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  Abe Foxmans "Antisemitische Pandemie"

Ran HaCohen

Gäbe es einen Nobelpreis für Scheinheiligkeit, wäre Abraham Foxman ein hervorragender Kandidat. Der Direktor der Anti-Diffamierungs-Liga (ADL), der seinerzeit sogar den Internationalen Holocaust-Gedenktag als Ausdruck der latenten Sehnsucht der Nichtjuden interpretiert hat, alle Juden tot zu sehen, hat eine neue Untersuchung über Antisemitismus in Europa veröffentlicht. Eine der Aussagen, zu denen sich die Befragten äußern sollten, war "Juden stehen loyaler zu Israel als zu diesem Land"; eine zustimmende Antwort wurde als Hinweis auf Antisemitismus bewertet.

In der Tat ist es nicht nett, die Loyalität einer Minderheit in Frage zu stellen. Und die Tatsache, dass viele Zionisten diese Aussage bestätigen, oder zumindest erwarten würden, dass ein Jude loyaler gegenüber Israel ist als gegenüber dem Land, in dem er wohnt, bildet eine schwache Entschuldigung für eine derartige Charakterisierung aller Juden. Aber rücken wir diese Dinge ins rechte Licht: sogar wenn fast die Hälfte der Europäer sagt, es sei "wahrscheinlich wahr", dass Juden eher loyal gegenüber Israel sind, gibt es doch keine einzige Partei in Europa, die verlangt, Juden die Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn sie nicht ihre Loaylität nachweisen. Ich habe auch von einer derartigen Forderung gegen andere eingeborene Minderheiten noch nichts gehört, weder in Europa noch sonst wo. Nicht einmal der jüngst verstorbene Jörg Haider ist so weit gegangen.

Eine Ausnahme gibt es allerdings. Der Hauptslogan von Avigdor Liebermans Yisrael Beiteinu-Partei im letzten Wahlkampf lautete "Keine Loyalität - keine Staatsbürgerschaft," gerichtet gegen die arabische Minderheit in Israel. Dreizehn Prozent der israelischen Wähler gaben Lieberman ihre Stimme. Was hat Abe Foxman dazu zu sagen? Foxman verteidigt Lieberman, indem er ihn verharmlost: "Er sagt nicht, man soll sie vertreiben. Er fordert nicht, man solle sie bestrafen." Das nicht: er dämonisiert sie nur und droht, ihnen die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Kaum der Rede wert.

Eine Privatperson also, die in einer telefonischen Befragung die Loyalität von Juden anzweifelt, ist für Foxman ein dreckiger Antsemit. Eine größere politische Partei allerdings, die öffentlich arabischstämmige Israelis diffamiert und die Aberkennung ihrer Staatsbürgerschaft verlangt, wird andererseits akzeptiert vom Direktor der Anti-Diffamierungs(!)-Liga, die sich bekennt zum "Kampf gegen Antisemitismus, Bigotterie und Extremismus"!

Tendenziöse Umfrage

Die Umfrage der ADL insgesamt muss kritisch hinterfragt werden. Zum zweiten Mal in sieben europäischen Ländern durchgeführt, bestand sie aus einer kurzen Liste von Aussagen, zu denen die Befragten sich äußern sollten.

Man beachte, dass den Befragten nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung standen: sie konnten entweder mit "wahrscheinlich richtig" oder "wahrscheinlich falsch" antworten. Alle "wahrscheinlich richtig"-Antworten entsprachen dem antisemitischen Standpunkt. Der Haken liegt hier in dem bekannten Phänomen, dass Menschen "dazu neigen, positive Aussagen eher zu bestätigen, statt sich Überlegungen dazu zu machen und mögliche Fehler zu erkennen" (siehe Jon Krosnick, "Maximizing Questionnaire Quality" [.pdf]). Eine seriöse Befragung hätte einige der entsprechenden Aussagen negativ formuliert, um dieser naturgegebenen Tendenz zu entkommen. Die Anti-Diffamierungs-Liga jedoch folgte ihrer eigenen Tendenz: Antisemitismus sollte immer gefunden werden, je mehr desto besser. Wenn übrigens einiges von dieser Tendenz, wie einige Forschungen zeigen, auf die Neigung von Individuen von niedrigerem sozialem Status zurückzuführen ist, sich Individuen von höherem Status zu fügen, könnte das erklären, warum die Umfrage der ADL ständig ergibt, dass Antisemitismus weiter verbreitet ist unter Menschen, deren Ausbildung nicht über das Alter von 17 Jahren hinausgegangen ist.

Man fragt  sich auch, ob die Aussage "Juden reden noch immer zu viel davon, was mit ihnen im Holocaust geschah" (man beachte das suggestive "noch immer") wirklich viel mit Antisemitismus zu tun hat (cf. Yehuda Elkana's [.pdf] classical "The Need to Forget" [.pdf]). Und was brachte die ADL dazu, zwei der sechs Fragen für nahezu identische Aussagen zu verschwenden ("Juden haben zu viel Macht in der Geschäftswelt" und "Juden haben zu viel Macht in den internationalen Finanzmärkten"), die fast immer das gleiche Ergebnis erbrachten (Korrelationsfaktor 0,922). Fehlte es etwa an antisemitischen Aussagen?

Gerade vor ein paar Wochen schaffte Foxman - kein Mann des Understatements - den Weg in die Schlagzeilen, indem er eine "Pandemie des Antisemitismus" anprangerte, die infolge der Gaza-Operation "Cast Lead" ("Vergossenes Blei") entstanden war: diese Krise war "die schlimmste, die heftigste, die weltweit weitestgehende, die wir je erlebt haben."

