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  Der Fall Griechenlands

Ja, es ist wirklich ein kapitalistisches Komplott

Diana Johnstone

Für Europas ärmste Länder sah es lange so aus, als wäre die Mitgliedschaft bei der Europäischen Union eine Garantie für anhaltende Prosperität. Die derzeitige finanzielle Krise Griechenlands sollte einige dieser Illusionen beseitigen. 

Es gibt zwei auffallend bezeichnende Ebenen der derzeitigen Krise. Während in erster Linie eine Wirtschaftsgemeinschaft, behauptet die EU auch eine Gemeinschaft auf der Grundlage von Solidarität zu sein – eine Familie von Nationen und Völkern. Jedenfalls fällt das wirtschaftliche Defizit gegenüber dem menschlichen Defizit, das sie aufweist, kaum ins Gewicht.

Einfach gesagt, zeigt die griechische Krise, was passiert, wenn sich ein schwaches Mitglied dieser Union in Schwierigkeiten befindet. Es ist das Gleiche, was andernorts auf der Welt geschieht, wo es keine derart moralisch anmaßende Union gibt, die sich ständig selbst ihrer Verbundenheit mit den Menschenrechten rühmt. Die wirtschaftlich Starken schützen ihre eigenen Interessen auf Kosten der wirtschaftlich Schwachen.

Die Krise brach aus im vergangenen Herbst, nachdem George Papandereous Partei PASOK die Wahlen gewonnen hatte, ihr Amt antrat und herausfand, dass der Küchenkasten leer war. Die griechische Regierung hatte geschwindelt, um 2001 in die Eurozone aufgenommen zu werden, indem sie die Bücher fälschte, um die Defizite verschwinden zu lassen, die sie von einem Beitritt zur Währungsgemeinschaft ausgeschlossen hätten. Das EU-Abkommen limitierte das vertretbare Budgetdefizit mit 3% und die Staatsverschuldung mit 60% des BNP. In Wirklichkeit werden diese Limits weit überschritten, ganz offen von Frankreich. Aber zum größeren Skandal kam es, als bekannt wurde, dass Griechenlands Budgetdefizit im Jahr 2009 12,7% erreichte und die Schuldenvorhersage für 2010 sich auf 125% des BNP belief.

Natürlich kamen die europäischen Führer zusammen, um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Ihre Reden waren allerdings nicht so sehr darauf gerichtet, den zunehmend verärgerten und verzweifelten Menschen in Griechenland Mut zu machen, sondern um „die Märkte“ zu beruhigen – die wirklichen verborgenen allmächtigen Götter der Europäischen Union. Die Märkte leben wie die alten Götter auf, wenn sie die Sterblichen peinigen können, die in Schwierigkeiten stecken, ihre Antwort auf das griechische Problem war daher, sich zu beeilen, um davon zu profitieren. Wenn zum Beispiel Griechenland heuer neue Staatsanleihen herausgeben muss, können die Märkte ungeniert verlangen, dass Griechenland die Zinssätze verdoppelt aufgrund des höheren „Risikos“, dass es nicht bezahlen wird, wodurch sie es Griechenland viel schwerer machen, zu bezahlen. Das ist die Logik des freien Marktes. 

Was die Führer der EU bei ihrer Anrufung der Götter unter „Solidarität” verstanden, war nicht, dass sie Steuergelder nach Griechenland fließen lassen würden, wie sie es mit ihren problembelasteten Banken gemacht hatten, sondern dass sie die Absicht hatten, das den Banken geschuldete Geld aus den Menschen Griechenlands herauszupressen. 

Das Herauspressen wird so aussehen, wie wir es vom Internationalen Währungsfonds in den vergangenen desaströsen Jahrzehnten kennengelernt haben: dem griechischen Staat wird vorgeschrieben, seine öffentlichen Ausgaben zu kürzen, das bedeutet öffentliche Bedienstete zu entlassen, ihre Einkommen zu senken, das Pensionsalter hinaufzusetzen, bei den Gesundheitsausgaben zu sparen, Steuern zu erhöhen, und so nebenbei vielleicht die Arbeitslosenquote von 9,6% auf rund 16% zu erhöhen, und das alles mit dem glorreichen Ziel, das Defizit in diesem Jahr auf 8,7% herunter zu bekommen, um auf diese Weise die unsichtbaren Götter des Marktes zu besänftigen.

