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  Jetzt sehen wir euch, jetzt sehen wir euch nicht

Kathy Kelly

Anfang Juni 2009 war ich im Flüchtlingslager Shah Mansor in Pakistan und hörte den Bericht eines Bewohners über Einzelheiten des Gemetzels, das zur Flucht seiner Familie vor zwei Wochen geführt hatte. Ihre Stadt Mingora war unter massives Bombardement aus der Luft gekommen. Er erinnerte an verzweifelte Anstrengungen beim Begraben von Leichen, die sie auf dem Weg fanden, als er und seine Nachbarn dabei waren, die Flucht ihrer Familie aus dem Gebiet zuu organisieren. 

„So haben sie uns dort umgebracht,” sagte mein Freund. Dann, auf die Zeltreihen deutend, die sich erstreckten, soweit das Auge sehen konnte, fügte er hinzu: „So bringen sie uns hier um.“

Die Menschen in dem Zeltlager litten unter sehr rauen Bedingungen. Sie schliefen ohne Matten auf dem Boden, sie hatten kein Wasser zum Waschen, in den Zelten war es unerträglich heiß und sie hatten keine Ahnung, ob ihre Häuser und Geschäfte in Mingora noch standen. Ihr Leidensweg hatte allerdings erst begonnen.

Der UNO-Butschafter für Menschenrechte Abdul Aziz Arrukban warnte am 22. Juni, die Millionen von Pakistanern, die durch die Militäroffensive gegen das Swat-Tal vertrieben worden waren, würden „langsam sterben“, wenn sich die internationale Gemeinschaft nicht um das „unerwartete“ Ausmaß der Krise kümmert (Jason Ditz, antiwar.com).

UNO-Agenturen und Nichtregierungsorganisationen wie Islamic Relief und Relief International berichten, dass viele der Menschen, die jetzt in Zeltlagern oder aufgegebenen Häusern leben oder in Schulen, die zu Flüchtlingsunterkünften umgewandelt wurden, in Bälde an verhinderbaren Krankheiten sterben könnten.

Gesundheitsteams registrieren zunehmend häufige Fälle von Diarrhoe, Scabies und Malaria, alle unter diesen Umständen besonders für kleine Kinder tödlich. Wenn so viele Menschen so eng beieinander leben, verbreiten sich diese Krankheiten schnell.

Hilfeorganisationen sind besorgt, dass mit dem Einsetzen der Monsunzeit im Juli diese Probleme sich deutlich verschlechtern werden. Der Monsun bringt regionale Überschwemmungen mit sich und verursacht das Ansteigen von Malaria und Krankheiten, die durch Wasser verursacht werden. Die Auswirkungen in diesem Jahr werden viel gravierender sein, weil so viele Menschen in gedrängten und unhygienischen Verhaltnissen leben. 

Pakistans heruntergekommenes Gesundheitssystem ist nach offiziellen Berichten nahe dem Zusammenbruch. Die Krankenhäuser im Norden des Landes leiden besonders unter überarbeiteten Ärzten, schwindenden medizinischen Vorräten und Lawinen von bürokratischen Vorgängen, die Geld und Medizin für die Krise blockieren. 

In einem Bericht für Associated Press am 7. Juni beschrieb Kathy Gannon die Männerabteilung im Bezirkskrankenhaus von Mardan: „30 Stahlbetten stehen zusammengedrängt, mit dünnen Matratzen und ohne Kissen. Urinlachen stehen am Boden und frische Blutspritzer sind auf dem zerrissenen Bettzeug zu finden ... die einzige Toilette für 30 Patienten stinkt nach Urin und Kot. Die Toiletten gehen über, die Tür zu einer hängt herunter und Urin bedeckt den Betonboden. In einer Ecke ist ein hoher Müllhaufen.“ 

Das Jahresbudget für das Gesundheitswesen in Pakistan beträgt heuer weniger als US$ 150 Millionen, während das pakistanische Militärbudget im letzten Jahr $ 3,45 Milliarden ausmachte und im nächsten Jahr auf $ 3,65 steigen soll.

Die Menschen in Shah Mansoor sorgen sich, dass weder die internationale Gemeinschaft noch ihre Regierung sich um die Gesundheitskrise kümmern, die auf sie zukommt. Aber die Dorfbewohner, die erst aus ihren Häusern in Waziristan flüchten werden, leiden unter der ständigen militärischen Beobachtung durch tödlich bewaffnete Überwachungsdrohnen der Vereinigten Staaten von Amerika.

Ein Dorfbewohner, der eine Drohnenattacke in Nordwaziristan überlebt hatte, erklärte, dass sogar die Kinder beim Spielen auf Drohnen achten, die über ihnen fliegen. Nach einem Drohnenüberfall waren die Überlebenden, die versuchten, verletzte Opfer zu einem Krankenhaus zu bringen überrascht, als ein Fahrer anhielt, von ihrer Notlage erfuhr und davonfuhr. Da dämmerte ihnen, dass dieser Fahrer befürchtete, die Drohne könne noch immer über ihnen herumstreifen und er könnte dafür aufs Korn genommen werden, dass er den Opfern der Attacke geholfen hatte. 

