer Schriften aus der Zeit gelesen, in der Sie nicht in der Regierung gearbeitet haben,’ sagte Hayden. ‚Verwenden sie nie wieder die Wörter CIA und Folter im selben Absatz. ... Folter ist ein schweres Verbrechen, Leon. Sagen Sie, Sie mögen sie nicht. Sagen Sie, sie beleidigt Sie persönlich. Das macht mir nichts. Sagen Sie nur nicht, dass es Folter ist. Das ist ein schweres Verbrechen.’ Das Justizministerium hat genehmigt, was die CIA tat, in langen, ausführlichen Aktenvermerken, daher hat – vom Gesetz her – die CIA niemanden gefoltert.“

Es wäre eine Tragödie, wenn die Administration Obama hinter diesen Spiegel zurück tritt. Sie kann nicht beides haben, wenn es um Einhaltung der Gesetze und nationale Sicherheit geht. Sie kann nicht gleichzeitig die Legitimität haben, die die Einhaltung der Verfassung verleiht, und die illusorische Sicherheit, die Bushs wahnhafter Autoritarismus zu schaffen schien.

 
     
  erschienen am 9. Oktober 2010 in der LOS ANGELES TIMES > Artikel  
  s. dazu auch Mark Danners "US-Folter: Stimmen von dunklen Orten" u.a.  
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