Das wird beide, die Götter und die deutschen Führer besänftigen, die darüber hinaus noch den Wert des Euro beibehalten wollen. Die Finanzmärkte werden zweifelsohne ihren Brocken Fleisch in Form erhöhter Zinssätze schnappen, während die Griechen durch die „Schockbehandlung“ im Stil des IMF bluten werden müssen.

Und was ist mit dem großen Theater der Menschenrechte und der universellen Verbrüderung, dem Europäischen Parlament? In diesem Forum darf jeder sorgfältig bemessene 1, 2 oder 3 Minuten sprechen, aber wenn es um die wichtigste Sache geht, das Budget, sind die maßgeblichen Stimmen alle deutsch.

So verlangte der Vorsitzende des Sonderkomitees des Europäischen Parlaments für die Wirtschafts- und Finanzkrise Wolf Klinz die Entsendung eines „Hohen Repräsentanten“ der EU nach Griechenland, eines „Wirtschaftskommissars“, um sicher zu stellen, dass die Griechen die Sparmaßnahmen ordentlich durchführen. Die griechische Krise kann der EU die Möglichkeit geben, zum ersten Mal ihre „vertraglichen Instrumente“ zum Einsatz zu bringen, betreffend die „Überwachung der Budget- und Wirtschaftspolitik“. Die Zinssätze mögen aufgrund des „Risikos“ hinaufschnalzen, aber es darf kein Risiko geben. Der Brocken Fleisch wird geliefert werden. 

Es gab keine finanzielle Überwachung der finanziellen Schwindel, die zu diesem Schlamassel führten. Das statistische Amt der EU Eurostat entdeckte und veröffentlichte vor kurzem, dass 2001 Goldman Sachs geheim („aber legal“ laut deren Geschäftsführung) der rechtsgerichteten griechischen Regierung dabei behilflich war, die Kriterien für die EU-Mitgliedschaft zu erfüllen, indem sie ein kompliziertes „Währungs-Swapgeschäft“ benutzte, das das Ausmaß des Budgetdefizits und der Staatsschulden maskierte. Ich denke, es ist fair anzunehmen, dass nicht einmal Angela Merkel, eine gelernte Wissenschaftlerin, klar versteht, was da vor sich ging, um so weniger die inkompetenten griechischen Politiker, die die Tricksereien von Goldman Sachs akzeptierten. Dadurch konnten sie die Illusion eines Erfolgs schaffen – für eine Zeit lang. Erfolg im Sinne von „Mitglied des Klubs“ der Reichen zu sein, und man kann sagen, dass diese Auffassung von Erfolg die schlechte Regierungsführung auf nationaler Ebene in der Tat begünstigt hat. Zur Europäischen Union zu gehören führte zu einem falschen Sicherheitsgefühl, das zur Verantwortungslosigkeit inkompetenter politischer Führer beigetragen hat. 

Euros zu haben, um importierte Güter (vor allem aus Deutschland) zu kaufen, gefiel reichen Konsumenten, während die in Euros veranschlagten griechischen Güter aus ihren früheren Märkten verschwanden. Jetzt schließt sich die Schuldenfalle. Der traditionelle Weg aus dieser wäre für Griechenland, den Euro zu verlassen und zu einer abgewerteten Drachme zurückzukehren, um die Importe einzuschränken und die Exporte zu fördern. Auf diese Weise würden die Lasten der erforderlichen Opfer nicht nur von der Klasse der Werktätigen getragen. Aber die Umarmung der EU-„Solidarität“ hilft, dass das nicht passiert. Die deutschen Behörden bereiten sich darauf vor, auch die Griechen dem Gesetz zu unterwerfen, nachdem sie das Einkommen ihrer eigenen Arbeiterklasse reduziert haben, zu Gunsten von Deutschlands exportorientierter Wirtschaft.