Die Drohnen der Vereinigten Staaten von Amerika können Pakistan überwachen – ihre Piloten in klimatisierten Räumen in Nevada sehen das Gebiet, obwohl sie physisch tausende Meilen entfernt sind.

In einem Bericht über die Bemühungen der Luftwaffe der Vereinigten Staaten von Amerika, „den unersättlichen Bedarf an unbemannter Luftraumüberwachung in Kampfzonen zu decken“ schreibt Grace Jean in der Ausgabe vom Juni 2009 des National Defense Magazine, dass die Luftwaffeneinheit 432 in der Creech Air Force Base in Nevada ihre Operationen ausweitet. „Wir verfügen zur Zeit über 34 Videoverbindungen über der Kampfzone,“ sagt Col. John Montgomery, stellvertretender Kommandant des Geschwaders. „Mit einer Drohne,“ sagt Montgomery, „bist du Teil des Schlachtfeldes.“ Zu den hunderten Kampfeinsätzen, die er über Sadr City in Bagdad geflogen war bemerkte Montgomery, er wusste sogar wann die Leute die Wäsche aufhängten und wann sie den Müll hinaus trugen. „Ich wusste die Verkehrsdichte in den Stunden, in denen ich sah und ich wusste, wenn diese  sich änderte. Wenn man erst die Muster des Verhaltens kennt, ob Dinge anders oder problematisch sind, dann bedeutet das, dass etwas in der Luft liegt, und das verschafft dem Oberbefehlshaber und dem Kommandanten am Boden einen Vorteil.“  

Am Dienstag, 23. Juni flogen Drohnen der Vereinigten Staaten von Amerika einen Überfall gegen eine Wohnanlage in Südwaziristan. Nachbarn eilten herbei, um Überlebende zu retten. Die Drohnen der Vereinigten Staaten von Amerika feuerten weitere Raketen auf diese und töteten 13. Am nächsten Tag, als die örtliche Bevölkerung das Begräbnis abhielt, schlugen die Vereinigten Staaten von Amerika erneut zu. Reuters berichtete, dass 70 Trauergäste getötet wurden. 

Die Drohnenpiloten und ihre Kommandanten in Creech Air Base werden zunehmend gut über die Bewegungen der Menschen in Pakistan informiert sein, die Menschen in den Vereinigten Staaten von Amerika hingegen werden die menschlichen Kosten des Krieges in Pakistan aus den Augen verlieren.

Zur Zeit hören wir von bevorstehenden Militäroperationen in Südwaziristan, die bereits 45.000 Menschen in die Flucht aus der Region getrieben haben, die jetzt zu den rund zwei Millionen Männern, Frauen und Kindern dazu kommen, die durch die Kämpfe im Swat-Tal und anderen Regionen vertrieben worden sind. Menschen aus Waziristan, die aus ihren Dörfern flüchten bei dem Versuch, ihr Leben zu retten und nicht von den allgegenwärtigen Drohnen bemerkt zu werden, werden voraussichtlich zu den ungesehenen vertriebenen Menschen dazukommen, deren Leben und Hoffnungen der internationalen Aufmerksamkeit entschwinden, wenn sie langsam sterben. 

Präsident Obama hat uns eine Ausdehnung von Bushs Krieg gegen den Terror beschert, angeblich mit der Begründung, dass seine Regierung die Verantwortung für die Ausrottung der Al Qaeda-Terroristen trägt. Aber die Methoden, die das Militär der Vereinigten Staaten von Amerika und Pakistans einsetzt, die Millionen Menschen aus ihren Wohnorten vertreiben, bei der Versorgung der Vertriebenen mit Nahrung und Unterkunft versagen und mit überwältigender Waffentechnologie unschuldige Zivilisten überfallen – diese Methoden werden weiterhin terroristische Widerstandskämpfer schaffen und nicht diese besiegen.

Wenn wir Al Qaeda bekämpfen wollen, wenn wir sicher sein wollen vor zukünftigen terroristischen Angriffen, würden wir gut daran tun daran zu denken, dass die Menschen, die die Hauptlast unserer Kriege tragen und deren Menschsein wir nicht anerkennen, dass genau diese Menschen Augen um zu sehen und Ohren um zu hören haben. Diese müssen sich selbst fragen, wer die Terroristen sind.

   
     
  Kathy Kelly ( kathy@vcnv.org) koordiniert Voices for Creative Nonviolence (Stimmen für kreative Gewaltlosigkeit) - www.vcnv.org  
  erschienen am 25.06.2009 > http://vcnv.org/now-we-see-you-now-we-dont  
     
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