Die Operation "Cast Lead" begann am 27. Dezember 2008. Die ADL-Umfrage wurde im Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis 13. Januar 2009 durchgeführt, das heißt, das letzte Drittel in der Zeit der Verwüstung von Gaza. Wenn es tatsächlich zu einer "antisemitischen Pandemie" aufgrund der Ereignisse in Gaza gekommen ist, wie Foxman behauptet, sollte eine seriöse Untersuchung die erhobenen Daten vor und nach dieser "Pandemie" streng unterscheiden. Die ADL hätte eigentlich nur ihre eigene Umfrage zu lesen brauchen, um die Notwendigkeit einer solchen Unterscheidung zu erkennen: eines ihrer Ergebnisse lautet, dass "23 % der Befragten sagen, dass ihre Meinung über Juden beeinflusst ist durch die Handlungen des Staates Israel."

Auf jeden Fall - ungeachtet sorgfältiger wissenschaftlicher Unterscheidungen - wäre eine Umfrage, die teilweise nach dem Ausbruch der Gräueltaten in Gaza durchgeführt wurde, durch die angebliche "Pandemie" beeinflusst worden und würde einen signifikanten Anstieg des Antisemitismus ergeben.

War das der Fall? Nicht ganz. Wie die ADL zugibt, "ergibt der Vergleich mit der Erhebung im Jahr 2007, dass in den vergangenen zwei Jahren der Antisemitismus in sechs der sieben untersuchten Länder auf dem gleichen Niveau geblieben ist." Wer war der Spielverderber? Großbritannien natürlich, wo es einige der effektivsten Initiativen zum Boykott Israels gibt: "Das Vereinigte Königreich war das einzige Land, in dem der Antisemitismus markant zurückgegangen ist." Gleiches Niveau in sechs Ländern, ein markanter Rückgang im Vereinigten Königreich - und das in einer Umfrage, die teilweise während einer angeblichen "Pandemie" des Antisemitismus durchgeführt wurde. Dazu mache sich jeder selbst seine Gedanken.

Verwirre uns nicht mit Tatsachen

Offensichtlich wurde diese Umfrage in den israelischen Medien weitgehend publiziert. In der Tat ist, vergleichbar mit dem Antikommunismus in den Vereinigten Staaten von Amerika in den 1980er Jahren, Anti-Antisemitismus die Nationalreligion des (jüdischen) Israel. Jeder Nicht-Jude ist ein potentieller, wenn nicht wirklicher Antisemit - sei es ein schlecht gelaunter Kellner in einem französischen Restaurant oder sogar auch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Antisemitismus ist unsere beste Entschuldigung: Wir glauben nicht an den Frieden, weil alle Araber Antisemiten sind. Wir müssen Iran angreifen, weil alle Muslims Antisemiten sind und uns vernichten wollen, und der Rest der Welt ist antisemitisch und macht sich nichts daraus, wenn wir vernichtet werden. Und natürlich ist jede Kritik an der israelischen Okkupation reiner Antisemitismus.Offensichtlich wollen die Israelis nicht Berichte von gleichbleibendem oder sinkendem Antisemitismus hören: Antisemitismus sollte immer im Ansteigen sein, um unseren nationalen Zusammenhalt zu verstärken.

Aus diesem Grund benutzten beide, Ha´aretz (11. Februar, hebräische Ausgabe) und Ynet (10. Februar, hebräische Ausgabe) den Teil der Ergebnisse von "31% der Europäer geben den Juden die Schuld an der Wirtschaftskrise" für die unheilverkündenden Schlagzeilen. Beide befassten sich hauptsächlich mit den absoluten Zahlen aus dem Jahr 2009 und verbannten den ungelegenen Trend in einen knapp gehaltenen vorletzten Absatz. Sogar da machte die Ha´aretz-Journalistin Natasha Mozgovaya aus dem "markanten Rückgang" des britischen Antisemitismus (ADL-Umfrage) einen "kleinen Rückgang" (ohne zu erwähnen, in welcher Relation), während Ynet das Adjektiv ausließ und nur von "einem Rückgang" schrieb. Beide hielten sich an die Zusammenfassung der ADL und glichen schnell den insgesamt positiven Trend durch die Betonung des negativen Teils der Ergebnisse aus.

Man täusche sich nicht: ein bestimmtes Niveau von Rassismus, einschließlich Antisemitismus gibt es in jeder Gesellschaft; das rassistische Israel ist der letzte Ort, in dem das bestritten werden kann. Aber gerade wie realer Antisemitismus die palästinensische Sache unterminiert, so untergraben einseitige Untersuchungen und manipulierte Erklärungen über Antisemitismus den Kampf gegen den Rassismus. Und wenn Foxman eine Form des Rassismus kritisiert, während er die andere unterstützt, dann ist das verabscheuungswürdig.

   
     
  erschienen auf www.antiwar.com am 17.02.2009  > http://www.antiwar.com/hacohen/?articleid=14256  
  Ran HaCohen, 1964 in den Niederlanden geboren, wuchs in Israel auf. Er hat ein BA in Computer-Wissenschaften, ein MA in vergleichender Literatur und seinen Ph.D in Jüdischen Studien. Er lehrt an einer Universität in Israel. Er arbeitet auch als literarischer Übersetzer (vom Deutschen, Englischen und Niederländischen) und lehrt in der Abteilung Vergleichende Literatur an der Tel Aviv Universität. Außerdem ist er Literaturkritiker für die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth, Israels verbreitetste Tageszeitung.  
     
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