Sparmaßnahmen sind das Gegenteil dessen, was in der Zeit einer drohenden Depression gebraucht wird. Eher sind Keynesianische Maßnahmen erforderlich, um die Schaffung von Arbeitsplätzen anzuregen und den heimischen Markt zu stärken. Aber Deutschland ist fest mit dem Exportmodell verbunden, von sich aus wie auch von anderen („Globalisierung“). Für ein Land wie Griechenland, das innerhalb der EU nicht erfolgreich konkurrenzfähig sein kann, werden Exporte außerhalb der EU durch den Gebrauch einer starken Währung, des Euro, kaputt gemacht. An den Euro gebunden kann Griechenland weder seinen heimischen Markt stimulieren noch erfolgreich exportieren. Aber es wird sich nicht aus der Schuldenfalle befreien und zu seiner traditionellen Währung, der Drachme, zurückkehren dürfen. Armut scheint die einzige Lösung zu sein.

In der deutschen Arbeiterklasse herrscht Unzufriedenheit mit der Politik ihres Landes, die auf Kürzungen von Löhnen und sozialen Leistungen abzielt, um besser nach außen verkaufen zu können. In einem idealen „sozialen Europa“ würden die Arbeiter in Deutschland den griechischen Werktätigen zu Hilfe kommen, indem sie eine radikale Umkehr der Wirtschaftspolitik verlangten, weg von der Versorgung der internationalen Finanzmärkte hin zum Aufbau einer soliden sozialen Demokratie. Die Realität ist ganz anders. 

Die griechische Finanzkrise bringt ans Licht, dass in der Europäischen Union jeglicher Gemeinschaftsgeist fehlt. Die von den EU-Partnern des Landes beschworene „Solidarität“ ist eine Solidarität mit ihren eigenen Investitionen. Es gibt keine verbreitete Solidarität unter den Völkern. Die EU hat eine Ersatzideologie für den Internationalismus eingeführt: Ablehnung des Nationalstaates als Quelle allen Übels, einen aufgeblasenen Stolz auf „Europa“ als Zentrum der Menschenrechte, Schulmeister der Welt für Moral, was perfekt zur Unterwürfigkeit unter die imperiale Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika im Mittleren Osten und darüber hinaus passt. Es ist paradox, dass die europäische Einigung Hand in Hand verlaufen ist mit einem abnehmenden Interesse in den größeren EU-Staaten an dem, was mit ihren Nachbarn geschieht.  

Trotz eines gewissen Ausmaßes einer besonderen Ausbildung, die es braucht, um eine Klasse der Eurokraten zu schaffen, ist die allgemeine Bevölkerung der einzelnen EU-Mitglieder nur oberflächlich mit den anderen vertraut. Sie betrachten sie als Teams in Fußballmatches. Sie fahren in den Urlaub rund ums Mittelmeer, aber da treffen sie hauptsächlich andere Touristen, und das Lernen von Fremdsprachen hat abgenommen, außer Englisch, das allgegenwärtig ist, wenn auch als Mischmasch. Die Berichterstattung der Massenmedien ist nach innen gerichtet und behandelt abgängige Kinder und Pädophile noch weit vor bedeutenden politischen Ereignissen in anderen EU-Mitgliedsstaaten.

Nordeuropäische Medien porträtieren Griechenland praktisch als Land der Dritten Welt, irgendwo an der Peripherie und pittoresk, wo die Menschen eine unmögliche Sprache sprechen, auf Inseln im Kreis tanzen und in ihrer sorglosen Art über ihre Verhältnisse leben. Die Grillen in der Fabel von Aesop, verachtet von den fleißigen Ameisen. 

Medien in Deutschland und in den Niederlanden lassen zwischen den Zeilen durchblicken, dass eine Schockbehandlung im Stil des IMF (Internationalen Währungsfonds) fast zu gut für sie ist. Die sich ausweitende Polarisierung zwischen Reichen und Armen innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU wird als gegeben hingenommen. 

Die kleineren verschuldeten Länder in der EU werden von der englisch sprechenden Finanzpriesterschaft freundschaftlich als PIGS (Schweine) – Portugal, Italien (vielleicht Irland), Griechenland, Spanien – bezeichnet, eine angemessene Bezeichnung für eine Farm der Tiere, in der einige so viel gleicher sind als andere. 

 
     
  erschienen am 4. März 2010 auf www.globalresearch.ca > http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=17937  
     
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